An den Wasserstoff-Fernleitungen wird schon gebaut – doch der weitere Ausbau ist noch unklar. Foto: dpa/Jan Woitas

Im Südwesten wird vorerst nur eine Kernleitung von Mannheim nach Stuttgart gebaut – wie der Brennstoff der Zukunft dann in die Fläche gelangt, ist noch weitgehend unklar. Aber viele Versorger und Kommunen sind bereits dabei, Insellösungen zu bauen. Oft erschwert das Henne-Ei-Problem den Start.

Wasserstoff ist ein chemisches Element, das voller Energie und voller Hoffnungen steckt. Auch in Baden-Württemberg: Eine Umfrage von IHK und Landesregierung bei Unternehmen hat ergeben, dass der Anschluss fünf bis zehn Jahre früher benötigt werde und dass der Bedarf 2040 doppelt so hoch sei als bisher angenommen. Zudem hat sich ergeben, dass die Nachfrage nach Wasserstoff im gesamten Land vorhanden ist.

 

Doch diese stark dezentrale Verteilung der Industrie ist ein Problem. Denn das Wasserstoff-Kernnetz, das die Fernleitungsbetreiber planen, ist in Baden-Württemberg äußerst dürr. Es soll vorerst nur eine Pipeline – die Süddeutsche Erdgasleitung – von Mannheim in die Region Stuttgart geben. An ihr wird in ersten Abschnitten schon gebaut, in ihr soll zunächst Gas, spätestens 2030 Wasserstoff fließen. Eine Verlängerung über Göppingen und Heidenheim nach Bayern könnte bis 2032 realisiert werden. Wie aber soll der Wasserstoff sonst im Land zu den Kunden kommen?

Ohne eigene Produktion könnten Unternehmen nicht versorgt werden

Dafür gibt es zwei Möglichkeiten. Vom Kernnetz ausgehend, könnten sich Leitungen immer weiter ins Land hinein verzweigen. Dafür wird man teils bestehende Gasleitungen umwidmen. Daneben könnte Wasserstoff dezentral in sogenannten Elektrolyseuren hergestellt und in lokale Netze eingespeist werden. Das wären dann Insellösungen.

Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) ist überzeugt, dass man nicht allein auf Fernleitungen setzen sollte: „Sonst sind unsere Unternehmen abgekoppelt.“ Hendrik Adolphi von den Netzen BW, die das größte Gasnetz im Südwesten betreiben, ist dagegen skeptisch. Man verliere bei der Produktion von grünem Wasserstoff mithilfe von Solar- und Windenergie sehr viel Energie. Solche Anlagen wären deshalb nur sinnvoll, wenn es sich wirklich um überschüssigen Strom handelte. Baden-Württemberg sei aber ein großer Stromimporteur.

Walker und auch Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) appellieren deshalb in einem neuen Brief an die Bundesnetzagentur, zumindest die Region Südbaden ans Kernnetz anzuschließen. Dort habe zum Beispiel das Chemieunternehmen Evonik in Rheinfelden einen hohen Wasserstoffbedarf. Und: „Wir bitten nochmals genau zu prüfen, um zumindest weitere Teile des Südwestens via Wasserstoff-Pipeline frühzeitig zu erschließen.“

Wie der Wasserstoff vom Kernnetz weitergeleitet werden könnte, darüber machen sich mittlerweile viele Netzbetreiber Gedanken. Das Gasnetz der Netze BW könnte künftig in Teilen Wasserstoff transportieren. Aber dafür müsse mit jeder Kommune und am Ende mit jedem der 250 000 Kunden gesprochen werden, ob sie dies auch wollten, sagt Hendrik Adolphi. Zudem gebe es viele Unsicherheiten, zum Beispiel wisse niemand, was der Wasserstoff in zehn Jahren kosten werde. Aber auf die Frage, ob die Transformation auch des Verteilnetzes bis 2030 gelingen könne, antwortet Adolphi mit einem klaren Ja.

Großes EU-gefördertes Projekt im Osten Baden-Württembergs

Verschiedene Verbände, darunter der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW, sind sich nicht ganz so sicher. In Deutschland seien 1,8 Millionen Industrie- und Gewerbebetriebe an ein Gasverteilnetz angeschlossen – die Verteilnetze müssten deshalb viel stärker in den Blick genommen werden. Auch die Stadtwerke Aalen bemängeln, dass es keinen konkreten Rechtsrahmen für Genehmigung und Finanzierung gebe. „Das kann den Prozess erheblich verkomplizieren und Verzögerungen verursachen“, so Igor Dimitrijoski, der Stadtwerke-Sprecher.

Neben den Plänen zum Umbau der Verteilnetze entstehen bereits jetzt Modellprojekte mit Insellösungen. Der Ostalbkreis und der Alb-Donaukreis sind etwa eine Modellregion für Wasserstoff, die von Bund und EU mit 33 Millionen Euro gefördert wird. Konkret geplant ist die Wärmeversorgung der Ellwanger Südstadt sowie der Aufbau eines Netzwerks im Kreis Heidenheim, um die Zahl der wasserstoffbetriebenen Lastwagen zu erhöhen.

Sehr bekannt ist ein Projekt in Schwäbisch Gmünd. Dort wird derzeit ein Elektrolyseur mit zehn Megawatt Leistung gebaut. Die Anlage soll im Sommer in Betrieb gehen und dann die größte in Süddeutschland sein. An einer neuen Tankstelle können Lastwagen- und Autofahrer den Wasserstoff kaufen. Direkt daneben entsteht ein Gewerbegebiet mit Wasserstoffleitung.

Doch trotz Förderung ist das alles andere als unproblematisch. Noch weiß Gmünds Wirtschaftsförderer Alexander Groll nicht, wer bald an die Tankstelle fahren wird: „Das ist das Henne-Ei-Problem – einer muss mal anfangen, also fangen wir jetzt mit der Tankstelle an.“ Für das benachbarte, 28 Hektar große Gewerbegebiet Aspen gebe es ebenfalls noch keine festen Interessenten, betont Groll – die Energiepreise seien zu hoch, die Förderung zu gering: „Wir kommen mit der nationalen und internationalen Konkurrenz oft ins Endspiel, verlieren dieses aber.“ Kürzlich habe sich etwa Northvolt mit seiner Batterieproduktion für Schleswig-Holstein entschieden, auch weil es dort sehr viel Windstrom gebe.

Auch im Stuttgarter Hafen soll Wasserstoff hergestellt werden

Eine weitere EU-Modellregion ist Stuttgart, hier stehen elf Millionen Euro an Fördergeldern zur Verfügung. Im Stuttgarter Hafen soll ab Ende 2026 Wasserstoff produziert werden, knapp drei Tonnen täglich. Per Leitung bis Esslingen und per Spezialfahrzeugen stünde es der Industrie in der Umgebung zur Verfügung, etwa für Busse und Lastwagen, so Sophie Maier, die Sprecherin der Stadtwerke. Die Anlage werde nur überschüssigen Strom aus Wind und Sonne nutzen, verspricht sie. Wünschenswert sei, möglichst schnell auch eine Leitung in den Süden Stuttgarts, zum Flughafen oder zum Industriegebiet Vaihingen. Eigene Leitungen sind Zukunftsmusik für die Stadtwerke – sie erhalten erst zum Jahresbeginn 2025 das Gasnetz von den Netzen BW übertragen. Diese zeitliche Verzögerung könnte ein Manko für Stuttgart sein.

Große Pläne hat man in Südbaden. Konkret wollen Badenova und RWE eine Elektrolyseanlage mit 50 Megawatt Leistung sowie eine 8,5 Kilometer lange Wasserstoffleitung von Waldshut bis Albbruck bauen. Auch für Freiburg und den Hafen Kehl gibt es Projekte. Badenova-Vorstand Heinz-Werner Hölscher spricht dennoch von großen Versorgungslücken im Südwesten. Auf die Anbindung ans Kernnetz zu warten, berge für die Industrie enorme Risiken.

Mindestens ein halbes Dutzend weitere Projekte gibt es im Südwesten. So soll in Weilheim/Teck (Kreis Esslingen) eine Anlage mit acht Megawatt Leistung entstehen. Auch in Friedrichshafen oder in der Rhein-Neckar-Region gibt es Pläne. In Tübingen ist ebenfalls eine Produktion von Wasserstoff geplant, um damit eine Tankstelle zu betreiben. Die Eröffnung sei für Ende 2025 geplant, sagt Ulrich Schermaul, der Sprecher der Stadtwerke Tübingen.

Wasserstoff wofür?

Einsatz
 Kraftwerke sollen von Gas auf Wasserstoff umgestellt werden. Energieintensive Branchen wie die Zement-, Papier- oder Chemiebranche haben großes Interesse. Und Lastwagen sollen künftig ebenfalls mit Wasserstoff fahren.

Mengen
 Die Landesregierung geht für 2040 von einem Bedarf von 91 Terawattstunden aus. Zum Vergleich: Derzeit werden im Land rund 80 Terawattstunden Erdgas verbraucht.