Aus der Theodor-Heuss-Straße verdrängt: Fans nutzen den Arnulf-Klett-Platz am Hauptbahnhof als Ausweichadresse für den inszenierten Jubelkorso. Foto: 7aktuell.de/Florian Gerlach

Fußball-EM in Stuttgart: Nur Hauch von Sommermärchen –Jubelmeile Theodor-Heuss-Straße ist abgehängt.

Stuttgart - Wenigstens auf die kroatischen Fans ist bisher immer Verlass gewesen. Die Theodor-Heuss-Straße, seit der WM 2006 die Stuttgarter Vorzeige-Jubelmeile, ist ihr Revier, auch am Montagabend gegen Spanien. „U boj, u boj za narod svoj!“ – Auf in den Kampf fürs Vaterland: Immerhin 600 Fans hatten noch das Unentschieden gegen Italien gefeiert und die Straße besetzt. Zum Vergleich: Etwa 600 deutsche Fans waren am Sonntagabend nach dem Sieg gegen Dänemark zu Fuß auf dem Arnulf-Klett-Platz vor dem Hauptbahnhof auf der Straße unterwegs, um einen Autokorso zu bejubeln. Diese Stelle gilt derzeit als Hochburg des Stuttgarter Fußball-Karnevals nach Spielende. Der Schwabenplatz in Vaihingen mit 400 Fans auf der blockierten Kreuzung steht dem aber kaum mehr nach.

„Wir haben das Gefühl, dass weniger Fans und weniger Fahrzeuge in der Stadt unterwegs sind“, sagt Polizeisprecher Thomas Ulmer, „offenbar deshalb, weil es kein großes Public Viewing auf dem Schlossplatz mehr gibt.“ Die größte Ansammlung jubelnder Menschen, die in Stuttgart den Siegestreffer gegen Dänemark erlebt, findet sich im Biergarten am Schlossgarten. 1500 Fans freuen sich über das Erreichen des EM-Viertelfinales. Zum Vergleich: Beim allerersten Vorrundenspiel Deutschlands gegen Australien bei der WM 2010 waren es 3500.

Die Zeit des Massenguckens ist vorbei, die unzähligen Kneipen haben die Fans mit ihren Fernsehangeboten zurückerobert – und damit atomisiert.

Hauptschlagaderlass. Der Theodor-Heuss-Straße droht der Ruhestand als einstiges Jubel-Mekka. Die Ursache setzte die Polizei 2010 – aus Sicherheitsgründen: „Die gefährliche Vermischung von Fußgängern und Fahrzeugen wollen wir nicht mehr“, erklärte damals der Leiter der Verkehrspolizei, Roland Haider. Der Leit-Gedanke: Die Theodor-Heuss-Straße wird komplett für den Fußgängerverkehr gesperrt, am jeweiligen Ende gibt es zwei neue Korsostrecken quer zur Fanmeile. Seither kurven die Autofahrer vor dem Hauptbahnhof und am Rotebühlplatz.

Ein Aderlass an der Hauptschlagader. Die Folgen sind bei der EM deutlich erkennbar: Die Theodor-Heuss-Straße erlebt nicht mehr Tausende, sondern allenfalls Hunderte Fans. Ohne Begegnung von grölenden Fußtruppen und hupenden Autofahrern fehlt der Karnevalsumzug-Charakter. „Das macht schon ein bisschen die Stimmung kaputt“, gab Haider 2010 zu. Ein Wirt an der Theodor-Heuss-Straße formuliert es drastischer: „Dieses Korso-Verbot ist ein absoluter Stimmungskiller“, sagt er.

In den Landkreisen der Region rollen die Kolonnen

Kreisverkehrsaufkommen. In den Landkreisen der Region rollen die Kolonnen. Den längsten Autokorso bisher vermeldete die Polizei in Böblingen – mit über 400 Fahrzeugen am späten Sonntagabend nach dem Sieg des deutschen Teams gegen Dänemark. Ein solcher Wert ist in Stuttgart noch nicht registriert worden. Die Poststraße in Böblingen wurde wegen 700 feiernder Fußgänger komplett gesperrt. Mehrere Hundert Fans feierten auch in Sindelfingen, Leonberg und Herrenberg. „Um 0.30 Uhr waren die Gehwege aber wieder vorschriftsmäßig hochgeklappt“, sagt Polizeisprecher Uwe Vincon.

Ohne Sperrungen kam die Polizei in Esslingen aus: 230 Fahrzeuge waren am Sonntag in beiden Richtungen auf dem Altstadtring unterwegs. „Nur beim Busbahnhof müssen die Einsatzkräfte aufpassen, dass es nicht zu gefährlichen Situationen kommt“, sagt der Esslinger Polizeisprecher Michael Schaal. In Leinfelden-Echterdingen und Nürtingen musste der Korso wegen zu vieler Fußgänger abgeleitet werden.

Schorndorf im Rems-Murr-Kreis erlebte am Sonntagabend 600 Fans, dazu zwei Autokorsos mit 85 Fahrzeugen. In Waiblingen kam es am Alten Postplatz zu Behinderungen, nachdem knapp 200 Personen die Fahrbahn blockiert hatten. Die Polizei musste den Verkehr umleiten.

Körperverletzungsanfällig. Die Stuttgarter Polizei wird sich bestätigt fühlen: Dass die Begegnung von Fußgängern und Fahrzeugen durchaus gefährlich sein kann, zeigte sich am Sonntag um 23.34 Uhr in Fellbach, Rems-Murr-Kreis, als ein 26-jähriger Quad-Fahrer mit überhöhter Geschwindigkeit Richtung Bahnhof unterwegs war. Als zwei Autofahrer wegen Fußgängern abbremsten, musste er bremsen und ausweichen, überschlug sich und wurde unter seiner Maschine eingeklemmt. Die Folgen: ein Schwerverletzter, 2000 Euro Schaden. Bei einer Jubelfeier in Backnang, Rems-Murr-Kreis, warf ein 19-Jähriger mehrere Feuerwerkskörper in die Menge. Drei Personen wurden verletzt, die Polizei ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung gegen ihn.