Er ist 23 Jahre alt und Jugendleiter beim „Rems-Queer-Kreis“, der 2020 aus Eigeninitiative queerer Jugendlicher entstand. Sam wurde als Mädchen geboren. Gepasst hat das nie, doch es war schwer, Frieden als Transmann zu finden, wie er erzählt.
Was mit ihm los ist, konnte er lange nicht benennen. Sam, der seinen richtigen Namen aus Angst vor Übergriffen nicht veröffentlicht haben möchte, erinnert sich, dass Kleidchen tragen in der Kindheit gar nicht ging und er mit zwölf Jahren in der Schwimmmannschaft aufgehört hat. „Meinen weiblichen Körper konnte ich im normalen Alltag mit weiter Kleidung überdecken, beim Schwimmen war das schwierig, deshalb wollte ich nicht mehr hin. Schwimmbad und Sauna sind immer noch tabu für mich“, sagt der nun 23-Jährige, der als Mädchen auf die Welt kam oder – wie er es ausdrückt – bei dem bei der Geburt ein weibliches Geschlecht eingetragen wurde, der sich aber nie als Mädchen gefühlt hat.
Sam lebt glücklich als junger Mann und macht eine Ausbildung
Inzwischen lebt der junge Mann, der im Rems-Murr-Kreis aufgewachsen ist und wohnt, glücklich als Mann, er hat Abitur gemacht, ist zurzeit in einer Ausbildung im medizinischen Bereich und engagiert sich als Jugendleiter im „Rems-Queer-Kreis“ für queere Jugendliche in der Identitätsfindung. Er weiß genau, was alles für Probleme aufkommen können. Denn auch für ihn war die Zeit, bevor er offen als „trans Mann“ leben konnte – er möchte den Begriff trans als Adjektiv verstanden wissen, weil es eine Eigenschaft und nicht sein Hauptidentifikationsmerkmal sei – nicht leicht.
„Ich bin in einem sehr gläubigen Umfeld groß geworden. Am Wochenende ging es zweimal am Tag zum Kindergottesdienst, in so einer Welt gab es so was wie eine andere geschlechtliche Orientierung nicht“, erklärt Sam, der mit 14 Jahren das erste Mal richtig darüber nachdachte, was bei ihm anders ist und wie er damit umgehen will. Dass er eben ein Transmensch ist und sich nicht dem Geschlecht zugehörig fühlt, dass ihm bei der Geburt zugewiesen wurde. „Den Mut zu fassen, das öffentlich zu machen und meine Familie einzuweihen, war nicht leicht.“
Sam erinnert sich genau, wie er zitternd zu seinen Eltern in die Küche kam
Sam erinnert sich noch genau, wie er zitternd zu seinen Eltern in die Küche kam, um mit ihnen zu reden. 17 Jahre alt war er, als er die Kehrtwende einleitete und nicht länger wie bisher weitermachen wollte. „Ich hatte zu dem Zeitpunkt schon Beziehungen zu anderen queeren Personen. Das Thema war meinen Eltern also nicht ganz fremd, aus allen Wolken gefallen sind sie trotzdem, und das Thema Namensänderung hat natürlich für Auseinandersetzungen gesorgt.“
Sie hätten massiv überfordert, aber auch offen und tolerant reagiert und damit wohl besser als viele Eltern in einer solchen Situation. Aus seiner Erfahrung in der „Rems-Queer-Gruppe“ weiß Sam, dass es auch anders geht: „Dort erleben wir immer wieder, dass Jugendliche zu uns kommen, bei denen sich das monatelang zieht, weil sie Angst haben, dass es in einer Katastrophe endet und sie rausgeworfen werden, wenn sie sich ihren Eltern öffnen“, sagt Sam, der einige Monate nach dem Start der Gruppe 2020 ins Organisationsteam eingestiegen ist.
Der Zusammenschluss „Rems-Queer-Kreis“ ist ein Projekt des Kreisjugendrings Rems-Murr, das Anfang 2020 aus Eigeninitiative queerer Jugendlicher im Kreis entstand. Die Gruppe ist offen für alle Jugendlichen bis 27 Jahre, die sich als lesbisch, schwul, bisexuell, pansexuell, trans, inter, queer, asexuell oder aromantisch empfinden. Auch Neugierige und Menschen, die sich fragen, ob sie vielleicht queer sind, es aber noch nicht sicher wissen, sind willkommen. Jeden ersten Samstag im Monat findet ein Gruppentreffen statt, bei dem Austausch und miteinander Zeit verbringen im Vordergrund stehen. „Wir bekommen Anfragen auf Social Media und beraten auch hinsichtlich unserer eigenen Erfahrungen, aber wir verweisen natürlich auch auf richtige Beratungsstellen“, sagt Sam, der aus eigener Erfahrung weiß, wie schnell es bei der Thematik zu Verletzungen kommen kann. „Bei der Anrede gab es oft Streit. Das Pronomen ‚er’ oder ‚sie’ birgt Sprengstoff, ich habe mich, wenn ich falsch angesprochen wurde, immer gefragt, machen sie das, weil sie mich nicht tolerieren, oder aus Versehen.“ Es habe gedauert, aber mittlerweile sei das Verhältnis gut, und er werde von den Eltern unterstützt, sagt Sam, der sich gerne lässig, männlich kleidet – Sneaker, Shirt, oder Karo-Hemd. Und wie nimmt ihn sein Umfeld wahr? „Manche sehen eine junge Frau, andere einen sportlichen Mann. Das ist ganz unterschiedlich“, sagt Sam, der seinen Frieden mit seiner Identität gemacht hat – eigentlich. „Würde ich auf einer einsamen Insel leben, wäre es perfekt.“
Kritische Blicke bei der Toilette
Im hiesigen Leben dagegen gibt es immer wieder Probleme – beim Thema Umkleiden, bei Bezeichnungen im Zeugnis oder in Bewerbungen, auch bei den Toiletten. „Ich gehe aufs Männerklo, da ernte ich aber immer wieder kritische Blicke. Generell ist bei der ganzen Thematik gesellschaftlich sicher noch viel Luft nach oben.“ Es sei in letzter Zeit wieder schwieriger und politisch aufgeladener geworden. „Viele scheuen den Kontakt, wenn wir mit Regenbogenflagge und teils bunten Klamotten in der Stadt unterwegs sind. Im Allgemeinen wird uns schnell auch eine ,politische Agenda’ unterstellt. Wir stehen für unsere Grundrechte ein, keine Frage, aber manchmal bin ich auch einfach nur Sam.“
Kontaktmöglichkeiten: Auf Instagram @rems_queer_kreis sowie unter den Internetadressen https://lsbt.me/@rems_queer_kreis , queer.jugendarbeit-rm.de oder auch unter der E-Mail-Adresse remsqueerkreis@systemli.org
Was ist queer, was transsexuell und asexuell?
Überbegriff
Im Englischen war „queer“ ein Schimpfwort und wurde im Sinne von „sonderbar, suspekt, pervers, verrückt“ verwendet. Seit den 1990er-Jahren hat sich die Community die Bezeichnung angeeignet und sie ins Positive gewendet – für alle, die nicht traditionell hetero sind und ihre Identität als „außerhalb der gesellschaftlichen Norm“ sehen. Zudem ist queer ein Überbegriff für jene, die nicht in die romantischen, sexuellen und geschlechtlichen Normen passen.
Definitionen
Das Adjektiv trans ist ein Überbegriff für transsexuelle, transidente und transgender Menschen, also für alle Menschen, die nicht das Geschlecht sind, dem sie bei der Geburt zugewiesen wurden. Asexuelle verspüren keine oder nur geringe sexuelle Anziehung. Sie können sich aber verlieben und emotional binden; nur die sexuelle Komponente fällt weg, da kein Reiz besteht.