Wenn ein Paar Nachwuchs bekommt, müssen sich beide an die neue Rolle erst gewöhnen. Foto: AdobeStock/Tatiana Maslovskaya

Schlafmangel, Erziehungsdebatten, null Freizeit – wenn aus einem Paar Mutter und Vater werden, kann das die Beziehung vor echte Herausforderungen stellen. Ein Stuttgarter Paar schildert seine Erfahrungen, Expertinnen stehen mit Ratschlägen zur Seite.

Katharina und Daniel B. (Namen geändert) sind überglücklich: Ihr Wunschkind Leon erblickte vor neun Monaten das Licht der Welt. „Für uns hat Leben erst jetzt einen Sinn“, sagt die 38-Jährige. Die Geburt von Leon hat das Leben der Stuttgarter ordentlich auf den Kopf gestellt.

 

„Ein Kind ist eine große Bereicherung, aber auch eine große Verantwortung. Die ersten drei Monate waren hart“, sagt sie. „Man kann den Tag nicht mehr wie vorher planen. Das Baby gibt den Takt vor.“

Das bestätigt die Wiesbadener Paar- und Sexualtherapeutin Angela Lorenzen. Als Paar unterschätze man häufig, welche Auswirkungen ein Kind auf die Beziehung hat. „Ein Kind hat einen Lebensrhythmus, der nicht verhandelbar ist und der den Rahmen für alles andere setzt.“

Das erste Jahr als Eltern gilt wegen der Totalumstellung als besonders schwierig. Barbara Reichle, Professorin für Entwicklungs- und Pädagogische Psychologie an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg: „Das ganze Leben wird umgekrempelt.“

Streit mit dem Partner ist programmiert, wenn der Mann mehr arbeitet, weil ein Gehalt wegfällt, die Frau sich aber wünscht, dass er mehr für sie und das Kind da ist. Diskussionen über Erziehungsfragen und unterschiedliche Ansichten über die Lebensführung können das Paar ebenfalls zermürben, wenn keine gute Lösung gefunden wird. „Das beeinträchtigt das Paarklima“, warnt Reichle, „und wenn man die neue Rolle nicht gut akzeptieren kann, schafft das Distanz.“

Schneller reizbar, aber weniger Lust auf Sex

Zu wenig Schlaf bringt ebenso Konfliktpotenzial. „In der Anfangsphase der Elternschaft, die gut ein Jahr dauern könnte oder auch länger, hat man ein chronisches Schlafdefizit“, sagt Reichle. Schlafmangel, unter dem vor allem Mütter leiden, weil sie meist für die Ernährung des Neugeborenen zuständig sind, sorgt für Stress – die Eltern sind schneller reizbar und weniger tolerant. „Alle Themen, die ich sowieso schon in der Partnerschaft hatte, werden brisanter“, sagt Therapeutin Lorenzen. Streitthemen können eskalieren.

Nach den Erfahrungen von Reichle kann sich zu wenig Schlaf sehr nachteilig auf die Sexualität auswirken. Lorenzen fügt hinzu: „Die Lust auf Sex ist bei Frauen viel stressanfälliger als bei Männern.“

Körperliche Veränderungen nach der Schwangerschaft belasten viele Frauen. Sie fragen sich, ob ihr Körper noch schön und begehrenswert ist. „Die Frau muss sich in den meisten Fällen erst selbst wieder mit ihrem Körper anfreunden“, sagt Lorenzen. Sie rät zu Rückbildungskursen sowie sanften Sportarten wie Yoga.

Auch Katharina B. hat in den ersten drei Monaten nach der Entbindung keine Lust auf Geschlechtsverkehr. „Der ganze Körper war auf Mama-Sein eingestellt“, erinnert sie sich. Inzwischen sind sie und Daniel B. sich körperlich wieder näher gekommen – vor allem, wenn Leon schläft.

„Liebe und Erotik sind bei Eltern zwar noch vorhanden, haben aber eine andere Qualität“, weiß Reichle. „Wenn es gut läuft, gibt es viel mehr Vertrautheit in dieser Phase, weil die gemeinsame Verpflichtung eines Kindes da ist.“ Das bestätigt auch Katharina B. Sie sagt: „Die Beziehung ist noch intensiver geworden.“

Lorenzen empfiehlt, sobald man sich wieder nach Erotik sehnt, sich viel Zeit für die gegenseitige Erforschung des Körpers zu nehmen und durch Berührung in eine körperliche Entspannung zu kommen – ohne dass Zärtlichkeit zu Sex führen muss. „Was man nicht machen sollte, ist, es ganz zu lassen, nach dem Motto: Wir setzen aus, und wenn das wieder klappt, was wir gewohnt sind, fangen wir wieder genauso an“, sagt Lorenzen.

Um für den Nachwuchs genug Zeit zu haben, stoppen die meisten Eltern zunächst ihre Freizeitaktivitäten. Um dennoch wieder Zweisamkeit zu kultivieren, geben manche Eltern das Kind, sobald es etwas größer ist, stundenweise in die Obhut von Babysittern oder Großeltern. Manche gehen schick essen oder wollen nur Zeit für sich selbst.

Rare Freizeit lässt sich nicht genießen

Doch nicht alle Paare genießen die plötzliche Freiheit. „Das versuchen viele Eltern, und die meisten haben mir erzählt, dass sie nicht so viel Spaß daran haben“, so Reichle. „Weil sie unruhig sind, ob der Babysitter alles richtig macht. Man sollte es aber ruhig ausprobieren.“ Reichle rät, mit dem Liebsten etwa einen Waldlauf zu machen oder einen Tanzkurs zu besuchen, um den Kopf freizukriegen.

„Meine Eltern sind eine große Hilfe“, sagt Katharina B. Ihre Eltern passen auf den Kleinen auf, wenn sie mal einen Arzttermin hat, zu dem sie ihr Kind nicht mitnehmen kann, und ihr Mann bei der Arbeit ist. Die Oma als Babysitter zu nutzen, um Freizeit zu haben, wollen die beiden jedoch nicht. „Abschieben gibt es bei uns nicht“, betont Daniel B. „Der Kleine ist bei uns immer dabei.“

Ab zu Oma und Opa?

Reichle dagegen findet es nicht schlimm, wenn die Kleinen auch mal Zeit mit den Großeltern verbringen. „Viele Babys lieben Omas und Opas – und umgekehrt “, sagt sie. Sie seien nämlich häufig gelassener als die jungen Eltern. Und es gehört auch zu den Elternaufgaben, das Kind in die neue Familie zu integrieren, und die besteht nicht nur aus den Eltern.

Auch für die Partnerschaft ist es nicht unbedingt gut, wenn der Kleine immer dabei ist. Man muss auch mal die Gelegenheit haben, nur zu zweit zu sein – und wenn es nur dazu ist, ohne die Anwesenheit des Kindes zu streiten.

Lorenzen und Reichle sind sich einig, dass man sich auf das Leben mit Kind im gewissen Rahmen vorbereiten kann. In vielen Orten gibt es entsprechende Kurse. Dort wird unter anderem vermittelt, wie Aufgaben verteilt werden können. Das Paar sollte sich rechtzeitig überlegen, wie die künftige Rollen- und Aufgabenverteilung aussieht, mit der beide Partner zufrieden sind.

Außerdem lernt das Paar in diesen Kursen Dinge, die man als Vater und Mutter wissen sollte. Gespräche mit anderen Eltern aus dem Freundes- und Familienkreis können ebenfalls hilfreich sein. Zudem sollten beide Elternteile die Chance haben, ihre Freundschaften zu pflegen – ohne dass das Kind dabei ist.

„Alles anders, aber anders schön“

Ein Baby bedeutet aber nicht nur Stress, sondern schweißt auch das Paar zusammen. Generell schätzt die junge Familie die Zeit zu dritt. „Ein Kind ist eine tolle Bereicherung“, sagt Daniel B. Seine Frau fügt hinzu: „Wir hatten auch Glück, dass wir ein liebes Baby haben, das von Anfang an nachts durchgeschlafen hat.“ Sie erlebt ein Stück weit ihre Kindheit wieder, wenn sie die Welt durch Leons Augen betrachtet. „Viele Ereignisse werden mit einem Kind wieder zu etwas Besonderem.“

Die Geburt von Leon habe eine Umstellung bedeutet, gibt Katharina B. zu. „Das Leben ist von heute auf morgen anders. Aber anders schön.“