Kubrom Tewelde, Manuel Krotzek, Ruth Thumm (von links) schmeißen im Café Morlock die Backstube. Sie verzieren Schokobananen und backen Kekse Foto: Ines Rudel

Kubrom Tewelde, Manuel Krotzek, Ruth Thumm (von links) schmeißen im Café Morlock die Backstube. Sie verzieren Schokobananen und backen Kekse.

Plochingen - Vielleicht sind es gerade behinderte Menchen, die am meisten mit ihren Aufgaben wachsen. Und die Aufgabe für die Klienten der Werkstätten Esslingen Kirchheim (WEK) war es, einen Tag lang ganz alleine ein Café zu betreiben.

Wochenlang haben sie sich drauf vorbereitet, jeden Handgriff geübt, sind immer wieder durchgegangen, was zu tun ist. Alle waren sie mächtig aufgeregt und dann kommt auch noch die Zeitung! Drei Vierer-Teams haben die Kasse des Verkaufraums, die Theke des Cafés und die Backstube des Café Morlock im Plochinger Stadtteil Stumpenhof besetzt.

Nur eine Nichtbehinderte ist da. Ruth Thumm weiß, wie gefährlich es in einer Backstube werden kann, wo es Öfen und Maschinen gibt.

Ein Leben lang geschafft und gerannt.

Ein Leben lang geschafft und gerannt für das Café Morlock, das ist wohl ihr berufliches Fazit. Sie ist eine echte Stumpenhöflerin, in der Teckstraße geboren und aufgewachsen. Sie ist nicht nur mit den Händen dabei, sondern auch mit dem Herzen. Gerade faltet sie aus einem Stück beschichtetem Papier eine Spritztüte und zeigt Manuel Krotzek, wie man Schokobananen mit einer hellbraunen Kuvertüre garniert. Sie geht glatt drüber, „wie bei einer Nähmaschine“, sagt sie. Aber Krotzek schafft es nur im Zickzack. „Dann bist Du halt die Zickzack-Nähmaschine“, lacht sie.

Sie selbst ist eher eine Schaffmaschine. Sie prüft blitzschnell mit dem Fingerknöchel die Temperatur der Schokoglasur. „Man muss Pralinenschokolade nehmen“, sagt sie, „sonst schmeckt es nicht.“ Sie macht Mohrenköpfe. Bei Morlock ist das nicht Eierschnee mit Waffel, sondern noch ein klassisches Biskuitgebäck. Und was sagt der Lehrling Kubrom Tewelde dazu, dass man diese Gebäcke als Mohrenköpfe bezeichnet? Der dunkelhäutige Eriträer lacht, weil er die Frage reichlich bescheuert findet. Dann hackt er weiter den Mürbteig in Stücke.

Was vorne an der Ladentheke verkauft wird, wird fünf Meter weiter hinten produziert. Mittwochs flammende Herzen, dienstags Biskuit-Böden. Nur heute ist alles ein bisschen durcheinander geraten. Die Räumlichkeiten sind viel zu eng für die zwölf Behinderten. Sie drängeln in der engen Backstube, sie kommen sich im Service in die Quere.

Jedes Team hat eine To-Do-Liste, die in wochenlanger Arbeit auswendig gelernt wurde. Darunter gehören so Sachen wie „Gassi-Gehen“, das ist das Morlock-Wort für den Müll im Garten und an den Spielgeräten wegschaffen. Dazu zählt das Aufschließen, die Auslagen kontrollieren, wissen was wohin gehört.

Lilith Morlock hat das Café von ihren Eltern Ekkehard und Sabine Morlock übernommen. Die Eltern waren beide jahrzehntelang sozial und politisch engagiert. Lilith Morlock ist von Kindesbeinen an im Laden gestanden, studierte aber später soziale Arbeit in Esslingen. Mit dem Konzept eines Cafés, in dem hauptsächlich Behinderte arbeiten, hat sie das getan, was man „die Punkte des Lebens verbinden“ nennt.

Zu Beginn war es schwierig für beide Seiten

Andrei Palan ist seit sieben Jahren im Café. Eine Hirnhautentzündung hat seinen Arm gelähmt und sein Gehirn geschädigt, er muss bei der Arbeit eine hautfarbene Armschiene tragen. Die Kunden kennen ihn als freundlichen Plauderer, der seit dem Jahr 2012 die Gäste bedient. Er war einer der ersten Behinderten, die bei Morlock angefangen haben. Damals war es schwierig für beide Seiten. Die Morlocks wussten nicht, ob sie mit Behinderten klar kommen würden, und er wusste nicht, ob er die Aufgabe bewältigen würde. Beide Seiten wussten nicht, wie sich die Kunden verhalten würden. Aber es lief gut in den letzten Jahren. So gut, dass der Betrieb nach und nach fast ausschließlich Behinderte im Service beschäftigte.

Viele Behinderte, merkt man, haben ein anderes Zeitgefühl, können Entfernungen und Daten schwer einschätzen. Aber alle kommen sie selbstständig an der Bushaltestelle am Teckplatz gegenüber des Cafés Morlock an. Weil sie nicht Autofahren können, müssen sie den ÖPNV nehmen. Sie kommen trotzdem gern zur Arbeit, obwohl sie beispielsweise von den Fildern mit Bus und S-Bahn weit mehr als eine Stunde brauchen. Mit dem Auto sind es 22 Minuten. Lilith Morlock, die das Café zusammen mit Gerrit de Riese im Auftrag der WEK betreibt, hätte es sich einfach machen und den Betrieb mit den Behinderten so laufen lassen können wie bisher. Aber sie wollte, dass die Behinderten eine Erfahrung machen, die wahrscheinlich jedermann schon gemacht hat. Den Stolz, eine schwierige Aufgabe bewältigt zu haben. Und diesen Stolz, den nimmt einem Niemand mehr.

Sarah Schütt ist ebenfalls Teamleiterin. Die großgewachsene ruhige Frau weiß sehr gut, dass ihr verschiedene geistige Fähigkeiten fehlen. Oft genug hat sie erfahren, dass sie im Café sehr unfreundlich behandelt wird. „Da muss man einfach ruhig bleiben“, sagt sie.

Wie in jedem anderen Betrieb auch passieren Fehler, kommen die Bestellungen nicht richtig an, sind die Kunden mit dem Bestellten unzufrieden. „Wir wollen diesen Behinderten-Bonus nicht, sondern ein normales Café sein“, sagt der Heilerzieher Gerrit de Riese, der zweite Mann im Betrieb. Wie in jeder anderen Belegschaft auch, gibt es im Team Konflikte. Die Mitarbeiter geraten im Stress aneinander, und es entstehen Auseinandersetzungen, die Gerrit de Riese im Team schlichten muss.

Doch an diesem Montag haben es die Teams geschafft. Wie war nun dieser Tag, an dem sie das Café alleine betrieben haben? Sarah Schütt bleibt cool. Sie sagt: „Es tut mal gut, wenn die Chefs nicht da sind.“ Und das ist vermutlich so wie in jedem anderen Betrieb auch.