Die Neuen Vocalsolisten bei Mario Lanzas neuem Stück Foto: Sigmund

Das Stuttgarter Neue-Musik-Festival Eclat bot am Freitag und Samstag neue Werke zwischen Handwerk und Spiel, Klang und Struktur und eine Diskussion mit Helmut Lachenmann.

Stuttgart - Schreibt, was ihr hören wollt! Das empfiehlt Helmut Lachenmann. Der Komponist ist, weil er in diesem Jahr 80 wird, vom Stuttgarter Eclat-Festival am Samstagmittag zu einer Podiumsdiskussion eingeladen worden. „Schreibt, was ihr hören wollt!“, das, so Lachenmann, habe er immer zu seinen Studenten gesagt. Ob andere das, was die Komponisten aus diesem Antrieb heraus entwerfen, dann auch hören wollen, ist freilich eine andere Sache – was auch bei den Konzerten am Freitag und Samstag im Theaterhaus zu erleben ist.

Wundervolle vokale Genussmusik wollen offenbar sowohl der französische Komponist Philippe Manoury als auch das Publikum gerne hören: „Geistliche Dämmerung für Kammerchor auf Gedichte Georg Trakls“ ist zwar eher konventionell, aber mit feinem, liebevollem Blick auf das gearbeitet, was ein Chor wirkungsvoll singen kann, und das SWR-Vokalensemble nimmt sich des Stücks unter Stephen Laytons Leitung mit Hingabe und Präzision an.

Gleiches gilt für Oxana Omelchuks „Gaunerlieder“, die freilich um einiges überraschender und vielfältiger gearbeitet sind: Subversive russische Gesänge über kleine Ganoven hat die Weißrussin in Soli und Ensemblepassagen aufgefächert, mit Witz und Wissen angereichert, und spätestens wenn sich der tiefe Bass Mikhail Nikiforov ins Falsett schwingt, liegen Lachen und Weinen ganz nah beieinander.

Musik, die gehört werden will, hat auch der Belgier Stefan Prins mit „Mirror Box (Flesh + Prosthesis #3)“ komponiert: ein virtuoses Spiel mit irritierenden Verschiebungen zwischen den Aktionen des Trios Accanto und den Klängen, die das Experimentalstudio des SWR verfremdet und zeitversetzt über Lautsprecher in den Raum spielt. Kommen Live-Spiel und Elektronik zusammen, weiß man oft nicht, ob die Klänge, deren Produktion man wahrnimmt, wirklich die sind, die man gleichzeitig hören kann. In „Disiecta Membra“ bringt der Italiener Mauro Lanza auf federleichte Weise Stimmen (der Neuen Vocalsolisten), Spielzeug-Klänge und barocke Klangfiguren zusammen – bis hin zu einer munteren Pupskissen-Polyfonie.

Brigitta Muntendorf hat mit „The Key Of Presence“ ein elaboriertes Stück für zwei vielfach verkabelte Pianisten und Live-Elektronik geschrieben, das von dem grandiosen Klavierduo Grau-Schumacher klöppelnd, zupfend, schlagend als rauschhafte Hymne an den intelligenten Multitasking-Musiker dargeboten wird.

Unter den Preisträger-Werken des Stuttgarter Kompositionspreises überzeugt besonders das stille, feingliedrige, von Glockenklang, Obertönen und sanfter Schwingbewegung getragene „Clangs“ für Violoncello und 15 Musiker der italienischen Komponistin Clara Iannotta.

Das wieder wunderbar (stil-)sichere Ensemble Modern serviert unter Franck Ollus Leitung nicht nur Clara Iannottas Werk, sondern auch noch Simon Steen-Andersens „Black Box Music“, bei der sich die in einem kleinen Kisten-Guckkasten dirigierenden und per Videokamera auf eine große Leinwand übertragenen Hände eines Solo-Schlagzeugers (Hakon Stene) mit den Aktionen der Musiker in einen ebenso lustig-skurrilen wie kritischen Dialog begeben.

Um die Frage, wie weit Komponisten die Tür zur Welt aufmachen sollten, die sie umgibt, ging es auch in der Podiumsdiskussion mit Helmut Lachenmann. Simon Steen-Andersen hebt diese Tür spielerisch aus den Angeln, und siehe da: Es gibt wieder Neue Musik, die richtig Spaß macht.