Der Leonberger Religionspädagoge und langjährige Vorsitzende der KZ-Gedenkstätteninitiative, Eberhard Röhm, wird am Montag 95 Jahre alt.
Eberhard Röhm schöpft sein Wirken und seinen Einsatz gegen das Vergessen und für Versöhnung aus seiner eigenen Biografie: „Ich gehörte zu den Verführten“, sagte er einmal. Seinen Lehrern im Korntaler Gymnasium habe er es zu verdanken, dass ihm nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes eine neue Welt eröffnet wurde. Dies und die Möglichkeit, ein Stipendium zu erhalten, haben ihn auch zum Theologiestudium motiviert. Aufgewachsen in Stuttgart-Zuffenhausen mit fünf Geschwistern, hat Eberhard Röhm in der evangelischen Jugendarbeit mitgearbeitet. In Korntal hat er im Jahr 1948 sein Abitur gemacht, in Tübingen und Göttingen Theologie studiert. Am Montag wird Röhm 95 Jahre alt; er ist agil und voller Elan.
Gleich nach dem Examen hat er seine Kommilitonin Dorothee Schwarz geheiratet. „Die Ehe bedeutete für meine Frau, dass sie ihren Beruf nicht ausüben konnte.“ Stattdessen wurde Dorothee Röhm als Mutter von vier Kindern Familienfrau. Aber das hat sie nicht davon abgehalten sich vielfach ehrenamtlich zu engagieren, etwa als Mitbegründerin des Eine-Welt-Ladens, oder in einem alternativen Ganztagskindergarten. Den haben politisch ähnlich Gesinnte, denen Elternmitarbeit im Kindergarten wichtig war, von 1970 an für etwa 20 Kinder über einen Zeitraum von vier Jahren betrieben und mitfinanziert. Aus diesem Elternkreis ist dann auch ein Großteil der in Leonberg politisch aktiven Grünen Alternativen Bürgerliste (Gabl) hervorgegangen. Für sie war Röhm später dann auch im Leonberger Gemeinderat aktiv.
Die berufliche Karriere für Eberhard Röhm hat als Vikar in Ebersbach/Fils begonnen, dann folgte Ditzingen. 1960 kam er als Religionslehrer an das Leonberger Albert-Schweitzer-Gymnasium, wo er bis 1972 tätig war. Das sei die Zeit gewesen in der er in Leonberg hängen geblieben sei, sagt Röhm. Er hat sich nämlich auch in der Ramtel-Kolonie engagiert. Es ist die Zeit, in der sich in Leonberg das Konzept der offenen Jugendarbeit etabliert hat.
Im Jahr 1972 wurde Röhm an das pädagogisch-theologische Zentrum der Württembergischen Landeskirche berufen. Bis zu seiner Rente im Jahr 1993 war er dort für die Fortbildung der Pädagogen sowie für die Lehrplanentwicklung zuständig. In dieser Zeit entstanden auch Schulbücher, und er gab die Fachzeitschrift „Entwurf“ heraus.
Die Rolle der Kirche im Nationalsozialismus und die Erforschung des christlich-jüdischen Verhältnisses ziehen sich wie ein roter Faden durch das berufliche Wirken Eberhard Röhms, aber auch danach. Das hat sich in zahlreichen Publikationen niedergeschlagen. Das Werk „Evangelische Kirche zwischen Kreuz und Hakenkreuz“ etwa wurde sogar im Berliner Reichstagsgebäude gezeigt. Für den ehemaligen Berater für Kriegsdienstverweigerer war es nur konsequent, dass er 1999 aus der Grünen-Partei ausgetreten ist, als Außenminister Joschka Fischer (Grüne) den deutschen Kriegseinsatz im Kosovo legitimierte.
Ein Wunsch zum 70. Geburtstag: eine Gedenktafel für das ehemalige KZ
Das zweite Themenfeld hat Röhm zusammen mit Jörg Thierfleder unter dem Titel „Juden – Christen – Deutsche“ in sieben Teilbänden von 1990 bis 2007 aufgearbeitet. Weil er die Rolle der Kirche im Nationalsozialismus so tiefschürfend ausgeleuchtet hat, wurde Eberhard Röhm im Jahr 2003 die Ehrendoktorwürde der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln verliehen.
Als am 11. September 1998 der damalige Leonberger Oberbürgermeister Bernhard Schuler im Vorfeld der feierlichen Eröffnung des neuen Engelbergtunnels Eberhard Röhm anlässlich seines 70. Geburtstages besuchte, hatte der Jubilar eine Bitte: Am alten Tunnel solle eine Gedenktafel an das ehemalige KZ Leonberg angebracht werden.
Ein Vortrag im Juni 1998 von Eberhard Röhm „Erinnerung an die Vergangenheit“ anlässlich von 50 Jahre Samariterstift in Leonberg hielt, hatte Erkenntnissen einer 1980 erschienen Dokumentation „KZ in Leonberg“ als Basis. In die anschließende Diskussion hatte Röhm den Einwand vorgebracht, dass dieses dünne „Vorträgle“ doch nicht alles sein könne und dieses düstere Kapitel der Leonberger Geschichte einer Aufklärung bedürfe.
Forschung, Aufarbeitung, Erinnern: Röhm ist nimmermüde Triebfeder
Der ehemalige Richter Klaus Beer hatte die Idee, einen Verein zu gründen, der damalige Leiter des Samariterstifts, Harald Reinhard, versprach Räume zur Verfügung zu stellen. „Das Stück Papier, auf dem die Gründungsmitglieder sich eintrugen, habe ich noch immer“, sagt Eberhard Röhm stolz. Das war die Geburtsstunde des Vereins KZ-Gedenkstätteninitiative, der in den vergangenen 25 Jahren nicht nur in Leonberg eine beispielhafte Arbeit für die Aufarbeitung eines dunklen Kapitels der Geschichte und gegen das Vergessen geleistet hat. Eine Geschichtswerkstatt anlässlich von 750-Jahre-Stadt-Leonberg nahm sich des Themas an und so erschien 2001 der Beitrag „Konzentrationslager und Zwangsarbeit in Leonberg“.
Seit dem Jahr 2005 stehen alle bislang bekannten Namen auf der Tafel
Der neue Verein hatte in dem Vorsitzenden Eberhard Röhm eine nimmermüde Triebfeder. Die äußerst aktiven Mitglieder haben durch akribische Forschungen tausenden Häftlingen einen Namen gegeben, Kontakte zu Überlebenden gepflegt, eine Gedenkstätte in einer Tunnelröhre eingerichtet. Kaum eine Bürgerinitiative der Stadt hat in so kurzer Zeit ihre Ziele verwirklicht wie die KZ-Gedenkstätteninitiative. Der langjährige Vorsitzende der KZ-Gedenkstätteninitiative hat 2011 zwar sein Amt aus gesundheitlichen Gründen an Marei Drasdo abgegeben, doch das hat sein Engagement und seinen Elan nicht geschmälert. Er war der Promoter des Kunstbandes „Moshe Neufeld – Bilder“, den er zusammen mit der ehemaligen Kulturamtsleiterin Christina Ossowski herausgebracht. Er enthält 2003 in Leonberg gezeigte Malereien, mit denen der ehemalige KZ-Häftling als Künstler seine Traumatisierung verarbeitet hat.
Ein Höhepunkt im Wirken der KZ-Gedenkstätteninitiative ist ohne Zweifel die Errichtung der stählernen Namenswand am 8. Mai 2005 am ehemaligen Tunneleingang gewesen, auf der alle bislang bekannten Namen der im Lager Inhaftierten stehend. Auf dem historischen KZ-Gelände wurde im Samariterstift ein Informations- und Gedenkraum errichtet. Auch die bei der Gründung angesprochene Dokumentationsstätte im alten Engelbergtunnel ist wahr geworden.
Röhm: Geheimnis der Versöhnung ist die Erinnerung
Mit seinem Wissen verbindet sich bis heute auch Eberhard Röhms pädagogisches Geschick, die junge Generation auch für die Thematik zu interessieren; denn er fühlt sich stets der Erinnerungskultur vor Ort verpflichtet. „Er selbst ist ein Kämpfer gegen das Vergessen“, sagt der ehemalige Leonberger Dekan Hartmut Fritz über seinen langjährigen Weggefährten. Denn vergessen, das wäre der zweite Tod, den die Opfer aller Gewaltherrschaft erleiden müssten. Röhm erinnere immer wieder auch an die jüdische Weisheit, die im Talmud, in der jüdischen Auslegung der Bibel, nachzulesen sei: „Das Geheimnis der Versöhnung ist Erinnerung.“
Als überregional wirkender theologischer Fachbuchautor, als Erneuerer der Religionspädagogik und unablässigen Mahner zur Versöhnung zwischen Juden und Christen und als Mitbegründer der Leonberger KZ-Gedenkstätteninitiative hat die Stadt Leonberg Eberhard Röhm anlässlich seines 90. Geburtstags mit der Verleihung der Bürgermedaille gewürdigt – „für all seine Verdienste um Leonberg und die Region“, wie es in der Verleihungsurkunde heißt.
Nie wieder Uniform
Eine weitere Würdigung seines Wirkens, das im Mai 2021 von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vergebene Bundesverdienstkreuz am Bande, löste bei Eberhard Röhm zwiespältige Gefühle aus. Bei der Verleihung sagte er: „Eigentlich sind mir als jemand, dessen Kindheit und Jugend vom Krieg geprägt sind, Kreuze als Auszeichnung ein Gräuel.“ Als Jugendliche hätten sie sich damals geschworen, nie wieder Uniformen und Auszeichnungen zu tragen, sondern Menschen zu sein. Doch er freue sich trotzdem. Doch: „Ich bin nur einer unter vielen, der dabei war bei dem, was erreicht wurde“, sagte Röhm. Und das Team dankt ihm nun an seinem 95. Geburtstag mit einem kleinen Empfang vor der KZ-Gedenkstätte.