Schmale Schultern, kaum Hüfte: Models auf der Fashion Week in New York. Foto: Antonio Calanni/AP/dpa/Antonio Calanni

Kommt mit den 90ern auch der „Heroin Chic“ zurück? Auf den Laufstegen in Paris oder Mailand sieht man wieder sehr schlanke Models. Was ein Model und ein Agenturbesitzer dazu sagen.

Hervorstehende Schlüsselbeine. Klapperdünne Arme und Beine. Ungesunde Gesichtsfarbe. So war sie, die „Heroin Chic“-Ästethik der 1990er Jahre. Keine stand mehr für diesen Trend als das britische Topmodel Kate Moss, von dem folgendes Zitat überliefert ist: „Nichts schmeckt so gut, wie sich dünn sein anfühlt.“ In den Nullerjahren waren dann wieder andere Typen gefragt: Am Beispiel Gisele Bündchen läutete die Vogue „die Rückkehr der sexy Models“ ein.

In den vergangenen Jahren wurde in der Modebranche das Stichwort „Diversity“ dann ganz groß geschrieben. Langbeinig und schlank galt plötzlich als langweilig. Curvy-Models wie Ashley Graham oder Paloma Elsesser wurden für Fashion Weeks gebucht, kamen auf die Titel der Modemagazine. Endlich, jubelte die Presse: Frauen, die aussehen wie die Verbraucherinnen, die die Klamotten doch letztlich kaufen sollen.

Zahl der Plus- und Midsize-Models sinkt

Jetzt feiern die 1990er in der Mode eine Renaissance. Und viele fürchten, dass sich damit durch die Hintertür auch der „Heroin Chic“ wieder einschleicht. „Schockierend dünn“ seien die Models in New York gewesen, sie habe sich kaum auf die Kleidung konzentrieren können, twitterte die „New York Times“-Modekritikerin Vanessa Friedmann nach der vergangenen Fashion Week am „Big Apple“. Daten von „Vogue Business“ und der Laufsteg-Suchmaschine „Tagwalk“, die im Frühjahr veröffentlicht wurden, scheinen diesen Eindruck zu bestätigen: Die Zahl der Plus- oder Midsize-Models bei den Fashion Weeks sinkt schon wieder. Bei 219 Schauen in New York, London, Mailand und Paris liefen im Frühjahr nur 0,6 Prozent Plus- und 3,8 Prozent Midsizemodels über den Laufsteg.

Das deutsche Model Anne-Sophie Monrad überraschen solche Zahlen nicht. „Dieser Curvy-Trend war ja nie so richtig wahr. Size Zero war nie weg. Er generierte zwar enorme Aufmerksamkeit: Sieh an, plötzlich sind auch Frauen mit Kurven auf den Laufstegen. Aber das ist ein sehr kleiner Markt.“ Die gebürtige Flensburgerin war bis vor ein paar Jahren in der Haute Couture zu Hause, lief für Chanel und Armani über den Laufsteg. Bis sie es nicht mehr aushielt: Das ewige Messen vor den Schauen, die Gespräche mit anderen Models, die sich nur ums Abnehmen drehten. Monrad spielte das Spiel nicht mehr mit und schrieb 2020 ein schonungslos offenes Buch über das Geschäft mit der Schönheit: „Fashion Victim“. Die heute 32-Jährige musste eine Essstörung überwinden. Seit sie ein paar Kilo mehr hat, ist sie glücklicher – wird aber nicht mehr so oft gebucht.

„Diversity ist geradezu Pflicht“

„Wir haben ein antrainiertes Schönheitsempfinden: Schlank gleich attraktiv“, meint Markus Brodbeck, der in Stuttgart die Casting-Agentur Brody Bookings führt. „Die Agenturen in den Modestädten Mailand oder Paris bedienen mit Haute Couture einen sehr speziellen Markt. Die üben natürlich Druck aus, damit ihre Models den Wünschen der Kunden entsprechen.“

Im Werbemarkt, für den Brodbeck die meisten Models aus seiner Kartei vermittelt, beobachtet der Stuttgarter keine Abkehr vom Midsize- oder Curvy-Trend – im Gegenteil. „Das klassische westliche Schönheitsideal der 80er und 90er Jahre gibt es nicht mehr. Diversity ist geradezu Pflicht.“ Sei eine Werbekampagne für Unterwäsche zu besetzen, seien Rundungen sogar besonders gefragt. „Ich finde diese Entwicklung gut, wenn sie noch eine gewisse Flexibilität und Leichtigkeit zulässt“, sagt Brodbeck, der seit 25 Jahren im Geschäft ist. Seine Einschätzung: Der Markt für Midsize- und Plussize-Models ist durchaus da – „aber eher nicht ganz oben an der Spitze der Haute Couture.“

Gegenüber „Vogue Business“ hatten die Modehäuser rasch eine Erklärung parat, warum kaum Plus- und Midsizemodels über ihre Laufstege laufen: Mehrere Designer und Labels erklärten der Fachzeitschrift, es sei schlicht zu umständlich, die Kleider auf größere Größen anzupassen. Vor allem deshalb buche man kaum Models jenseits der Kleidergröße 34 für Modenschauen. In den sozialen Netzwerken ist man da schon weiter: Unter dem Hashtag #midsize zeigen Frauen auf Tik-Tok oder Instagram, wie Designermode an ihren Normalfiguren ausschaut.