Der Trend an die Unis gefährdet die duale Ausbildung, sagt Experte Stefan Sell. Foto: dpa

Weil mehr als die Hälfte eines Jahrgangs studiert, haben Betriebe Probleme, Auszubildende zu finden. Viele Studenten sind für die Uni nicht geeignet, sagt Bildungsforscher Stefan Sell.

Stuttgart/Koblenz - Der Trend zu Abitur und Studium ist „katastrophal für das duale Ausbildungssystem“. Das sagt Stefan Sell, Direktor des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik der Fachhochschule Koblenz, den Stuttgarter Nachrichten. Viele Betriebe fänden deshalb keine oder nur ungeeignete Bewerber. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamts nimmt heute gut jeder Zweite eines Jahrgangs in Deutschland ein Studium auf, 2000 war es noch jeder Dritte, in den 50er Jahren gingen gerade mal fünf Prozent an die Hochschule.

„Das bringt auch Leute in die Hörsäle, die für dieses System nicht geeignet sind“, sagt Sell. Die Hochschulen seien darauf ausgerichtet, die Besten zu unterrichten. „Leute, die Hilfestellungen brauchen, gehen dort unter. Für sie wäre es viel besser, eine Ausbildung in einem Betrieb zu machen, in den sie eingebunden sind.“ Derzeit brechen etwa 25 Prozent ihr Studium vorzeitig ab.

Auch Handwerk leidet

Nicht nur der Sozialwissenschaftler kritisiert die zunehmende Akademisierung. „Die Hörsäle an den Hochschulen platzen aus allen Nähten, während Betriebe händeringend Bewerber für Ausbildungsplätze suchen“, sagt DIHK-Ausbildungsexperte Markus Kiss. Er prognostiziert: Bis Ende dieses Jahrzehnts werden bis zu 1,4 Millionen Facharbeiter in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik fehlen, aber nur 150.000 Akademiker in diesen Bereichen. Auch das Handwerk leidet unter sinkenden Abgängerzahlen an Haupt- und Realschulen. „Hier muss die Bildungspolitik umsteuern“, sagt Holger Schwannecke, Generalsekretär beim Zentralverband des Deutschen Handwerks. Außerdem fordert er „eine bessere Beratung über die Chancen der beruflichen Bildung auch an Gymnasien“.

Anfang August waren deutschlandweit laut der Bundesagentur für Arbeit noch rund 146.000 Ausbildungsplätze unbesetzt.