Magic Mushrooms, Zauberpilze, dürfen in der Schweiz bereits legal von einigen Ärzten in der medizinischen Behandlung angewandt werden. Foto: imago/Westend61/imago stock&people

Seit einiger Zeit werden Pilze, die Psilocybin enthalten, und Ecstasy für die Behandlung von psychischen Erkrankungen erforscht. In Australien ist die Therapie damit seit kurzem erlaubt. Könnte es auch bei uns bald psychedelische Pilze auf Rezept geben?

Der Wissenschaftsjournalist Bas Kast wurde mit seinem Buch „Der Ernährungskompass“ zum Beststellerautor. Für ein paar Wochen war er überglücklich. Doch schon nach wenigen Wochen auf der Erfolgswelle, kam der Einbruch. Er fühlte sich leer und depressiv.

 

Auf der Suche nach einem Weg aus der Depression testete er verschiedene Heilmittel. Von Eisbaden, über Meditation und gesunde Ernährung probierte er allerlei aus. Doch es verschaffte ihm keine Linderung. Deshalb habe er, so schreibt er in seinem aktuellen Buch „Kompass für die Seele“, versucht, mit psychoaktiven Substanzen seine depressiven Zustände zu überwinden.

Es ist kein verzweifelter Selbstversuch

„Ich nehme das Gläschen und betrachte es andächtig. Das, was sich darin befindet, ist kein Schnaps. Es sind weißlich-durchsichtige Kristalle, wie grobe Salzkristalle oder wie fein zerschlagenes Eis: MDMA, ungefähr 125 Milligramm. MDMA, das steht für 3,4-Methylendioxy-N-Methylamphetamin, besser bekannt unter dem Namen ‚Ecstasy’“, schreibt Kast in dem Kapitel „Mit Ecstasy und Psilocybin zu einem neuen Ich“.

Helfen Drogen tatsächlich bei psychischen Problemen? Es ist zumindest kein bloßer irrer Selbstversuch eines verzweifelten Wissenschaftsjournalisten. Auch in der medizinischen Forschung ist dies derzeit eine der großen Fragen auf der Suche nach neuen Medikamenten bei Depressionen, Ängsten, Magersucht oder posttraumatischen Belastungsstörungen.

Erforscht werden dafür die sogenannten „Magic Mushrooms“, Zauberpilze, und MDMD, die vornehmlich als Rauschmittel bekannt sind. Die psychoaktiven Pilze enthalten halluzinogene Verbindungen, am häufigsten Psilocybin und Psilocin. Seit einigen Jahren steht der Wirkstoff Psilocybin im Fokus der Forschung. Er gehört zur Gruppe der sogenannten Tryptamine und ähnelt strukturell dem Neurotransmitter Serotonin.

Lange vermutete man, dass Menschen mit Depressionen zu wenig Serotonin haben, deshalb wurde in psychiatrischen Behandlungen vornehmlich Präparate aus der Wirkstoffgruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) verschrieben. Inzwischen gilt die Serotonin-Hypothese als überholt. SSRI sind zwar immer noch die Mittel der Wahl in der Behandlung von Depressionen und Ängsten, allerdings haben sie bei vielen Patienten nur einen schwachen Effekt oder helfen nicht auf Dauer. Die Nebenwirkungen sind hoch, die Wirksamkeit war in vielen Studien bei leichteren und mittelschweren Depressionen teils nicht besser als bei Placebos und das Absetzen ist mitunter langwierig und mühselig.

Gelten die Pilze nun als das neue Wundermittel bei schweren psychischen Erkrankungen? Inzwischen gibt es viel Forschung dazu. Psilocin wirkt auf das zentrale Nervensystem (ZNS) und dort wohl unter anderem auf die Serotoninrezeptoren. Die Substanz kann die Wahrnehmung verändern, die Stimmung und das Bewusstsein. Seit den 70er-Jahren fallen psychedelische Substanzen allerdings unter das Betäubungsmittelgesetz. Sie gelten als gesundheitsschädigend und haben einen hohen Suchtfaktor.

Die Wirkung von Psilocybin ist bisher noch nicht geklärt

In ersten Therapieversuchen gab es vielversprechende Erkenntnisse: So konnte Psilocybin bei Personen mit schweren Depressionen kurzfristig die Symptome lindern. Erfolge zeigten sich bei der Raucherentwöhnung, bei posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) und sogar bei Magersucht. In der Schweiz und seit Juli auch in Australien sind die Substanzen MDMA (Ecstasy) und Psilocybin für den Einsatz in der Psychotherapie bereits freigegeben – allerdings nur unter ärztlicher Begleitung.

Die Wissenschaftsnetzwerk Science Media Center Deutschland hat mit verschiedenen Wissenschaftlern gesprochen, die zu psychedelischen Substanzen forschen. „Das Interesse an Psilocybin ist sehr groß“, sagt Gerhard Gründer, Leiter der Abteilung Molekulares Neuroimaging am Zentralinstitut für seelische Gesundheit Mannheim, dem Netzwerk.

Seit dem Jahr 2016 habe es stetig zugenommen. Das liege zum einen sicher daran, dass es in den letzten 20 Jahren so wenige Innovationen in der psychiatrischen Therapie gegeben hat, zum anderen aber an der Tatsache, dass Psychedelika, anders als alle verfügbaren Therapien, in wenigen Einzelgaben zu wirken scheinen. „Das stellt bisher gültige Paradigmen in Frage“, ergänzt Gründer, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie.

Die bisher vorliegenden Studien seien vielversprechend, diese liefen bei allen häufigen psychiatrischen Erkrankungen außer bei Schizophrenie und bipolaren Störungen, weil dort die Risiken als zu hoch gelten. „Von einer Zulassung sind wir allerdings noch viele Jahre entfernt“, räumt er ein. Er gibt auch zu bedenken, dass Psychedelika „wirkmächtige Substanzen“ sind, die auch Psychosen, Manien oder Depressionen erst auslösen können. Für Menschen, die entsprechend vorbelastet sind, auch wenn es nur Fälle in der Familie gibt, ist die Therapie also nicht geeignet. „Bei allen anderen könnte man diese Risiken aber in einem medizinischen Setting erheblich reduzieren.“

Bisher fehlt es allerdings an großen klinischen Studien, auch ist der Wirkmechanismus der Substanzen kaum geklärt. „Einige Studien zeigen nach der Psilocybin-unterstützten Therapie Veränderungen in der Art und Weise, wie das Gehirn Informationen verarbeitet, jedoch konnte bisher nicht gezeigt werden, dass diese mit einer Verbesserung der Symptomatik einhergeht“, sagt Katrin Preller, Leiterin der Arbeitsgruppe Pharmaco-Neuroimaging and Cognitive-Emotional-Processing am Institut für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Universität Zürich.

Die Substanz löst angenehme Gefühle aus

„Auch wird spekuliert, dass Psilocybin die Neuroplastizität anregt, also Lernen und Vergessen vereinfacht“, sagt Preller. Dies sei aber bisher nur in Tierstudien untersucht worden. Es brauche definitiv noch mehr Forschung, vor allem große Phase-III-Studien – also die letzte Phase im Entwicklungsprozess eines Medikamentes, bevor es durch die zuständigen Behörden zugelassen werden kann. Die bisher publizierten Daten zeigten wenig Nebenwirkungen. „Einige Patienten profitieren sehr lange, während bei anderen Depressionen zum Beispiel nach wenigen Wochen zurückkehrten“, so Preller.

Matthias Liechti, stellvertretender Chefarzt der klinischen Pharmakologie und Toxikologie an der Universität Basel sagt, „Psychedelika führen akut zu einem psychedelischen Erlebnis mit angenehmen Gefühlen – Gefühlen von Verbundenheit mit anderen, der Welt und mit sich selbst.“ Am besten sei die Datenlage für Depressionen, eine Anwendung bei Ängsten, anderen psychiatrischen Störungen sowie Cluster-Kopfschmerzen und Migräne seien aber denkbar.

Forscher der University of California in San Diego wiederum haben die Wirkung von Psilocybin als Therapeutikum bei Magersucht untersucht. In ihrer in der Fachzeitschrift „Nature Medicine“ veröffentlichten Studie beschreiben die Forscher die Behandlungsergebnisse bei der ansonsten oft recht therapieresistenten psychischen Störung. Zehn Teilnehmerinnen, die eine Verbesserung ihrer Krankheitssymptome erreicht hatten, erhielten eine Psilocybin-Therapie. Bewertet wurden Sicherheit, Verträglichkeit, primäre Ergebnisse, Patientenakzeptanz und essstörungsspezifische Psychopathologie.

Die Psilocybin-Therapie erwies sich als sicher und gut verträglich. Die Teilnehmerinnen berichteten drei Monate nach der Verabreichung über positive Veränderungen, wobei bei einigen eine klinisch signifikante Verringerung der Essstörung festgestellt wurde. Einige Teilnehmerinnen zeigten bereits nach einer einzigen Dosis ein deutlich positives Ansprechen. Es wurden keine schwerwiegenden unerwünschten Nebenwirkungen berichtet. Die Psilocybin-Therapie zeigte Verbesserungen bei der Angst und der kognitiven Flexibilität, von denen die Forscher vermuten, dass sie die mit der Magersucht zusammenhängenden Zwangsvorstellungen, starren Denkstile und eingefahrenen Verhaltensmuster unterbrechen könnten.

Die Ergebnisse einer Phase-II-Studie („Single-Dose Psilocybin for a Treatment-Resistant Episode of Major Depression“), veröffentlicht im New England Journal of Medicine, sind allerdings eher ernüchternd. Die 233 Probandinnen und Probanden erhielten einmalig 25, 10 oder ein Milligramm Psilocybin. Jegliche weitere antidepressive Behandlung wurde eingestellt.

In Studien sind die Ergebnisse nicht ganz überzeugend

Nach rund drei Wochen ließen bei etwa 30 Prozent der Personen, die mit der stärksten Dosis behandelt worden waren, die Symptome der Depression deutlich nach. In der 10-Milligramm-Gruppe war jedoch nur bei neun Prozent und in der 1-Milligramm-Gruppe bei acht Prozent der Teilnehmer eine Besserung zu beobachten.

Der Wissenschaftsjournalist Bas Kast hat seine psychedelischen Erfahrungen übrigens nicht auf eigene Faust unternommen. Kast rät auch dringend davon ab, selbst mit sich zu experimentieren. Und vor allem jüngere Menschen sollten Psychedelika überhaupt nicht in Erwägung ziehen als Therapie gegen psychische Erkrankungen, sie seien noch nicht gefestigt in ihrer Persönlichkeit, schreibt er in seinem Buch.

Auch ist Psilocybin keine Wunderpille. Es kursieren inzwischen teils völlig utopische Vorstellungen über die Wirkungen von Pilzen und anderen Drogen bei psychischen Krankheiten. Eine Wunderkur ist es nicht, vor allem nicht nach einer einmaligen Gabe. Zudem sind die Effekte außerhalb von Forschungslaboren, also in unbegleiteten Experimenten, bisher eher gering. Ein Grund ist, dass sich der Placeboeffekt bei Psychedelika-Studien nur schlecht herausfiltern lässt. Und Resultate können deshalb verzerrt sein und eventuell positiver ausfallen.

Bas Kast selbst war für seinen Versuch in einem darauf spezialisierten Zentrum in den Niederlanden unter der Leitung einer sogenannten „Tripsitterin“. Sein ganz persönliches Fazit: Er habe kein wirksameres Antidepressivum kennengelernt als Psilocybin.