Alter Bekannter am Beckenrand: Jürgen Rüdt steht als neuer Trainer der Cannstatter Bundesliga-Wasserballer vor einer schwierigen Saison Foto: Pressefoto Baumann

So schnell kann es gehen: Vergangene Saison spielten die Bundesliga-Wasserballer des SV Cannstatt noch um Platz drei. Vor dem Beginn der neuen Runde geht der Blick zwangsläufig nach unten.

Stuttgart - Sein Elternhaus steht am Jakobsbrunnen im Herzen von Bad Cannstatt. Mit seiner Frau Suse und den zwei Kindern wohnt er nur einen Steinwurf entfernt vom Vereinsbad des SV Cannstatt, für den er zwischen 1985 und 2002 stattliche 455 Bundesligaspiele bestritten hat, davon 13 Jahre als Kapitän. In der Saison 2003/04 trainierte er das Bundesligateam, danach wurde er Sportvorstand und von 2007 bis 2011 Trainer der vereinseigenen D-Jugend. Was also lag näher, als Jürgen Rüdt (45), diesen Inbegriff eines Eigengewächses, mit der Nachfolge des scheidenden Trainers Andras Feher zu betrauen? „Mach’ ich“, sagte der Speditionskaufmann. Das ist erst ein paar Wochen her, aber inzwischen mag sich Rüdt schon das eine oder andere Mal gefragt haben, ob seine Zusage wirklich so eine gute Idee war.

Denn die Vorzeichen haben sich geändert, gründlich geändert. Wo er anfangs vom „Erreichen des Halbfinales“ sprach, sagt er jetzt, kurz vor dem Start der Wasserball-Bundesliga an diesem Samstag: „Unser einziges Ziel muss es sein, den Abstieg in die B-Gruppe zu verhindern.“ Selbst wenn das gelingt, wäre es ein Rückschritt nach Platz vier in der vergangenen Saison. Immerhin: Der Trainerwechsel hat „der Mannschaft gutgetan hat, es weht ein frischer Wind“, hat Rüdt festgestellt. Er könnte auch sagen: ein rauerer Wind. Rüdt, Inhaber der A-Lizenz, ist ein kumpelhafter Typ – einerseits. Andererseits kommt er zuweilen auch hemdsärmelig herüber: Rüdt sagt, was er denkt: „Die schwäbische Ansprache tut den Spielern gut. Ich denke, sie mögen mich. Und mir macht es auch großen Spaß.“ Das ist relativ. Vor allem ist es vergänglich.

Vom Idealzustand ist der SV Cannstatt weit entfernt

In diesem Sommer sind Timo van der Bosch (zu Serienmeister Spandau 04), Mike Troll (zum SSV Esslingen) und Kapitän Miloslav Aleksic aus dem Cannstatter Wasser gestiegen. Aleksic pausiert aus Studien- und privaten Gründen in dieser Saison. Ob er danach wiederkommt, wagt auch Rüdt zu bezweifeln. Alle drei waren Stützen der Mannschaft, neben Nationalspieler Florian Naroska sogar die wichtigsten Akteure im Wasser – drei von sieben. Das ist ein gewaltiger Aderlass. Ersetzt wurden sie durch unbekannte Spieler wie Georg Uhlig (SSV Esslingen) und den Serben Nikola Stevanovic (Nis), der vor vier Wochen untrainiert ankam und konditionell den Anschluss sucht.

Bei idealen Trainingsbedingungen wäre das einigermaßen machbar, doch vom Idealzustand ist der SV Cannstatt weit entfernt. Weil die Vorbereitung in den Sommermonaten begann, war das Inselbad Untertürkheim den Spaßbadern vorbehalten. Früher wichen die Wasserballer in dieser Zeit in das vereinseigene Mombach-Bad aus, doch dort sind seit Juli die Türen verschlossen, weil das vor drei Jahren installierte Becken leck ist. Ende Oktober prüft ein Gutachter die Haftungsfrage, bis zur Wiedereröffnung vergeht weitere Zeit. Den Verein hat das inzwischen zahlreiche Mitglieder gekostet, die Wasserballer mussten ausweichen. Zuletzt trainierten sie sechs Wochen lang im Stadtbad Mitte und in Ludwigsburg. „Wir müssen dankbar sein, dass wir diese Möglichkeiten bekommen haben“, sagt Rüdt. Aufgrund der seit vielen Jahren ungelösten Situation um das geplante Sportbad und der maroden Traglufthalle im Inselbad weiß er aber auch: „Im Grunde ist es ein Wunder, dass es in Cannstatt noch Bundesliga-Wasserball gibt.“

Es ist ein Leben am Limit. Keiner weiß, wie lange das gutgeht. „Hinter Spandau, Waspo Hannover und dem ASC Duisburg kann alles passieren“, sagt Rüdt über die sportlichen Aussichten. Aber schon der Nachbar Esslingen, der neu in der A-Gruppe ist, hat sich gezielt verstärkt und dürfte Cannstatt den Rang ablaufen. „Deren Kader ist breiter aufgestellt“, sagt Rüdt, „die können mal einen Ausfall ausgleichen, bei uns darf gar nichts passieren.“ Das wäre der Idealzustand. Aber den kennen die Cannstatter seit Jahren nur vom Hörensagen.