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Manche Autofahrer tricksen lieber, als im Stau zu stehen. Die Polizei kann dagegen wenig machen.

Stuttgart - Für viele Autofahrer ist es im täglichen Berufsverkehr ein Daueraufreger: Während die einen brav im Stau warten, düsen die anderen auf der Abbiegespur vorbei, um sich über den kleinen Umweg einer Kreuzung wieder vorne einzureihen. Polizei und Ordnungsamt können gegen das Treiben wenig tun.

Hartmut Weber (Name geändert) gibt es zu. Er tut es. Jeden morgen, wenn sich die Blechkolonne schneckenlangsam aus Fellbach über die Nürnberger Straße nach Bad Cannstatt schiebt, schert er aus. Er setzt den Blinker, zieht nach links und saust an den stehenden Autos vorbei. Vorne an der Ampel biegt er in die Beskidenstraße, aber nur, um anschließend im Pulk der Ungeduldigen zu wenden und noch die grüne Ampelphase zu erwischen. Dann drückt er aufs Gas und schießt über die Kreuzung zurück auf die Nürnberger Straße mit dem guten Gefühl, ein paar Hundert Meter Stau überwunden zu haben. "Warum soll ich warten, wenn es auch schneller geht", sagt er. Dass es bei den Wendemanövern zum Teil äußert knapp hergeht, stört ihn nicht weiter.

Für die Polizei nur schwer zu kontrollieren

Es ist nicht die einzige Stelle in Stuttgart, die einen solchen Schleichweg vorbei an den Wartenden ermöglicht. Beliebte Überholstrecken sind beispielsweise auch die Abbiegespuren zum Parkhaus Albstraße auf der B 27 in Degerloch, der Abzweig der B 27 von der Friedrichstraße in die Kronenstraße in der Innenstadt, der kleine Umweg über die Villastraße, wenn auf der Cannstatter Straße vor dem Schwanentunnel auf drei Spuren nichts mehr geht - oder der Schlenker über die Zufahrt zu Daimler und Pressehaus an der Plieninger Straße, falls auf dem Weg von Möhringen nach Birkach die Ampel Rot zeigt. Manchmal, wie auf der Neuen Weinsteige in Richtung Innenstadt, wird die Abbiegespur auch einfach dazu benutzt, sich kurz vor Ende der Fahrbahn in eine Lücke auf der Geradeausspur zu drängeln.

Was manchen Autofahrer zur Weißglut bringt, ist für die Polizei und Ordnungsamt ein nur schwer kontrollierbares Phänomen. "Solche Stellen gibt es in der Stadt zuhauf", sagt Polizeisprecher Olef Petersen. Eine lückenlose Überwachung sei jedoch kaum leistbar. Ein Bußgeld wird laut Ordnungsamt nur dann fällig, wenn Busspuren benutzt (15 Euro) , durchgezogene Linien oder schraffierte Flächen überfahren werden (10Euro). Wird beim Fahrbahnwechsel ein nachfolgendes Fahrzeug behindert, kann es sogar 30 Euro kosten. Ansonsten, so die Polizei, seien die Manöver höchstens moralisch zu beanstanden. "Was die Rücksicht gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern betrifft, muss sich jeder an die eigene Nase fassen", sagt Olef Petersen.

Mit Stoppuhr messen und vergleichen

Einen Grund für die Häufung dieser Ausweichaktionen sieht er schlicht in der Entwicklung des Verkehrsaufkommens. Weil immer mehr Autos fahren und der Verkehr langsamer fließe, sei die Tendenz zum Tricksen vielleicht etwas größer. Allerdings gibt er zu bedenken: "Solche Spezialisten hat es schon immer gegeben, das war vor 20 Jahren nicht anders."

Auch das Ordnungsamt schreitet nur ein, wenn die Auswüchse allzu schlimm werden. So wurden auf der B 27 beim Parkhaus Albstraße vor einiger Zeit Baken installiert, um das Wechseln auf die beginnende dritte Spur zu verhindern. Überholer müssen nun zum Parkhaus abbiegen, wenden und vor der Ampel warten. Wegen der durchgezogenen Linie ist dies eigentlich verboten. Den zeitlichen Vorteil schätzt Bernd Eichenauer, Leiter der Abteilung Verkehrsregelung beim Ordnungsamt, in diesem Fall als gering ein. "Die Ampelphase ist morgens so kurz eingestellt, das bringt höchstens ein paar Sekunden."

Mit Stoppuhr messen und vergleichen

Weitere Punkte, an denen das Ordnungsamt einschreiten müsste, sieht Eichenauer derzeit nicht. Viele, wie jener auf der ehemaligen B14 von Fellbach nach Bad Cannstatt, seien historisch bedingt. Andere können bei einer Neugestaltung entschärft werden. So habe man etwa bei Heilbronner Straße streng darauf geachtet, Situationen mit einer wenig befahrenen Spur zu vermeiden. "Wo Fahrbahnen gleich ausgelastet sind, bringt der Wechsel nichts."

Für alle überzeugten Spurentrickser empfiehlt Eichenauer übrigens, die Fahrten auf der Hauptstraße und Schleichwegen mit der Stoppuhr zu messen und zu vergleichen. "Da wird mancher vollkommen neue Erkenntnisse gewinnen", sagt er. Und vielleicht in Zukunft auf waghalsige Überhol- und Wendemanöver verzichten.