Die Stadt und ihr früherer Vertragspartner Wolff & Müller wollen sich im millionenschweren Rechtsstreit offenbar außergerichtlich einigen. Die ausbleibende Schadensersatzsumme, in die Kalkulation für das Tunnelprojekt eingepreist, muss nun allerdings von der Stadt über den Haushalt nachfinanziert werden.
Stuttgart - Die gute Nachricht vorweg: Die Stadt und das Zuffenhausener Bauunternehmen Wolff & Müller wollen offenbar einen jahrelangen Rechtsstreit um mutmaßliche Sicherheitsverstöße beim Bau des Leuze-Tunnels im Zusammenhang mit dem Projekt Rosensteintunnel sowie horrende Schadensersatz- und Nachtragsforderungen vermeiden. Nach Informationen unserer Zeitung haben sich die Streitparteien im Grundsatz darauf verständigt, die gegenseitig erhobenen Forderungen fallen zu lassen. Die schlechte Nachricht für den Steuerzahler: Die Kosten für das Gesamtprojekt Rosensteintunnel steigen damit auf weit über 400 Millionen Euro und liegen damit mehr als doppelt so hoch wie 2012 beim Baubeschluss des Gemeinderats.
Beide Parteien hatten sich im Spätsommer vergangenen Jahres zunächst vor einer Zivilkammer des Stuttgarter Landgerichts getroffen, um die gegenseitigen Forderungen durchzusetzen. Aktenberge mit Dokumenten ließen bereits damals erahnen, dass sich das Verfahren über Jahre hinziehen könnte. Inklusive aller Berufungsinstanzen wäre ein Zeitrahmen von bis zu 15 Jahren durchaus realistisch gewesen. Die Vorsitzende Richterin hatte daher seinerzeit eindringlich an beide Parteien appelliert, sich zu vergleichen. Der Appell hat offenbar gefruchtet: Aus dem Rathaus heißt es, das Risiko eines Jahrzehnte währenden Verfahrens mit ungewissem Ausgang sei nicht zu vertreten. Technikbürgermeister Dirk Thürnau (SPD) wollte die Einigung auf Anfrage unserer Redaktion zunächst nicht bestätigen.
Stadt hatte 2017 Vertrag mit Wolff & Müller gekündigt
Ein Rückblick: Im März 2017 hatte die Stadt den Vertrag mit der für den Umbau des Leuze-Knotens verantwortlichen Tochterfirma von Wolff & Müller gekündigt – unter anderem wegen angeblicher schwerwiegender Sicherheitsverstöße auf der Baustelle. Unter anderem war ein 58-jähriger Bauarbeiter im März 2016 bei einem Unfall getötet worden. Als besonders gravierend hatte die Stadt vor Gericht auch ausgeführt, dass Wolff & Müller im Februar 2017 das Ausbringen einer Schotter- und Frostschutzschicht im Gleisbereich zwischen den Haltestellen Wilhelma und Mineralbäder nicht ausreichend abgesichert und zuvor keine Genehmigung bei den SSB eingeholt zu haben.
Hinzu kamen – aus Sicht der Stadt – unberechtigte Nachforderungen des Unternehmens in Höhe von 55 Millionen Euro. Die Stadt ihrerseits hatte 60 Millionen Euro Schadensersatzansprüche für nicht erbrachte Leistungen sowie Verzögerungen beim Bau des Leuze-Tunnels geltend gemacht. Der Auftrag musste letztlich neu ausgeschrieben werden, die Firma Züblin erhielt am Ende den Zuschlag. Während der Rosensteintunnel, für dessen Innenausbau ebenfalls Wolff & Müller verantwortlich zeichnet und wo ebenfalls Nachforderungen anfielen, im September dieses Jahres in Betrieb gehen soll, verzögert sich die Fertigstellung des Leuze-Knotens bis 2024. Wolff & Müller hatte sämtliche Vorwürfe energisch bestritten und seinerseits die Nachträge beim Bauauftrag mit zusätzlichen Leistungen infolge von Planänderungen seitens der Stadt gerechtfertigt.
Stadt muss Haushaltsmittel zur Nachfinanzierung bereit stellen
Unter dem Eindruck der Empfehlung des Gerichts soll es in den vergangenen Wochen zahlreiche Gespräche zwischen den streitenden Parteien gegeben haben, an deren Ende nun eine Einigung und der Verzicht auf einen langwierigen Rechtsstreit steht. Für die Stadt bedeutet das allerdings, dass die in der bisherige Kostenkalkulation für das Gesamtprojekt Rosensteintunnel eingerechnete Schadensersatzsumme durch zusätzliche Haushaltsmittel kompensiert werden muss. Zuletzt lag das Projekt bei 380 Millionen Euro und damit bereits doppelt so hoch wie beim Baubeschluss 2012, der von einer Mehrheit von CDU, FDP, Freien Wählern und SPD getroffen worden war. Der Zuschuss von Bund und Land zu dem Verkehrsprojekt ist bei 112 Millionen Euro gedeckelt. Da der Risikotopf des Projekts bereits nahezu ausgeschöpft ist, muss die Stadt nachfinanzieren, zumal durch Baupreisteigerungen beim Leuze-Tunnel ebenfalls Mehrkosten anfallen.
Allerdings muss der Gemeinderat dem Vergleich in der kommenden Woche erst noch zustimmen. Der Bau des Rosensteintunnels soll die angrenzenden Stadtbezirke vom Durchgangsverkehr entlasten. Kritiker befürchten allerdings seit jeher eine Verkehrszunahme durch die Tunnelverbindung zwischen Wilhelma und Pragsattel. Zuletzt hatten mögliche hohe Stickoxid-Immissionen am Tunnelausgang an der Löwentorkreuzung nach der Inbetriebnahme der Röhren Schlagzeilen gemacht. Die Deutsche Umwelthilfe prüft mögliche Klagen.