Spezialistin für Fragen der Bürgerbeteiligung: Gisela Erler Foto: Staatsministerium

Mitreden ist in. Das zeigt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Doch wie erreicht man, dass nicht nur die lokale Wortelite die Stimme erhebt? Wir fragten Gisela Erler, Staatsrätin für Bürgerbeteiligung.

Stuttgart - Mitreden ist in. Das zeigt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. Doch wie erreicht man, dass nicht nur die lokale Wortelite die Stimme erhebt? Wir fragten Gisela Erler, Staatsrätin für Bürgerbeteiligung.

Frau Erler, braucht Baden-Württemberg mehr direkte Demokratie?
Die Bertelsmann-Studie sagt klar, dass Baden-Württemberg sowohl mehr direkte Demokratie braucht als auch mehr diskutierende Beteiligung. Mich hat überrascht, wie stark die Bürger sagen, es sei nicht nur wichtig, direkt demokratisch abzustimmen, sondern auch dann mit zu diskutieren, wenn letztlich der Rat entscheidet. Das heißt für mich, wir sind auf dem richtigen Weg, indem wir versuchen, beide Varianten zu stärken.
Es heißt aber auch: Bürger sind enttäuscht, wenn sie nicht über das Ob, sondern nur über das Wie mitreden können. Genau das wirft man Ihnen aber beim Thema Nationalpark vor.
Im Nordschwarzwald hatte das Dialogverfahren die Schwäche, dass wir nicht klar genug kommuniziert hatten, dass es nicht um das Ob geht, sondern um das Wie. Es ging hier schließlich um ein Projekt von überregionaler Bedeutung. Darüber musste der Landtag entscheiden. Trotzdem war das Dialogverfahren hilfreich, es wurden zahlreiche Bedenken und Einwände berücksichtigt. Das hat die Gestaltung des Nationalparks entscheidend mitbeeinflusst und verbessert.
Ist das nicht ein Widerspruch zu der Studie?
Wo immer es möglich ist, die Bürger über das Ob entscheiden zu lassen, werden wir das tun. In vielen Fällen wird das aber rechtlich nicht möglich sein, etwa beim Bau von Autobahnen oder Stromtrassen. Dann kann es nur um das Wie gehen. Die Studie zeigt, dass die Bürger auch daran hoch interessiert sind. Es bleibt aber ein Konflikt, das bestreite ich nicht. Es gibt Leute, die eben nur über die Grundsatzfrage entscheiden wollen. So war es zum Beispiel jetzt in Tuningen, wo die Bürgerschaft den Neubau eines Gefängnisses abgelehnt hat.
Was tun Sie, wenn die Bürger nicht nur in Tuningen, sondern überall im Land den Bau eines Gefängnisses ablehnen?
Für diesen Fall gäbe es die Möglichkeit, den Bau hoheitlich anzuordnen. Wir wollen das aber im kommunalen Einvernehmen machen. Wir gehen fest davon aus, dass in einer der drei verbliebenen Gemeinden das Gefängnis gebaut werden kann. Die Bürgerbeteiligung dankt aber auch nicht deshalb ab, weil es in einzelnen Themen nicht möglich ist, einen Konsens zu finden.
Gibt Ihnen die Studie Anlass, Ihre Beteiligungspolitik zu korrigieren?
Wir sind in einem Lernprozess. Beim Filderdialog zum Beispiel hatten wir nicht klar genug kommuniziert, wo die Grenzen dieser Beteiligungsform liegen, etwa was die Veränderungsbereitschaft der Bauträger angeht. Ich würde jetzt nicht sagen, dass wir den Filderdialog nicht mehr hätten anbieten sollen. Aber wir würden uns mit den Projektverantwortlichen klarer verständigen, wo sie die Grenzen ziehen. Und wie groß die Entscheidungsspielräume sind.
Die Studie besagt auch, dass die Akzeptanz für Online-Beteiligungen nicht so groß ist wie für anderen Mitspracheformen. Ist das für Sie Anlass, bei Online Abstriche zu machen?
Überhaupt nicht. Die Online-Beteiligung ist ein kleiner, aber sinnvoller Modernisierungsbaustein. Sie wird wachsen, und die jüngere Generation wird sie stärker nutzen als die ältere. Sie ist aber nicht repräsentativ, und sie ersetzt auch nicht andere Formern der Mitsprache.
Wollen nicht stets nur jene Bürger mitreden, die politisch gebildet und aktiv sind?
Es ist wahrscheinlich unser größtes Problem, dass bestimmte Gruppen bei Dialogveranstaltungen überhaupt nicht vertreten sind. Das gilt im übrigen auch für Wahlen. Ich lege deshalb großen Wert darauf, Menschen einzubeziehen, die bildungsfern und politisch nicht festgelegt sind. Das geht zum Beispiel, indem man Teilnehmer von Dialogveranstaltungen nach dem Zufallsprinzip auswählt, so wie wir es beim Filderdialog gemacht haben. Wir sollte außerdem versuchen, zu den Leuten selbst zu gehen und Orte wie Familienzentren, Nachbarschaftszentren oder Mehrgenerationenhäuser einzubeziehen. Wir möchten, dass die Verwaltung lernt, auch mit diesen Gruppen in einen organisierten Dialog zu treten.