Ein Theaterprojekt verheißt Rettung aus dem leeren Luxusleben: Valeria Bruni Tedeschi in „Die süße Gier“ Foto: Verleih

Falsche Fährten, raffinierte Finten: Paolo Virzi hat ein virtuoses Episodendrama voll überraschender Wendungen inszeniert. Auch dank seines grandios agierenden Ensembles, aus dem die Frauenfiguren herausragen, gelingt Virzi ein ebenso spannender wie kunstvoller Film.

Filmkritik zum Kinofilm "Die süße Gier"

Was bedeutet Glück? Die Vorstellung davon und die Suche danach können in Paolo Virzis neuem Film sehr unterschiedlich aussehen. Vieldeutig ist dabei der Originaltitel „Il capitale umano“ (Humankapital) – im deutschen spiegelt sich höchstens die erste von drei Episoden. In dieser wähnt sich der kleine Immobilienmakler Dino Ossola (Fabrizio Bentivoglio) endlich auf der Sonnenseite des Lebens, weil seine Tochter Serena mit Massimiliano zusammen ist, Sohn der schwerreichen Familie Bernaschi. Ein gemeinsames Tennis-Match mit Massimilianos Vater Giovanni (Fabrizio Gifuni) reicht, und Dino fühlt sich wie dessen bester Freund, lässt sich von dem aalglatten Finanzspekulanten auch sogleich einen hochriskanten Investmentfonds andrehen. Blind vor Gier missachtet er alle Warnhinweise – und steht vor dem Ruin, als der Fonds einbricht.

Keinerlei materielle Probleme hat Giovannis Frau Carla (Valeria Bruni Tedeschi), dafür ist sie hochneurotisch und frustriert ob der Gleichgültigkeit ihres Gatten. Neuen Sinn für ihr leeres Luxusleben scheint die Rettung eines baufälligen Theaters zu bieten. Das Kulturprojekt gedeiht, mit dem künstlerischen Leiter fängt Carla eine Affäre an und genießt die lange vermisste Wertschätzung, doch beides endet abrupt, als Giovanni den Geldhahn zudreht. Als ihr Sohn Massimiliano dann auch noch verdächtigt wird, im Suff einen Fahrradfahrer angefahren zu haben, scheint alles zusammenzubrechen.

Unterschiedlicher als ihr Vater Dino oder Carla könnte Serena Ossola (Matilde Gioli) kaum sein. Reichtum und Macht der Bernaschis imponieren ihr nicht im Geringsten, für die selbstbewusste junge Frau zählen vielmehr innere Werte. Von ihrem verwöhnten und oft groben Freund Massimiliano will sich Serena denn auch trennen, als sie sich in den sensiblen Luca verliebt, der als Waise im versifften Apartment seines drogendealenden Onkels wohnt. In der Unfallnacht aber begleitet sie noch einmal Massimiliano – und gerät in schwerste Konflikte.

Regisseur Virzi hat den Thriller „Human Capital“ des US-Autors Stephen Amidon adaptiert und die Handlung in die Lombardei verlagert. Gewitzt spielt er mit den Zuschauern, indem er die drei Geschichten, deren Angelpunkt jeweils der Unfall bildet, nacheinander erzählt – so gibt er sukzessive immer neue Details preis, die vorher suggerierte Deutungen teils komplett auf den Kopf stellen.

Doch nicht nur durch seine große inszenatorische Virtuosität, auch dank seines grandios agierenden Ensembles, aus dem die Frauenfiguren herausragen, gelingt Virzi ein ebenso spannendes wie kunstvolles Episodendrama.

Dass „Die süße Gier“ wie eine rabenschwarze Satire auf den zerstörerisch wirkenden Charakter der modernen Finanzwirtschaft beginnt und mit abgründigem Humor nicht geizt, ist dabei im Grunde auch nur eine raffinierte Finte. Denn letztlich bleiben Wirtschaftskrise und Spekulationsirrsinn nur Randaspekte einer um Verantwortung und Loyalität kreisenden Kriminalgeschichte, in der allerdings das zuvor sorgsam gezeichnete Bild einer abgekoppelten und skrupellosen Elite den Zuschauer lange auf eine falsche Fährte lockt.

Selbst die moralisch integer erscheinenden Figuren haben am Ende Schuld auf sich geladen – mag ihr Handeln auch nicht so eiskalt kalkuliert wirken.

Was sonst noch im Kino in Stuttgart läuft, finden Sie in unserem Kino-Programm.