Für das weltbedrohende Chaos in der Region schieben sich die einzelnen Staaten die Schuld gegenseitig in die Schuhe.
München - Na, das kennen Sie doch, oder?“ Benjamin Netanjahu reckt ein etwa 70 Zentimeter langes, bräunliches Metallstück hoch, das aussieht wie das Leitwerk eines Flugkörpers. Dem iranischen Außenminister hält er es gewissermaßen unter die Nase. Netanjahu behauptet, das Stück sei Teil einer iranischen Drohne, die Israel kürzlich über seinem eigenen Terrain abgeschossen hat – Beweis, unwiderlegbar sozusagen, der fortdauernden „Aggression“ Teherans. Netanjahu droht: Israel werde gegen die Aggression „tätig werden“. Nicht nur gegen die „Stellvertretermilizen des Regimes in Syrien und Libanon, sondern gegen den Iran selbst.“
Wenig später wettert wiederum der libanesische Verteidigungsminister Yaqub Sarraf gegen „fortwährende“ militärische Übergriffe Israels auf sein Staatsgebiet: „Wir werden niemals eine Aggression akzeptieren! Zwingen Sie kleine Länder nicht zu verzweifelten Maßnahmen!“
Iran stellt sich als das friedlichste Land der Welt dar
Und als letzter Redner der Sicherheitskonferenz tönt der Außenminister Saudi-Arabiens Adel bin Ahmed al-Dschubair: Der Iran exportiere Terror in alle Welt, er „bedroht unser Volk“, und Saudi-Arabien werde „in allen Bereichen, wo wir das können, gegen den Iran vorgehen, so lange er sein Verhalten nicht ändert.“
Umgekehrt stellt sich der Iran in den Worten seines Außenministers Mohammad Dschawad Sarif als das friedlichste Land der Region dar, während die anderen Mächte hinter einer „Hysterie“ gegenüber Teheran ihre eigenen Vormachtsinteressen versteckten. Sarif warnt vor einem Großkonflikt am Persischen Golf, der „noch für Generationen zu Unruhe führen“ könnte.
Der Nahe Osten bestimmte den letzten Tag der Münchner Sicherheitskonferenz – in nicht eben beruhigender Weise. „Die Dinge sind viel schlimmer als vor einem Jahr; eine ganze Region im Chaos, ein Gordischer Knoten“, so beschrieb es UN-Generalsekretär António Guterres, Nicht einmal zu einem gemeinsamen Auftritt für die Fernsehkameras haben sich die angereisten nahöstlichen Spitzenpolitiker in München bereitgefunden; sie betraten die Bühne lieber nacheinander, allein.
Zur Zwei-Staaten-Lösung will sich Netanjahu aktuell nicht äußern
Nur Netanjahu wittert ein bisschen Morgenluft: Die Angst vor dem nuklearen Potenzial des Iran habe Israel und seine arabischen Nachbarn „näher zusammengebracht“ als bisher. „Da haben wir eine Schwelle überschritten; ich hätte mir das nie vorstellen können.“ Dadurch, so paradox das klinge, steige die „Chance auf Frieden mit den Palästinensern.“ Zur Zwei-Staaten-Lösung wollte sich Netanjahu aktuell nicht äußern, er warte auf die von US-Präsident Donald Trump angekündigten neuen Vorschläge: „Geben wir denen eine Chance.“
Eigentlich waren der Nahe Osten und alle am Konflikt beteiligten Staaten in München komplett vertreten; von Netanjahu hieß es ausdrücklich, er habe hinter den Kulissen zwei Tage lang „bilaterale Gespräche“ geführt. Über die Inhalte und die Perspektiven war natürlich nichts zu vernehmen. In den offiziellen, weltweit per Internet übertragenen Veranstaltungen dominierte die Kriegsrhetorik – und von dieser gab es nur eine Ausnahme: Der Emir von Katar, Tamim Al-Thani, versuchte die Golfregion von einem Bündnis à la Europäische Union zu überzeugen: „Diese Länder haben ja auch gelernt, nach fürchterlichen Konflikten friedlich zusammenzuleben.“ Aber keiner seiner Kollegen griff das auf. Und der Emir fürchtet angesichts saudischen Drucks weiter um die schiere Existenz seines Landes.