Der erfolgreichste Designer der Königsklasse mit Pokal: Adrian Newey Foto: IMAGO/PanoramiC/IMAGO/Xavi Bonilla

Adrian Newey ist der erfolgreichste Designer der Formel 1. Auch Max Verstappen und Red Bull verdanken ihm ihre Titel. Dass der Brite auch das Unglücksauto von Ayrton Senna baute, beschäftigt ihn bis heute.

Kopf in den Nacken, bis zur Schräglage. Schmerzt, geht aber nicht anders. Fast zehn Meter hoch dürfte der Trophäenschrank in der Rennfabrik von Red Bull Racing sein. Das lässt den stattlichen Mann, der so andächtig davorsteht, klein erscheinen. Dabei ist er der Größte seiner Zunft. Adrian Newey, 64, Hauptberuf: Weltmeistermacher in der Formel 1.

Alle 101 Siege der amtierenden Champions haben mit einer ersten Skizze in seiner abgegriffenen Kladde begonnen. Insgesamt haben seine Autos noch 100 Grand Prix mehr gewonnen, bringt er selbst es auf zwölf Fahrer- und elf Konstrukteurstitel, am Jahresende dürften noch zwei dazukommen. 25 WM-Pokale – wenn einer dem Begriff „verantwortlich zeichnen“ ein Gesicht geben kann, dann wohl der Mann, den Freund und Feind das „Superhirn“ nennen.

Mit seinem schlichten Pullover und dem rosafarbenen Hemd wirkt er very british, könnte eher in eine Folge von „Inspector Barnaby“ passen als in die laute Welt der Formel 1, die an diesem Wochenende beim Großen Preis von Großbritannien (16 Uhr) noch ein bisschen rummeliger ist als anderswo. Wenn Newey dann in Teamuniform am Kommandostand von Red Bull sitzt, hat er nichts von seiner andächtigen Ruhe verloren, vermutlich sitzt er auch genau deshalb da ganz vorn. Ein Einsiedler in der Boxengasse. Keiner weiß, was er denkt, er sagt nicht viel. Aber man sieht, dass er denkt. Und wenn er was sagt, dann bekommt er im Wortsinn die Zähne kaum auseinander. Manchmal tauscht er mit Teamchef Christian Horner nur einen Blick aus, und der sagt dann alles.

Senna-Unglück ist unvergessen

So wie er es in sich hineingefressen hat, als Ayrton Senna 1994 in einem von ihm konstruierten Williams-Rennwagen ums Leben kam. Jahrelang hat die italienische Staatsanwaltschaft versucht, dem Konstrukteur Totschlag anzuhängen. Der Prozess hat ihn verändert. „Das letzte bisschen Haare, das ich noch hatte, ist ausgefallen“, sagt er leise. Das mag britisch-ironisch klingen, ist aber nicht so gemeint. „Es war, als ob mir die Luft zum Atmen entzogen worden wäre. Ich habe mich nicht nur gefragt, ob wir einen Fehler beim Autobau gemacht haben. Sondern grundsätzlich, ob ich für einen Sport leben will, in dem gestorben wird.“ So dachten viele damals, aber Newey fühlte sich allein. Und hat sich noch etwas mehr abgekapselt, auch als der Freispruch kam. Wie schmal der Grat zwischen Tragik und Triumph in der Formel 1 ist, auch dafür steht seine Biografie.

Der aktuelle Rennwagen von Max Verstappen trägt die Nummer Eins und die Bezeichnung RB 19. Aber Neweys Geheimwaffe kommt mit dem Kürzel 2B aus. Schon immer. Das ist die Bleistiftstärke, die man an der Uni von Southampton brauchte, um Aeronautik und Astronautik zu studieren. Sprich: Raketen zu zeichnen. Die kratzenden Stifte zieht er immer noch jedem Designprogramm am Computer vor. Bei Red Bull haben sie zwei Mitarbeiter abgestellt, die Neweys Entwürfe in 3-D-Vorlagen übertragen. Auch in der Handarbeit ist er stur. Für ihn macht sie die Erotik seiner Ideen einfach besser lebendig. „Ich bin eben ein bisschen oldschool“, sagt er verschmitzt. In Wahrheit geht es darum, mit der Linie eins zu werden, der Ideallinie für ein Auto. Fühlen und verstehen, das ist der Anfang seiner Schöpfungen.

Die schönsten Autos

Von seiner schöpferischen Ideallinie weicht der Erfolgsarchitekt nicht ab, da können sie noch so viele Reglementsänderungen und Einschränkungen planen: Newey bleibt Grenzgänger. Seine Autos sind oft die schönsten, vielleicht auch die fragilsten, von der Technik her die gewagtesten. So wird man Dauersieger. Newey wurde, als er von Williams zu McLaren ging und dann von Jaguar abgeworben werden sollte, zum ersten Designer, der ein zweistelliges Millionengehalt kassiert hat. Ausgehandelt von seiner Frau. Mittlerweile dürfte er so viel verdienen wie einer der Top-Fahrer, also von 20 Millionen an aufwärts. Red Bull hat seinen Vertrag gerade wieder vorzeitig verlängert, denn die Konkurrenten stocken die Angebote auf.

Wird er mit dem charakterisierenden Wort „Genie“ bedacht, dann wird Adrian Newey verlegen und versucht das Kompliment wegzulachen: „Das menschliche Gehirn ist doch ein lustiges Ding. Manchmal kommt einem die große Idee einfach beim Duschen, wie eine Schaumblase. Und dann hat man wieder eine ewige Blockade.“ Grundsätzlich hat er für sich die Ethik großer Künstler beschlossen: „Im Einfachen liegt das Geniale.“ Seine Rennwagen sollen nicht bloß schnell, sondern immer auch ästhetisch sein. Zugespitzt lautet die Frage: Techniker oder Philosoph? Antwort: „Philosoph, mit fundiertem technischem Background.“

Der Rennwagenflüsterer

Spricht der Rennwagenflüsterer von seiner Aufgabe, dann geht es immer um eine große Herausforderung: „Das Auto überhaupt zu verstehen.“ Manchmal dauert das ein halbes Jahr. Aber am Limit bestehen nur die Extremisten. Keiner baut so schlanke Boliden, keiner geht so große Risiken ein. Alles, was besonders gut oder gewagt ist in der Formel 1, wird entweder von den Gegnern kopiert oder den Kommissaren verboten. Das Duell mit den Wettbewerbshütern ist Neweys persönliches Rennen.

Lob scheint ihm derweil peinlich, Stolz lässt er kaum zu – denn Adrian Newey glaubt vor allem an einen Grundsatz: „Wenn du dem auch nur ein bisschen nachgibst, dann wirst du im nächsten Moment überholt.“