Diabetes-Patienten benötigen engmaschige Unterstützung durch Hausärzte, Diabetologen, Kliniken und Ernährungsberater. Doch die Versorgung droht, sich zu verschlechtern. Fachärzte warnen vor Versorgungsengpässen im Land.
Der Körper von Erika Schneider muss viele Kämpfe ausfechten: Da wären etwa Erkältungsviren und andere Krankheitserreger, für die Zuckerkranke wie Erika Schneider (Name geändert) besonders empfänglich sind. Hohe Blutzuckerwerte schwächen das Immunsystem. Auch das Herz ist durch den Diabetes angreifbarer geworden. Das Infarktrisiko ist bei Zuckerkranken fast verdoppelt. Daher nimmt die 74-Jährige aus der Region Karlsruhe ihre vierteljährlichen Vorsorgetermine beim Hausarzt regelmäßig wahr. Doch jetzt will der Arzt altersbedingt seine Praxis schließen. Schneider fragt verzweifelt: „Wo soll ich jetzt unterkommen?“
Immer mehr in Diabetes geschulte Hausärzte hören auf
Es sind Geschichten wie diese, die Wolfgang Stütz, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Diabetologie Baden-Württemberg (ADBW) derzeit häufig zu hören bekommen. Der niedergelassene Diabetologe in Bretten bekommt viele Anfragen von Diabetikern, die von seiner Praxis mitbetreut werden möchten – „weil sie keinen Hausarzt oder Diabetologen in ihrer Nähe finden“.
Haushaltsplanentwurf 2023 sieht weitere Kürzungen vor
Stütz bezeichnet dies als „erwartbare Folge einer zunehmenden Verschlechterung der Versorgung von Menschen mit Diabetes mellitus“. Er ist mit der Einschätzung nicht allein: Seit Jahren ruft die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) die Bundesregierung dazu auf, sich dieser Versorgungsproblematik zu widmen. Sie kritisiert den Haushaltsplanentwurf 2023, in dem die ursprünglich vorgesehenen drei Millionen Euro jährlich für die Diabetes-Prävention und Versorgung um 64 Prozent gekürzt werden soll. „Der Haushaltsentwurf bremst damit viele sinnvolle Maßnahmen brutal aus – durch die Hintertür“, so DDG-Präsident Andreas Neu. Zudem werde es aufgrund des Fachkräftemangels zu Versorgungsengpässen kommen.
Viele Kliniken halten keine Fachabteilungen und Expertise für Diabetes vor
Schon jetzt kommen jährlich 300 000 Patienten mit Diabetes ins Krankenhaus und können häufig nicht angemessen versorgt werden. Viele Kliniken halten keine Fachabteilungen und Expertise für Diabetes vor – aus ökonomischen Gründen: Bei der Betreuung von Diabetes-Patienten geht es meist um Beratungen und Schulungen, die schlecht vergütet werden. Dabei warnen Experten wie Ralf Lobmann, Vorsitzender der ADBW: Nur mit einer qualifizierten diabetologischen Versorgung werde die Zahl von Spätkomplikationen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall, die hohe Kosten für das Gesundheitssystem bedeuten, vermieden.
Fachbeirat Diabetes der Landesregierung setzt sich verstärkt ein
Im Sozialministerium des Landes gibt es seit 2014 einen Fachbeirat Diabetes aus Vertretern von Wissenschaft, Medizin und Krankenkassen, der Prävention und Versorgung verbessern möchte: So rät das Ministerium zum Weltdiabetestag am 14. November, Schwangerschaftsdiabetes regelmäßig kontrollieren zu lassen. Der Flyer soll Frauen über mögliche Folgen aufklären und an Nachsorgeuntersuchungen erinnern. Auch der Aufbau eines Lehrstuhls für Endokrinologie und Diabetologie ist angedacht.
Bis zum Jahr 2040 gibt es schätzungsweise 12 Millionen Diabetiker
Offen bleibt, wie sich bis dahin ein engmaschiges Betreuungsnetz zwischen Hausärzten, Diabetologen, Kliniken und Ernährungsberatern spannen lässt: „Hierfür muss die Politik schnellstmöglich Sorge tragen“, sagt Lobmann, Ärztlicher Direktor der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Geriatrie des Klinikums Stuttgart. Viel Zeit bleibt nicht: Mehr als 8,5 Millionen Menschen in Deutschland leiden an Diabetes. Bei 500 000 Neuerkrankungen jährlich werden bis zum Jahr 2040 schätzungsweise zwölf Millionen Menschen betroffen sein. Erika Schneider zumindest wird ab Januar von einem Diabetologen in Wohnortnähe betreut. Fraglich nur wie lange: Der Arzt ist älter als 60 Jahre.
Weltdiabetestag in Stuttgart
Diskussion
Am 14. November, 17 Uhr, gibt es eine Veranstaltung der Diabetiker Baden-Württemberg und der Arbeitsgemeinschaft Diabetologie Baden-Württemberg im Rathaus Stuttgart. Es gibt eine Podiumsdiskussion mit Vertretern der Landespolitik und der Krankenkassen. Der Link zur Live-Übertragung:
www.youtube.com/watch?v=LuAVicaS4hU