Das größte Speicherbecken im deutschen Alpenraum liefert das Wasser für die 250 Schneekanonen. Foto: Fitzthum

Unter 1500 Metern wird bald kein Wintersport mehr möglich sein. Trotzdem werden am Sudelfeldkopf, gerade mal 1436 Meter hoch, zurzeit Millionen in neue Schneekanonen investiert.

Bayrischzell - Am Südufer des Schliersees rücken die Berge dichter zusammen. Doch dann wendet sich die Straße nach Osten, das Tal weitet sich und der Wendelsteins rückt ins Zentrum - ein Alpenmassiv wie aus dem Bilderbuch: oben nackter Fels, unten dunkle Wälder, dazwischen weiß bestäubte Almflächen. Im Süden dagegen ziehen sich schüttere Wälder hinauf zum Sudelfeldkopf - verglichen mit dem majestätischen Wendelstein ein Hügel mit nur 1436 Metern.

Dass sich an seinen Nordhängen das flächenmäßig größte zusammenhängende Skigebiet Deutschlands ausbreitet, ist kaum zu glauben. Noch erstaunlicher ist aber, dass in dieser alpinen Tieflage zurzeit 25 Millionen Euro investiert werden - für Lifte und ein Beschneiungssystem mit insgesamt 250 Schneekanonen. Diese Aufrüstung erscheint grotesk, weil die vorliegenden Studien zum Klimawandel wenig Zweifel daran lassen, dass in Höhenlagen unter 1500 Metern in ein bis zwei Generationen selbst mit künstlicher Beschneiung keine Schneesicherheit mehr zu gewährleisten sein wird. Steigen die Temperaturen weiter so an wie bisher, werden im deutschen Alpenraum allenfalls drei Wintersportgebiete übrig bleiben, in denen man - mit Hilfe von Kunstschnee - noch Ski fahren kann, sicher aber nicht die unspektakuläre Geländekammer zwischen Bayrischzell und Oberaudorf.

Über die Attraktivität des traditionsreichen Familienskigebiets ist damit freilich nichts gesagt. Liegt genügend Schnee, so finden die Münchner hier ein preisgünstiges und schnell erreichbares Wintersport-Areal. Es gibt viele abwechslungsreiche Pisten und ein Panorama, das vom Kaisergebirge über die Kampenwand bis zum Chiemsee reicht. Zurzeit ist man gut beraten, es beim Blick in die Ferne zu belassen. Die nähere Umgebung ist weniger romantisch, vor allem rund um das größte Speicherbecken, das jemals im deutschen Alpenraum gebaut wurde. Weil das bisschen Schnee, das gefallen war, längst wieder verschwunden ist, steht mit der Riesengrube ein gigantischer Fremdkörper in der Landschaft.

Nur ein Künstler erkennt den Unterschied

Trotzdem versichert der Bergbahnchef, dass der „See“ auch als Baustein für den Sommertourismus gedacht ist: „Sie müssten ein Künstler sein, um zu erkennen, dass hier irgendetwas nicht natürlich ist.“ Kann es sein, dass die Einheimischen modellierte Landschaften für schöner halten als natürliche und nur Städter auf die Idee kommen, der Natur sei hier ein unwiederbringlicher Schaden zugefügt worden? Die Frage, warum plötzlich so viel Geld investiert wird, ist leichter zu beantworten: In den letzten Wintern hatten sich an Spitzentagen nur noch zwei Drittel der 10 000 Ski- und Snowboardfahrer eingefunden, so dass die Kasse nicht mehr stimmte.

Der Hauptgrund ist aber das Förderprogramm des Bayerischen Wirtschaftsministeriums, das Skigebietsbetreibern Zuschüsse von bis zu 35 Prozent gewährt. Egid Stadler, Geschäftsführer der privaten Bergbahn-Gesellschaft, sagt: „Es gibt viele Studien. Unsere hat ergeben, dass wir das Skigebiet die nächsten 20 Jahre auf jeden Fall noch betreiben können.“ Wenn es danach zu Ende sei, was er nicht glaube, habe man Pech gehabt. „Die Anlagen sind aber in 15 Jahren abgeschrieben.“ Peter Rosner, Naturschutzreferent der örtlichen Alpenvereinssektion, mag sich mit dieser Logik nicht anfreunden: „Statt in Generationen zu denken, wird hier der Horizont von Abschreibungsrhythmen zugenäht.“

Kein Wunder, dass Umweltschützer gegen die Pläne Sturm gelaufen waren, allen voran der Deutsche Alpenverein, der erstmals in seiner Geschichte von seinem Klagerecht Gebrauch machte. Der Verwaltungsgerichtshof lehnte den Baustopp jedoch ab - mit Verweis auf das öffentliche Wohl und die Arbeitsplätze. Ob Stadlers Rechnung aufgeht, steht trotzdem noch in den Sternen. Niemand weiß, was es für das Image des Skisports bedeutet, wenn immer öfter nur noch auf weißen Bändern durch die grüne Landschaft gefahren wird. Die Zahl der Alpinskifahrer ist schon seit Jahren rückläufig. Die Logik der Kunstschneeproduktion erfordert es, dass man schon Mitte November mit der sogenannten Depotbeschneiung beginnen muss - ohne sicher sein zu können, dass der Retortenschnee beim nächsten Warmwettereinbruch nicht einfach wieder von der Piste fließt.

Nur geringe oder gar keine Einbußen

Allein der Strom für die Schneekanonen dürfte pro Saison einen sechsstelligen Euro-Betrag verschlingen, nicht zu vergessen die hohen Raten für die aufgenommenen Kredite. Die Gemeinde Bayrischzell hat sich trotz klammer Kassen mit 600 000 Euro beteiligt. Im vergangenen Winter, als Frau Holle ihr kostbares Gut nur auf der Alpensüdseite verteilte, verzeichnete Bayrischzell bei den Übernachtungen ein Minus von knapp 20 Prozent. Andere bayerische Alpengemeinden verbuchten dagegen nur geringe oder gar keine Einbußen - Hindelang etwa, das sich mit Gesundheits- und Wellnessangeboten breiter aufgestellt hat. Doch statt sich um eine nachhaltige Angebotsstruktur zu bemühen, definiert sich Bayrischzell einzig über das Pistenskifahren. Seit dem Rückzug der Kläger ist Georg Kittenrainer auf den Alpenverein wieder besser zu sprechen.

In der heißen Phase der Auseinandersetzung hatte der Bayrischzeller Bürgermeister der Bergsportvereinigung ein fragwürdiges Umweltverständnis vorgeworfen. Für die vermeintlichen Naturfreunde sei es kein Problem, am Wochenende auf der Autobahn nach Südtirol zu jagen - ein Verhalten, durch das viel mehr Energie verschwendet werde als bei der professionellen Beschneiung. Im Übrigen könne man die Lifte ja wieder abbauen, wenn im Zuge des Klimawandels das Skigebiet irgendwann stillgelegt werden müsse. Fast hört sich das plausibel an - solange man sich nicht fragt, ob die hinterlegte Bürgschaft von 8000 Euro ausreichen kann, um die Anlagen wieder zurückzubauen, oder ob der Steuerzahler dann ein zweites Mal zur Kasse gebeten wird. Vor einer Woche hätte die glorreiche Zukunft beginnen sollen. Doch die Lifte stehen still.

Immerhin hat es geschneit - zu wenig, um die Kassen klingeln zu lassen, aber genug, um die Wunden unsichtbar zu machen, die man der Natur zugefügt hat. Im Frühling wird man sie wieder sehen - wenn man künstlerisch begabt ist jedenfalls.

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Infos zu Bayrischzell

Anreise
Autobahn München-Salzburg, dann Ausfahrt Weyarn oder Irschenberg bzw. Inntalautobahn, Ausfahrt Brannenburg oder Oberaudorf. Mit der Bayerischen Oberlandbahn nach Bayrischzell, von dort aus gibt es einen kostenlosen Skibus ins Skigebiet.

Das Skigebiet Sudelfeld
Das Skigebiet umfasst 32 Pistenkilometer. Es gibt 19 Lifte, davon 4 Sessellifte. 40 von 120 Hektar präparierter Piste können beschneit werden. Betriebszeiten: täglich von 8.30 bis 16.30 Uhr. Schneetelefon (Ansage), Telefon 0 80 23 / 428. Skipass: eine Tageskarte kostet für Erwachsene 31 Euro, für Kinder 16 Euro, der Familienpass 77 Euro. Die Eröffnung des Skigebietes sollte bei ausreichender Schneelage an den Weihnachtsfeiertagen erfolgen. www.sudelfeld.de

Unterkunft
Hotel Alpenrose, DZ ab 86 Euro, Telefon 0 80 23 / 81 93 06, www.bayrischzell-alpenrose.de

Naturhotel und Gesundheitsresort Tannerhof, DZ ab 200 Euro inklusive Frühstück, kleines Mittagsbüfett und Abendmenü, Telefon 0 80 23 / 810, www.tannerhof.de

Allgemeine Auskünfte
Tourist-Info Bayrischzell Kirchplatz 2 83735 Bayrischzell Telefon: 0 80 23 / 648 E-Mail: tourist-info@bayrischzell.de www.bayrischzell.de