John Cryan räumt bei der Deutschen Bank auf – von außen. Foto: dpa

Fragwürdige Geschäfte und gigantische Strafen – die bisherige Spitze der Deutschen Bank bekam die Skandale nicht in den Griff. Nun räumt John Cryan auf. Doch wer ist er eigentlich? Und wo?

Frankfurt - Nicht nur die Finanzgemeinde in Frankfurt, auch die Öffentlichkeit schaut gespannt auf den 29. Oktober – und wird schon davor wieder enttäuscht. John Cryan, der seit Anfang Juli amtierende Co-Chef der Deutschen Bank, zeigt sich wieder nicht in Frankfurt. Angesetzt ist nur eine Telefonkonferenz und das erst am späten Nachmittag. Zu dieser Zeit wird der Brite mit Finanzvorstand Marcus Schenck in London sitzen und von dort aus Investoren Rede und Antwort stehen. Immerhin dürfen Analysten und Journalisten per Video-Schaltung zuschauen. Es werden die ersten aktuellen Bilder sein, die vom neuen mächtigen Mann der Deutschen Bank zu sehen sein werden.

Alles sollte anders werden in der Ägide von Cryan – nicht zuletzt die Kultur der Bank, die in dem vergangenen Jahren an kaum einem Finanzskandal unbeteiligt war und die dem Institut Kosten in Milliardenhöhe für Strafen und Anwälte sowie einen rapiden Verlust an Ansehen eingebracht hat. Und in der Tat – nach vier Monaten im Amt, dem Rausschmiss von mehreren Vorständen, nach Umbau-Maßnahmen, die es in dieser Form bei der Deutschen Bank nie zuvor gab, hat er Zeichen gesetzt. Doch persönlich ist der 54-jährige in Frankfurt immer noch weitgehend unbekannt. Immerhin wurde Cryan schon gesichtet, im Frankfurter Westend, wo er das Appartement seines geschassten Vorgängers Anshu Jain in einer vornehmen Villa – Klingelschild „J.C.“ – bewohnt. So er denn in Frankfurt ist. Selbst bei der wichtigen außerordentlichen Aufsichtsratssitzung am vergangenen Sonntag war er dem Vernehmen nach nur per Video-Bildschirm zugeschaltet.

Bisher gibt es nur einige Zitate und einen Telefon-Mitschnitt

Kommunikationsexperten in Frankfurt wundern sich über die Scheu von Cryan. Für ein so wichtiges Unternehmen sei es bemerkenswert, dass der neue Mann an der Spitze so lange im Hintergrund und für die Öffentlichkeit unsichtbar bleibe. Bislang gibt es drei Briefe von Cryan an die Mitarbeiter, die die Bank auf ihre Homepage gestellt hat, ein paar Zitate in Mitteilungen und Cryans Ausführungen in der Telefonkonferenz zum zweiten Quartal, die Ende Juli war. Da war immerhin mal seine Stimme zu hören. Ob er tatsächlich Deutsch spricht, wie zu hören ist, blieb unklar. Die Telefonkonferenz hielt er auf Englisch ab.

Zur Erinnerung: Als Anshu Jain und der amtierende Co-Chef Jürgen Fitschen noch das Sagen hatten, zeigten sie sich nicht nur Journalisten. Wenn die Bank die Zahlen vorgelegte gab es dazu extra Video-Mitteilungen, die sich jeder auf der Homepage ansehen konnte – auch auf Deutsch.

Heute hat die Bank nicht einmal aktuelle Fotos des Briten parat. Auf die Frage, wann man Cryan denn mal persönlich zu Gesicht bekommen und sich einen Eindruck vom ihm verschaffen könne, sagt eine Sprecher der Deutschen Bank nur: „Ich hoffe bald.“ Möglicherweise dauert es bis zum 28. Januar 2016. Dann lädt die Bank zu ihrer Jahres-Pressekonferenz.

Nur Co-Chef Fitschen spricht noch, hat aber nichts mehr zu sagen

Cryans Kollege Jürgen Fitschen, der mit ihm an der Spitze der Bank steht, ist dagegen nach wie vor präsent – obwohl er faktisch nichts mehr zu sagen hat. Wenn Cryan und Finanzchef Schenck am nächsten Donnerstag die Strategie und den Rekordverlust von 6,2 Milliarden Euro für das dritte Quartal erläutern, wird Fitschen fehlen. Er muss sich mittlerweile unschöne Kommentare gefallen lassen. Von Außenstehenden wird er mitunter als „Grüß-Gott-Onkel“ bezeichnet. Dies wird Fitschen nicht gerecht. Er ist ein angesehener, bodenständiger Banker und bis zum Frühjahr 2016 hat er noch das Amt als Präsident des Bundesverbandes Deutscher Banken inne. Es sei doch normal, dass er nicht mehr in strategische Fragen eingebunden sei, heißt es in der Bank. Schließlich sei er nur noch bis Mai nächsten Jahres im Amt - dann wird Cryan endgültig alleiniger Chef. Und es gehe um die Strategie der Deutschen Bank bis 2020. Dies galt komischerweise nicht, als Fitschen im April zusammen mit Jain just jene Strategie für die nächsten fünf Jahre vorstellte, an der Cryan angeblich in Grundzügen festhalten will.

Zu tun habe Fitschen noch genug, versichert ein Sprecher: Kundenbesuche, Vorträge, Konferenzen und Kongresse, wie etwa Anfang September bei der Bankentagung in Frankfurt oder Ende November bei der Euro Finance Week und beim Europäischen Bankenkongress ebenfalls in Frankfurt. Auch bei solchen Veranstaltungen zeigt sich Cryan nicht. Zur Bank sagt Fitschen bei seinen Auftritten wenig, äußert sich eher zu generellen Themen wie Regulierung und Finanzmärkte. Und dann muss Fitschen jeden Dienstag vor dem Münchner Landgericht erscheinen, zusammen mit seinen Vorgängern Rolf Breuer und Josef Ackermann beim Verfahren wegen angeblicher Falschaussagen im Prozess wegen der Pleite des Medienunternehmers Leo Kirch. Das dauert länger als erhofft: Mittlerweile hat das Gericht bereits Termine im nächsten Jahr angesetzt.

Warum sich der mittlerweile 67-jährige Sohn eines Landwirts aus Norddeutschland nach seiner faktischen Degradierung im Sommer nicht schon längst verabschiedet hat, fragen sich viele Beobachter. Dazu hat Fitschen wohl viel zu lange für die Deutsche Bank gearbeitet. 1987 kam der gelernte Kaufmann und studierte Wirtschaftswissenschaftler zur Bank, war in Asien tätig, dann in Deutschland für das Firmenkundengeschäft verantwortlich, bevor er 2009 in den Vorstand einrückte und 2012 zusammen mit Jain als Nachfolger von Josef Ackermann zum Co-Vorstandsvorsitzenden ernannt wurde. Fitschen war lange erfolgreich tätig, als Co-Chef aber ohne Fortune, auch wenn ihm niemand – im Gegensatz zu Jain – die Verantwortung für Skandale und Milliardenstrafen anlastet. Fitschen ist nicht nur bodenständig und hegt keine Allüren. Er gilt auch als äußerst pflichtbewusst. Deshalb wohl bleibt er trotz der nicht gerade schönen Kommentare bis zum Ende der Hauptversammlung am 19. Mai 2016 in Frankfurt.