Tut sich was in der katholischen Morallehre? Sind Pille und Kondom doch nicht so schlimm? Foto: Sven Hoppe/Fotolia

Man höre und staune: Besser verhüten als sich mit dem Zika-Virus anzustecken und Nachkommen zu zeugen, sagt Papst Franziskus. Ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer für die katholische Morallehre, meint unser Kommentar.

Stuttgart - Ein mikroskopisch kleiner Virus der Gattung Flavivirus aus der Familie Flaviviridae mischt die katholische Morallehre auf. Dem Zika-Virus gelingt, was weder Scharen von Theologen noch Legionen von Gläubigen bisher vergönnt war: Der Papst höchstselbst erklärt die Verwendung von Kondomen und Antibabypille für das geringere Übel. „Eine Schwangerschaft zu verhindern, ist kein absolutes Übel“, hat Franziskus auf dem Rückflug von seiner Mexiko-Reise ins heimatliche Rom vor Journalisten gesagt. Abtreibung als Reaktion auf eine Zika-Infektion lehnt er entschieden ab. „Die Abtreibung ist nicht das kleinere Übel . . . Es ist ein Verbrechen, es ist das absolut Böse.“

Franziskus: Verhütung ist „nichts absolut Böses“

Pille und Kondom waren für Franziskus’ Vorgänger – die Päpste Paul VI, Johannes Paul II. und Benedikt XVI. – verdammenswerte Lustinstrumente. Dass „jeder eheliche Akt von sich aus auf die Erzeugung menschlichen Lebens ausgerichtet bleiben“ müsse, steht für die Glaubenshüter im Vatikan so fest wie das Amen in der Kirche. Wenn Pille und Kondom ins Spiel kommen, wird Liebe zum Laster und Sex zur Sünde.

Und nun dies: Verhütung sei „nichts absolut Böses“ und sei in einigen Fällen sogar einleuchtend. Man höre und staune. Bewegt sich da eine in Moralfragen als unbeweglich verschriene Institution? Oder handelt es sich nur eine Ausnahme von der Regel, die absolut einmalig und nicht repräsentativ ist?

Von „Humanae Vita“ zum Zika-Virus

Eine Übertragung des Zika-Virus über sexuellen Kontakt zwischen Menschen medizinisch scheint möglich, wenngleich bislang lediglich Einzelfälle bekannt sind. Umso erstaunlicher ist, dass sich das katholische Kirchenoberhaupt angesichts der wissenschaftlich dünnen Beweislage so weit aus dem Fenster lehnt.

Das Thema Verhütung ist in der katholischen Kirche nicht irgendein Thema. Seit der Veröffentlichung der Enzyklika „Humanae Vitae“ im Jahr 1968 ist „die rechte Ordnung der Weitergabe des menschlichen Lebens“ zu einem Kampfplatz um die wahre Lehre geworden. „Es dürfte kaum einen Bereich menschlichen Handelns geben, mit dem sich kirchliches Amt, Theologie und Gläubige so schwertun wie mit der Sexualität“, urteilt der katholische Moraltheologe Konrad Hilpert.

Gottgewollter Zeugungsakt

Nach der in „Humanae Vitae“ zementierten Sexualmoral ist jede Handlung verwerflich, welche die Fortpflanzung vor, während und nach dem ehelichen Akt verhindert. Lediglich die Enthaltsamkeit während der fruchtbaren Tage der Frau ist erlaubt, weil „die Eheleute von einer naturgegebenen Möglichkeit rechtmäßig Gebrauch“ machen. Mit Verhütungsmitteln - Pille und Kondom werden in dem Lehrschreiben von Papst Paul VI. nicht ausdrücklich genannt - unterbinden die Partner den gottgewollten Zeugungsvorgang. Genauso seien Abtreibung und Sterilisierung „absolut zu verwerfen“.

Ein papst udn das „Bäh-Wort“

Es gibt noch etwas, was aufhorchen lässt: Franziskus lobt seinen Vorgänger Paul VI. (1897-1978). Er habe Ordensfrauen in Afrika gestattet, durch Verhütungsmittel Schwangerschaften im Fall von Gewalt zu verhindern. „Paul VI. ist großartig“, betont der Papst im Zusammenhang mit der Frage, ob das Verbot der katholischen Kirche von Verhütungsmitteln auch für die Bedrohung mit dem Zika-Virus gelte.

Es ist nun nicht zu erwarten, dass der Vatikan angesichts der viralen Bedrohung der Menschheit demnächst seine rigide Sexualmoral auf den Prüfstand stellen wird. Aber es ist schon ein Fortschritt, wenn ein Papst das „Bäh-Wort“ Verhütungsmittel in den Mund nimmt, ohne gleich los zu zetern und den kompletten Verfall der Sitten anzuprangern. Ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer für die katholische Morallehre.