Seelenqualen einer Mutter: Am 3. Mai 2007 wird die kleine Maddie zuletzt gesehen.
London - Trauer und Hoffnung gehen oft Hand in Hand: Als Kate McCann ihr Buch "Madeleine" vorstellt, richtet sie einen Appell an ihren Premierminister, den ungelösten Vermisstenfall überprüfen zu lassen.
Schuldgefühle, Ekel, Trauer, Verzweiflung, Hass - Kate McCann hat seit Madeleines Verschwinden am 3. Mai 2007 in Praia da Luz an der Algarve jedes düstere Gefühl durchlebt. Gestern, an Madeleines 8.Geburtstag, läutete sie in London eine neue Phase in der Suche nach ihrer Tochter ein: Mit ihrem Buch "Madeleine" hofft die 43-Jährige, dass entscheidende Zeugen, die bisher geschwiegen haben, sich melden. Die Verkaufserlöse - geschätzte 1,2 Millionen Euro - brauchen die McCanns dringend zur Finanzierung ihrer Privat-Ermittler.
"Unser Anliegen ist es, einen vollständigen Bericht der Ereignisse vorzulegen", sagte die Mutter, "bisher hatten wir keine echte Chance, unsere Sicht der Dinge zu erklären." Gekleidet in einem kobaltblauen Ensemble, stellte die Ärztin sich in einem Konferenzzentrum in Westminster einem massiven Presseaufgebot. Mehrfach kämpfte sie mit den Tränen: "Zurzeit sucht kein einziger Polizist nach unserem Kind", sagte sie.
Die McCanns hatten sich an jenem unglücklichen Abend im Mai 2007 - wie an den meisten Abenden in ihrem Portugalurlaub - mit Freunden in einer Tapas-Bar zum Essen verabredet. Die vierjährige Madeleine und ihre beiden jüngeren Zwillingsgeschwister schliefen in der naheliegenden Ferienwohnung des Hotels. Zimmer- und Terrassentür hatten die McCanns unverschlossen gelassen, damit die Kinder bei einem Brand nicht festsitzen würden. In regelmäßigen Abständen schauten die Eltern nach dem Rechten. Doch als Kate McCann ihre Runde drehte, war Madeleine verschwunden.
In ihrem Buch schreibt McCann, dass ausgerechnet die Tisch-Reservierung für die Tapas-Bar dem möglichen Entführer in die Hände gespielt haben könnte: "Im Notizheft der Hotelangestellten war vermerkt, dass wir jeden Abend einen Platz in der Bar benötigten, weil wir unsere Kinder allein im Zimmer zurücklassen würden und daher in der Nähe sitzen mussten." Das Buch habe ganztags am Hotelpool gelegen - möglicherweise auch für Fremde zugänglich.
Ursprünglich hatten die McCanns gar nicht an die Algarve, sondern in eine englischen Ferienanlage fahren wollen. "Es war die erste in einer ganzen Reihe winziger Entscheidungen, die ich in der Retrospektive und um alles in der Welt ändern würde", schreibt McCann. Sie habe oft an Selbstmord gedacht. In dem quälenden Erinnerungsprotokoll macht die Mutter sich auch schwere Vorwürfe, Madeleine am Tag ihres Verschwindens ein neues rosafarbenes Oberteil angezogen zu haben: "Ich schaute ihr nach und dachte, wie toll sie darin aussieht", schreibt sie, "Heute frage ich mich, mit wachsender Übelkeit, ob ein Fremder genau das Gleiche gedacht haben könnte."
McCann polarisiert mit ihrer gefassten Art die Briten seit Jahren. Viele zweifeln an der Kidnapping-Geschichte der Eltern, auch, weil die Mutter nie öffentlich geweint oder persönlich nach dem Kind gesucht hat. Zeitweilig war sogar der Verdacht der portugiesischen Ermittler auf die Mutter gefallen; Fahndungschef Goncalo Amaral wurde die Untersuchung schließlich entzogen. Er kritisiert derweil, dass der Fall auf Druck vorzeitig geschlossen worden sei, und will in diesen Tagen in Portugal ebenfalls ein Buch mit seinen Thesen herausbringen.
Um Licht in den mysteriösen Vermisstenfall zu bringen, fordern die McCanns von Premier David Cameron eine "unabhängige, transparente und umfassende Untersuchung aller vorhandenen Informationen." Wichtige Zeugenaussagen seien verworfen worden; sie selbst hätten keinen Zugang zu den vollständigen Ermittlungsakten, weil diese "geheime Daten" enthielten.