Warum braucht der Mensch Freunde? Wie sucht er sich seine Freunde aus? Antworten gibt der Therapeut Wolfgang Krüger. Außerdem erklärt er, warum Menschen ohne Freunde kürzer leben.
Der Psychotherapeut Wolfgang Krüger über die Frage, warum wir Freunde brauchen – und wie wir sie uns aussuchen:
Herr Krüger, warum brauchen wir Freunde?
Es gibt im Leben zwei große Gefahrenpotenziale: Einsamkeit und Unsicherheit. Wir sind auf Freunde angewiesen, damit wir uns sicher und nicht allein fühlen – wir brauchen quasi ein kleines Dorf um uns herum. Auch damit das Selbstwertgefühl nicht leidet.
Dennoch gibt es Menschen ohne Freunde.
Aber das ist gefährlich. Es ist bewiesen, dass man so erheblich kürzer lebt. Laut einer Studie sinkt die Lebenserwartung bei Menschen ohne Freunde um 22 Prozent. Vor allem in Krisen, etwa bei einer Trennung, sind Freunde wichtig. Hat man keine, kann das Leben sehr problematisch werden.
Freundschaften tun uns gut und sind gesund?
Ja. Und Freundschaften machen uns seelisch stabiler. Sie geben uns inneren Halt.
Freundschaften sind also nicht nur selbstlos?
Menschen sind soziale Wesen. Wir brauchen eine Vernetzung. Und wer Freundschaften pflegt, tut das letztlich auch für sich selbst.
Was macht mich freundschaftsfähig?
Genau genommen fängt es damit an, dass ich mir selbst ein Freund bin. Sprich: dass ich mich selbst kenne, mich selbst annehme. Ich kann stets nur so viel Nähe zu anderen herstellen, wie ich zu mir selbst errungen habe.
Was macht Freundschaft aus?
Ich muss kein superinteressanter Mensch sein, um Freundschaften schließen zu können. Es kommt stattdessen darauf an, dass ich mich auf andere einlasse, ihnen zuhöre, sie verstehe und für sie da sein kann und will.
Wonach suchen wir uns Freunde aus?
Zunächst nach Ähnlichkeiten – wie in einer Partnerschaft. Etwa ähnliche Wertvorstellungen, ähnlichen Humor. Es muss ja irgendwas in Schwingung kommen, damit ich mich für jemanden interessiere. Aber wir suchen auch nach Freunden, von denen wir etwas übernehmen können. Etwa weil sie wilder oder ruhiger sind als wir selbst.
Was ist der Unterschied zwischen Freundschaft und Partnerschaft?
Der Abstand. In einer Partnerschaft ist die Nähe eingebaut. Man hat dafür eine feste Vereinbarung. In einer Freundschaft dagegen trifft man sich, geht auseinander – und weiß dann nicht unbedingt, wann man den anderen wiedersieht. Freundschaften sind distanzierter, deshalb aber auch weniger konfliktanfällig als Liebesbeziehungen.
Kann jemand mein Freund sein, den ich nur einmal im Jahr treffe?
Ja, aber Alltagsfreundschaften sind wichtiger. Ich habe kürzlich eine Umfrage gemacht. Das Ergebnis: Enge Freunde treffen sich oder hören von sich mindestens einmal im Monat. Nur so kann man sich auf dem Laufenden halten.
Wie viele Freunde kann man haben?
Allgemein sagt man, dass wir drei wirklich gute Freunde haben. Darum gesellen sich dann noch ein gutes Dutzend losere Freundschaften, wo man kein volles Vertrauen hat.
Ändern sich Freundeskreise alle sieben Jahre?
Es ist eher so, dass nach spätestens sieben Jahren 50 Prozent aller Freundschaften gescheitert sind. Sie fransen vom Rande her aus. Je loser, umso weniger bin ich bereit, Konflikte zu lösen. Enge Freundschaften halten im Schnitt aber 24 Jahre. Die Hoffnung auf ewiges Zusammenstehen ist also nicht unbegründet.
Was müssen Freunde aushalten?
Viel, man sollte ihnen aber nicht zu viel zumuten. In Krisen erzählt man oft monatelang das Gleiche. Das kann irgendwann nerven. Da muss man dem anderen auch sagen, wo die Grenzen der Belastbarkeit liegen.
Woran erkenne ich einen Freund?
Auch daran, dass man nachts anrufen kann – und nicht abgewimmelt wird. Aber wie gesagt: Überstrapazieren sollte man das nicht.
Was ist das Wichtigste an einer Freundschaft?
Man will gemeinsam etwas unternehmen, etwas erleben. Aber der Kern der Herzensfreundschaft ist das Gespräch. Man muss am anderen Interesse haben, sich in ihn hineinfühlen und seinen Hintergrund verstehen.
Woran zerbrechen Freundschaften?
Meist an einem Vertrauensbruch. Oder dem Gefühl, dass der andere nicht für mich da ist, wenn ich ihn brauche. Freundschaft zeigt sich vor allem im Zusammenhalt.
Unterscheiden sich Männer- und Frauenfreundschaften?
Ja, sicher. Zwei Drittel aller Frauen haben enge Freunde. Bei den Männern ist es nur ein Drittel. Und meist sind das eher sehr sachliche und keine emotionalen Freundschaften.
Über was unterhält man sich da?
Über Politik, Börsenkurse, Autos, Frauen. Bei Männern ist die Partnerin oft die einzige wirklich Vertraute. Frauen dagegen sprechen eher über Emotionales. So entsteht größere Nähe. Und man hat in Krisen ein besseres Netzwerk. Daher ein kleiner Rat: Man sollte sich immer Partner suchen, die gute Freunde haben. Das steigert die Sozialkompetenz – und macht Partnerschaften unkomplizierter.
Können Männer und Frauen miteinander befreundet sein?
Ja und nein. Wenn die Fronten geklärt sind, ist es möglich, sprich: wenn Männer in der Lage sind, Nähe über Gespräche statt über Körperlichkeit herzustellen. War man aber doch miteinander im Bett, wird es schwierig.
Wie pflegt man Freundschaften?
Da könnte man durchaus kreativer werden. Liebesbriefe kennt jeder. Ich rate aber auch zu Freundschaftsbriefen, in denen man dem anderen mitteilt, wie wichtig er für einen ist.
Was halten Sie von Facebook-Freunden?
Reine Facebook-Freundschaften sehe ich sehr kritisch. Es handelt sich nicht um wirkliche Freunde. Um bereits existierende Beziehungen zu pflegen können Whatsapp, Mails und soziale Netzwerke aber ein prima Instrument sein.