Schlechte Stimmung: DFB-Chef Grindel wird des Nachtretens beschuldigt. Foto: dpa

Fußball-Nationalspieler Mesut Özil war schon vor der blamablen Fußball-WM in der Kritik. Die DFB-Spitze nahm ihn in Schutz. Damit ist jetzt Schluss. Doch DFB-Chef Grindel erntet mit seiner dilettantischen Krisenstrategie heftige Kritik.

Frankfurt - Es gibt sie glücklicherweise noch immer, die guten Nachrichten aus dem Präsidentenbüro des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) an der Otto-Fleck-Schneise in Frankfurt am Main. „Kommt jetzt der WM-Aus-Rabatt?“, fragt die „Bild“-Zeitung und macht den Schnäppchenjägern Hoffnung: „DFB-Boss Grindel überdenkt die Ticketpreise.“ Allerdings: die überhöhten Tarife bei Heimspielen der deutschen Nationalmannschaft sind das mit Abstand geringste Problem des Reinhard Grindel (56).

Sieben Wochen haben gereicht, um den stolzen DFB ins komplette Chaos zu stürzen. Aus der Weltmeistermannschaft ist ein blamabel gescheiterter Vorrundenvierter geworden, aus dem weltgrößten Sportfachverband ein Trümmerfeld – und aus dem Präsidenten ein heillos überforderter Krisenmanager, der mit Spiritus versucht, die vielen Brände zu löschen.

Der DFB hat die Kontrolle über die Debatte verloren

Viel mehr Aufsehen als seine Ankündigung, die Preispolitik zu überdenken, hat im selben Interview mit dem Fachblatt „Kicker“ Grindels Ultimatum an Mesut Özil erregt: „Es stimmt, dass sich Mesut bisher nicht geäußert hat. Das hat viele Fans enttäuscht, weil sie Fragen haben und eine Antwort erwarten. Diese Antwort erwarten sie zu Recht. Deshalb ist für mich völlig klar, dass sich Mesut, wenn er aus dem Urlaub zurückkehrt, auch in seinem eigenen Interesse öffentlich äußern sollte.“

Statt einer Erklärung tobt in der Affäre um zwei Fotos von Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan eine brandgefährliche gesellschaftspolitische Debatte, über die der DFB und sein Präsident jegliche Kontrolle verloren haben. Grindels Forderung ist die nächste Eskalationsstufe, nachdem auch Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff mit dem Finger auf den eisern schweigenden Özil gezeigt hat. Man hätte sich überlegen müssen, auf den Weltmeister in Russland besser zu verzichten, sagte Bierhoff – und versuchte angesichts heftigster Kritik kleinlaut zurückzurudern. Er habe Özil keineswegs zum Sündenbock abstempeln wollen. Es sei vor der WM auch nicht um die Fotos gegangen, sondern nur um die Frage, ob Özil „aus sportlichen Gründen“ mitfahren soll.

Ungeschickter hätte man kaum vorgehen können

Aus sportlichen Gründen? Man kann sich nicht daran erinnern, dass die Qualität des 92-maligen Nationalspielers und weltweit bekanntesten deutschen Fußballers beim DFB jemals zur Diskussion standen. Nun verweist auch Grindel bei der Frage, ob Özil noch eine Zukunft im Nationalteam habe, auf „die sportliche Analyse“ des Bundestrainers Joachim Löw, der sich so schweigend wie Özil in den Urlaub verabschiedet hat. „Keine Sekunde“ hatte Löw vor der WM darüber nachgedacht, seinen Lieblingsspieler Özil oder Gündogan aus dem Kader zu streichen, nachdem sie die Dummheit begangen hatten, mit Erdogan zu posieren.

Einen Königsweg in dieser Affäre gab es wohl von Beginn an nicht. Viel ungeschickter als Grindel und Bierhoff hätte man aber kaum vorgehen können. Grindel war es, der Özil und Gündogan erst öffentlich rügte und dann rasch versuchte, zur Tagesordnung überzugehen. Bierhoff empfahl Özil vor der Reise nach Russland, weiter zu schweigen und sich allein auf den Fußball zu konzentrieren. Der Erfolg bei der WM, so die Hoffnung, werde die Kritiker schon verstummen lassen und das Thema von alleine beenden – eine grandiose Fehleinschätzung.

Die grundlegend veränderte Tonart von Bierhoff und Grindel nach dem WM-Scheitern hat die Diskussionen nun vollends vergiftet und aus dem Ruder laufen lassen. Es geht um viel mehr als nur um Fußball – es steht inmitten der großen Asyldebatte auch die Frage im Raum: Wie deutsch muss ein Spieler sein, um für die Nationalmannschaft spielen zu dürfen? Als ein Musterbeispiel für gelebte Integration feierte der DFB jahrelang seine Auswahl – und hilft nun tatkräftig mit, tiefe Gräben aufzureißen.

Nur die „Bild“ hält zu dem DFB-Boss

Stürmischen Beifall bekommt Grindel, früherer Rechtsaußen der CDU-Bundestagsfraktion, von jenem Teil der Deutschen, die Özil am liebsten sofort den deutschen Pass entziehen und nach Anatolien schicken würden. Entsetzt sind die anderen, für die Özil gewissermaßen vom Täter zum Opfer geworden ist. Dem DFB-Präsidenten werfen sie Populismus und fehlendes Rückgrat vor. Zumindest die „Bild“-Zeitung steht weiter fest an Grindels Seite. Sie ermuntert den DFB-Boss, im Fall Özil Härte zu zeigen, und sieht, ganz anders als bei früheren Gelegenheiten, auch sonst keinen Grund, den DFB-Kurs infrage zu stellen. Deutschlands größtes Boulevardblatt jubelte, als sich Joachim Löw trotz der historischen WM-Schmach zum Weitermachen entschloss. Seine Entscheidung durfte man – welch Überraschung – exklusiv verkünden.

Grindel, in Sachen Social Media von dem früheren „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann beraten, hatte sich schon vorher vor Löw in den Staub geworfen und dem Bundestrainer trotz offensichtlicher Fehlentwicklungen die Treue geschworen. Was hätte er auch sonst tun sollen? Löws Vertrag mit einem geschätzten Jahresgehalt von 4,5 Millionen Euro hatte er schon vor der WM ohne erkennbaren Grund bis 2022 verlängert, ein Plan B existierte nicht. Es ist die Bankrotterklärung eines Fußballverbandes.

Özils Vater reagiert gereizt

Nicht einmal die von Grindel unmittelbar nach der WM geforderte Analyse des Scheiterns war nötig: Der Bundestrainer solle sich „die notwendige Zeit nehmen, um das Turnier sportlich aufzuarbeiten“, sagte Grindel, der dem Bundestrainer nun auch die Entscheidung im Fall Özil zugeschoben hat. Gleichzeitig wolle man „auch abwarten, in welcher Form sich Mesut einlässt. Es gehört zur Fairness, einem verdienten Nationalspieler, der einen Fehler gemacht hat, diese Chance zu geben.“

Es dürfte für Özil wie Hohn klingen. Lebenszeichen sendet er derzeit nur in Form von Urlaubsbildern aus Griechenland. Seinen Gemütszustand lässt er über seinen Vater ausrichten: „Er ist geknickt, enttäuscht und gekränkt. Und ja: auch beleidigt“, sagte Mustafa Özil und riet seinem Sohn zum sofortigen Rücktritt: „Wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich sagen: Dankeschön, aber das war’s.“

Am 6. September bestreitet die DFB-Auswahl in München gegen Frankreich ihr nächstes Länderspiel. Sehr unwahrscheinlich, dass Mesut Özil dann noch Nationalspieler ist. Sicher ist dafür: Es gibt noch genügend Tickets. Ein Platz auf der Haupttribüne kostet 100 Euro.