Die Hoffnung auf ein besseres Leben im reichen Deutschland treibt die Armustflüchtlinge hierher. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Diskutieren Sie mit - Nach den Räumaktionen sind viele Südosteuropäer, die bis vor kurzem im Schlossgarten genächtigt haben, dort so gut wie nicht mehr anzutreffen. Gelöst ist das Problem damit aber nicht: Denn die Familienclans betteln und übernachten jetzt in der Klett-Passage.

Stuttgart - Im Oberen Schlossgarten beim Schauspielhaus schläft eine Frau im lilafarbenen Schlafsack. Sie ist eine der wenigen Menschen aus Südosteuropa, die dort noch kampieren. „Die meisten sind jetzt in der Klett-Passage und übernachten dort auch“, weiß Peter.

Der 40-jährige Deutsche kennt sich in der Szene aus, denn er ist seit langem obdachlos. Er sagt: „Die Südosteuropäer treten in Gruppen auf, nehmen uns die Schlafplätze weg und vertreiben uns von den Orten, die gut fürs Betteln sind.“

Aggressivität nimmt zu

In der Klett-Passage stehen mehrere Männer, die augenscheinlich aus Südosteuropa stammen. Einer hält am Ticketautomaten einer Frau, die eine Bahnfahrkarte löst, die offene Hand unter die Nase. Er spekuliert auf ihr Wechselgeld und weicht ihr nicht von der Seite, bis sie es ihm gibt. Ein Ungar, der sich Bence nennt, geht mit seiner Ziehharmonika durch die Passage und bettelt für seine fünf Kinder in Budapest. Als er merkt, dass es kein Geld gibt, kann er ganz plötzlich kein einziges Wort Deutsch mehr.

Ein Mann im Rollstuhl ist nicht ansprechbar. „Der ist täglich hier. Als ich ihm helfen wollte, ist er mir absichtlich mit voller Wucht gegen das Schienbein gefahren“, sagt ein Service-Mitarbeiter der SSB. Er und seine Kollegen bestätigen, dass seit Beginn der feucht-kalten Jahreszeit täglich um die 20 Frauen und Männer aus Südosteuropa in der Klett-Passage lagern. „Vor zwei Wochen waren es rund viermal so viele“, stellt ein Kollege fest und hat beobachtet, dass die Aggressivität bei den Armutsmigranten zugenommen hat. Obwohl aggressives Betteln verboten ist, würden die Passanten zum Teil massiv bedrängt, damit sie ihren Geldbeutel öffnen, sagt er.

Großaktionen Ende Sommer

Das Ordnungsamt der Stadt und die Polizei sind bereits seit Anfang Sommer alarmiert: Weil immer mehr Familienclans, vor allem Roma aus Rumänien, Bulgarien und Ungarn, im Oberen Schlossgarten verbotenerweise übernachtet haben, trauten sich immer weniger Passanten nachts durch den Park. Da sich die Kampierer mit gelegentlichen nächtlichen Platzverweisen nicht dauerhaft vertreiben ließen, gab es unter Federführung von Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU) Gespräche zwischen den städtischen Ämtern, dem Land und dem rumänischen und bulgarischen Konsulat.

In drei Großaktionen erteilten Polizei und Ordnungsamt nachts und am frühen Morgen im Schlossgarten Platzverweise und händigten den Kampierern Infoblätter über verbotenes Verhalten aus. Weil nicht alle lesen können, erklärten Piktogramme, dass man im Eckensee nicht schwimmen, man sich an öffentlichen Brunnen nicht waschen darf und dass das Verrichten der Notdurft im Park nicht gestattet ist. Außerdem wurden Rückfahrkarten in die Heimat angeboten.

Konsulate reagieren zurückhaltend

Die Gespräche und Aktionen sind mittlerweile eingestellt worden. Ob sie ein Erfolg waren? Darüber gehen die Meinungen ausein ander. „Im Schlossgarten sind die Südosteuropäer nicht mehr“, sagt Sozialamtsleiter Stefan Spatz. Er geht davon aus, dass außer der kühlen Witterung auch die Präsenz der Ordnungsbehörden sie vertrieben hat. Die Klett-Passage sei nicht stärker von Obdachlosen frequentiert als für eine Großstadt üblich.

Veronika Kienzle (Grüne), Bezirksvorsteherin für Stuttgart-Mitte, geht davon aus, dass das Problem nur bis zum Frühling pausiert und dann die Familienclans wieder in die Landeshauptstadt kommen. Sie räumt „Ratlosigkeit“ angesichts des Problems ein. Und Hermann Karpf, persönlicher Referent von Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU), gesteht: „Das Ganze ist nicht so einfach, wie man es gern hätte. Wir müssen uns an das geltende Recht halten, und das sieht vor, dass die Menschen sich am Tag im Schlossgarten, aber auch in der Klett-Passage aufhalten dürfen. Und nach 22 Uhr haben wir kein Personal, das Streife geht.“

Für „ein Lehrstück in Sachen blinder Aktionismus“, hält Felix-Gabriel Gangu die Großaktionen der Behörden. Er ist Rumäne und Mitglied des deutsch-rumänischen Forums Stuttgart. Als Dolmetscher hat er die Ordnungsbehörden bei ihren Aktionen begleitet. Die Einbeziehung der Konsulate habe nichts gebracht, urteilt er. Sie seien „zurückhaltend“, bestätigt auch Albrecht Stadler vom Ordnungsamt.

Südosteuropäischen Arbeitsmigranten eine Rückfahrkarte anzubieten, hält Gangu für „lächerlich“. Die freuten sich, kostenlos zu ihren Familien reisen zu können, und seien bald zum „Arbeiten“ wieder in Stuttgart. Unter „arbeiten“ versteht Gangu betteln und Schwarzarbeit. „Viele Roma werden in der Heimat als Schwarzarbeiter angeworben. Im Freien nächtigen sie, weil sie keine Unterkunft bekommen“, sagt er und ist überzeugt, dass den meisten Roma klar ist, dass sie hier weder Sozialleistungen noch Arbeit und Wohnung bekommen.

Die Hoffnung auf ein besseres Leben im reichen Deutschland treibt sie trotzdem her.