Marke, Image und Emotionen waren einmal. Beim Autokauf rücken längst rationale Kriterien in den Vordergrund. Ist der Automarkt bereit für den Trend? Und was fahren Sie eigentlich?
Stuttgart - Der Opel-Händler war verärgert. Wegen eines Kommentars zu den Imageproblemen dieser einst stolzen Automarke hatte er sich per E-Mail in der Redaktion beschwert. Im Laufe des anschließenden Mailverkehrs räumte der Mann ein, dass es um das Image der Marke wirklich nicht gut bestellt sei. Bei dieser Gelegenheit gab er dann auch eine rührende Anekdote aus seinem Autohändleralltag zum Besten.
Emotionen auf Rädern
In der Geschichte kommt ein Zahnarzt mit seiner Tochter ins Autohaus. Er will sie zum 18. Geburtstag überraschen – mit einem nagelneuen Opel Corsa. Als die Tochter das Auto zu Gesicht bekommt, bricht sie in Tränen aus. Allerdings nicht vor Rührung, sondern weil Papa ihr nur einen Opel gekauft hat – und keinen BMW oder ein anderes prestigeträchtiges Gefährt, mit dem die junge Frau im Bekanntenkreis viel besser dastünde.
Der Vorfall liegt fast zwei Jahrzehnte zurück – stammt also aus einer Zeit, in der man aus Automarke und -modell noch recht zuverlässig auf den gesellschaftlichen Status der Frau oder des Mannes am Steuer schließen konnte. Der Chef fuhr eine chromglänzende S-Klasse, die Sekretärin einen Ford Fiesta, der Rüpel vom Land einen tiefergelegten VW Golf GTI und die Studentin einen klapprigen Fiat Panda.
Das Auto ist ein bisschen egal geworden
Heute ist allenthalben zu hören, dass Automarken und ihr Image bei der Kaufentscheidung eine immer geringere Rolle spielten – und dass vielen Jüngeren Autos ohnehin ziemlich egal seien. So egal, dass sie oft gar nicht erst in Erwägung ziehen, sich einen eigenen Wagen zuzulegen. Und falls sie doch mal ein Auto brauchen, wenden sie sich an einen Carsharing-Anbieter.
Bei jüngeren Stadtbewohnern mag dieses Bild stimmen, doch bei den reiferen Jahrgängen und den Bewohnern ländlicher Gebiete spielt das Image einer Automarke auch heute noch eine wichtige Rolle. Ein schickes Auto gilt in bestimmten Kreisen nach wie vor als gute Möglichkeit, anderen zu zeigen, dass man es geschafft hat oder dass man ein cooler, sportlicher oder sonst wie toller Typ ist.
Wie viel Statussymbol darf’s denn sein?
Vor allem Besitzer hochpreisiger Fahrzeuge aus dem Premium-Segment nutzen Autos weiterhin als Statussymbole, was bei anderen Verkehrsteilnehmer oft Aggressionen hervorruft. Der ausgeprägte SUV-Hass in Teilen der Bevölkerung ist dafür nur eines von vielen Beispielen. Auch andere teure, sprit- und platzfressende Gefährte wecken in wachsenden Teilen der Bevölkerung Sozialneid – was ja vielleicht auch die Absicht mancher ihrer Besitzer ist.
Die Frage, wer welches Auto kauft, beschäftigt auch die Wissenschaft. Laut dem finnischen Sozialpsychologen Jan-Erik Lönnqvist verraten Autos nicht nur etwas über den Geldbeutel ihrer Fahrer, sondern auch über deren Charakter. Der Forscher befragte knapp 2000 Autobesitzer zu ihren Fahrzeugen sowie zu Konsumverhalten und Vermögensverhältnissen. Hinzu kamen Fragen zu wichtigen Persönlichkeitsmerkmalen.
Ein Spiegel des Menschen
Ergebnis: Egoistische Männer, die streitlustig, stur und wenig einfühlsam sind, besitzen überdurchschnittlich oft einen Audi, BMW oder Mercedes. „Diese Persönlichkeitszüge erklären das Verlangen danach, ein Produkt mit hohem Statuswert zu besitzen“, so Lönnqvist. Dazu passe auch, dass die Fahrer solcher Autos öfter Verkehrsregeln ignorierten.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt der Bochumer Wirtschaftspsychologe Rüdiger Hossiep. Seinen Untersuchungen zufolge halten sich Fahrer von Audi, BMW und Mercedes für leistungsmotiviert, belastbar, flexibel, selbstbewusst und durchsetzungsstark. Die Fahrer von VW, Opel, Renault und Fiat beschreiben sich hingegen eher als harmoniebedürftige Menschen.
Wer in einem Hyundai, Skoda, Mini oder Peugeot sitze, so Hossiep, sehe sich zudem meist nicht als Autofachmann. Porsche-Besitzer hätten dagegen nach eigenem Bekunden sowohl Interesse an als auch Ahnung von Autos.
Das gepanzerte Ich
Einen dicken SUV könne man unabhängig von der Marke als eine Art „gepanzertes Selbst“ verstehen, sagt Hossiep. „Ich kann mich mit einem SUV stärker von der Außenwelt abschotten und transportiere gleichzeitig etwas nach außen.“ Der Wagen erzeuge so etwas wie ein Überlegenheitsgefühl.
Dass Autos in den vergangenen Jahren immer größer und wuchtiger geworden sind, erklärt der Pforzheimer Designprofessor Lutz Fügener im „Spiegel“-Interview so: „Ich will nicht ausschließen, dass es bei Männern mitunter auch um eine Verlängerung der Körperlichkeit im Sinne einer Prothese geht.“ Bei Frauen spielt das Auto als Statussymbol Studien zufolge eine deutlich geringere Rolle.
Für den Wirtschaftspsychologen Hossiep fußt eine Vorliebe für hoch motorisierte Gefährte mit extrabreiten Reifen und unüberhörbarer Sportauspuffanlage häufig „auf einer tiefen Unsicherheit und einer Unzulänglichkeit, die auf diese Weise nach außen überkompensiert wird“.
Sitze ich richtig?
Wer wissen will, ob er im richtigen Auto sitzt, kann online an einem von Hossiep und seinem Team entwickelten Test teilnehmen und erhält hinterher einen ausführlichen Bericht. Darin wird man verschiedenen Grundtypen von Autofahrern zugeordnet – von „offensiv-statusbewusst“ über „gelassen-pragmatisch“ bis „funktionell-regelkonform“. Dazu gibt es eine Liste von Automarken und -modellen, die besonders gut oder besonders schlecht zum jeweiligen Testteilnehmer passen.
Nicht nur Fahrzeuge mit PS-strotzenden Verbrennungsmotoren eignen sich als Statussymbol. Auch ein Elektroauto kann als Mittel der Selbstdarstellung dienen. Mit ihm kann man sich den Mitmenschen als Vorkämpfer umweltverträglicher und verantwortungsbewusster Mobilität präsentieren.
Umweltschutz und Beschleunigung
Bei kleinen Elektroflitzern wie dem Renault Zoe stimmt das tendenziell auch, doch ein Tesla Model S oder ein dicker Elektro-SUV schleppt aufgrund einer riesigen Batterie einen gewaltigen ökologischen Rucksack mit sich herum. Und in Online-Foren tauschen sich mancheTesla-Fahrer weniger über Umweltschutz aus als über die irrwitzige Beschleunigung – abrufbar über den Insane-Button, der sich mit Wahnsinnsknopf übersetzen lässt.
Egal ob ein Elektromotor oder ein Verbrenner unterm Blech werkelt: Die Auswüchse des PS-Kults können nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine wachsende Zahl von Menschen ein ziemlich unemotionales Verhältnis zum Auto hat. Für sie ist das eigene Auto nur ein Mobilitätsangebot unter vielen, ein reines Mittel zum Zweck.
Wer so denkt, entscheidet beim Kauf eines Autos in erster Linie nach rationalen Gesichtspunkten: Platz, Komfort, Sicherheit, Verbrauch – verbunden mit einer möglichst günstigen Kosten-Nutzen-Relation. Prestige und Marke spielen dagegen keine große Rolle. Als Statussymbol fungiert heute oft eher ein teures Fahrrad oder ein schickes neues Handy.
Die emotionale Bindung wird gekappt
Für Autobauer aus dem Premiumsegment sind das keine guten Nachrichten. Sie setzen auf eine enge emotionale Bindung des Fahrers zu seinem Vehikel – und können damit hohe Preise durchsetzen. Auch das autonome Fahren verändert die Beziehung zwischen Auto und Mensch – sie wird distanzierter und das Gefährt damit austauschbarer.
Vielen Kunden ist es auch nicht mehr so wichtig, was für eine tolle Technik sich unter dem Blech versteckt. Sie legen mehr Wert auf die zeitgemäße digitale Vernetzung ihres fahrbaren Untersatzes. Hersteller wie Tesla bewerben ihre Autos heute schon als rollende Smartphones.
Auch die Art und Weise, in der Autos an die Frau oder den Mann gebracht werden, verändert sich. Marktbeobachter halten es für denkbar, dass Autos schon in wenigen Jahren hauptsächlich online verkauft werden. So mancher Autohändler wird dann mit Wehmut an die gute alte Zeit zurückdenken, als man den Kunden noch persönlich begegnete – und ihnen bei dieser Gelegenheit ein paar teure Extras aufschwatzen konnte.