Dan Ettinger. Foto: Michel

Ab 2015 hat auch das Orchester der Landeshauptstadt einen Generalmusikdirektor der Herzen: Dan Ettinger (42), zurzeit Chefdirigent am Nationaltheater Mannheim, steht für Vielfalt. „Mein Musizieren“, betont der Israeli, „ist zu 100 Prozent ehrlich.“

Ab 2015 hat auch das Orchester der Landeshauptstadt einen Generalmusikdirektor der Herzen: Dan Ettinger (42), zurzeit Chefdirigent am Nationaltheater Mannheim, steht für Vielfalt. „Mein Musizieren“, betont der Israeli, „ist zu 100 Prozent ehrlich.“

Stuttgart - Liebe auf den ersten Blick. Davon sprachen Musiker des Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR, als sie erstmals öffentlich von Stéphane Denève sprachen, und auch der neue Chefdirigent hatte damals den Glanz frisch Verliebter in den Augen. Ähnlich muss es im April dieses Jahres gewesen sein, als die Stuttgarter Philharmoniker auf ihrer Suche nach einem Nachfolger für Gabriel Feltz mit dem israelischen Dirigenten Dan Ettinger zusammentrafen. Tschaikowskys fünfte Sinfonie stand damals auf dem Konzertprogramm, und der Funke sprang sofort über. „Ettinger konnte seine Ideen komplett durch Gesten und Mimik deutlich machen“, schwärmt ein Mitglied des Orchestervorstands, und dies habe nun dazu geführt, dass sich „sämtliche Fraktionen des Orchesters“ geschlossen für ihn ausgesprochen hätten.

Der solchermaßen Gepriesene präsentiert sich bei seiner Vorstellung am Freitag im Siegle-Haus neben dem rundum euphorischen Intendanten Michael Stille („Das ist keine Zwangsehe, sondern eine Liebesheirat“) ähnlich begeistert und springt ins Gespräch hinein wie in die Musik: emotionalisiert, auch ein wenig egozentrisch, aber mit dem Charisma des Überzeugungstäters.

Es macht schon deshalb Spaß, dem Mann mit der gepflegten Wuschelfrisur zuzuhören, weil er auf oft lustige Weise das Englische mit dem Deutschen vermischt. Auch das ist Eigenart: „My music making is hundert Prozent ehrlich“, beschreibt Dan Ettinger beispielsweise die Art seines Musizierens; man müsse, sagt er, die Frage stellen „Where is our Stärke?“ („Wo ist unsere Stärke?“), und dann schwärmt auch er von jenem ersten Konzert mit dem Orchester: „Things were all selbstverständlich in a short time“ – will sagen: Schnell war alles klar.

"Ich werde geliebt oder gehasst"

Ettinger ist ein Gefühlsmensch. Das konnte unter anderem erleben, wer in diesem und im vergangenen Jahr die Neuproduktion von Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ am Nationaltheater Mannheim besuchte. Da sorgte nicht nur der Regisseur Achim Freyer auf der Drehbühne, sondern auch der Generalmusikdirektor am Pult für Momente reiner, berührender Theaterpoesie. Allerdings gefiel deren weit gespreiztes Ausdrucksspektrum nicht allen. Ettinger hat durchaus etwas Polarisierendes.„Ich werde“, gibt dieser selbst zu, geliebt oder gehasst, es gibt bei mir wenig dazwischen.“

Den „Ring“ dirigierte der studierte Sänger Ettinger übrigens nicht nur sanglich (und sehr sängerfreundlich), sondern auch mit ausgeprägtem theatralischem Gespür. Glaubt man seinen Worten in der Vorstellungsrunde, so wird er diese Qualität in Stuttgart weiter ausbauen – obwohl er dann („Am Theater zu arbeiten, kostet viel Zeit, und ich wollte meinen Terminkalender ausdünnen“) Chef eines Sinfonieorchesters sein wird. Kein Problem, sagt er auf Nachfrage, auch in der so genannten absoluten, also nicht textgebundenen Musik gebe es immer einen dramatischen Subtext, „und ich glaube, dass es ohne Subtext keinen Text gibt“.

Im August 2015 verlässt Dan Ettinger das Nationaltheater Mannheim, ab September ist er dann Chef in Stuttgart – mit vertraglich vereinbarten 30 Konzerten pro Jahr und einer Anwesenheit von mindestens vier Monaten. In seiner ersten Spielzeit wird der neue Generalmusikdirektor bereits bei zehn der 18 Abonnementkonzerte am Pult seines Orchesters stehen. Ob er die Leitung des Tokyo Philharmonic und des Israel Symphonic Orchestra, die er zurzeit ebenfalls innehat, dann weiterführen wird, will er jetzt noch nicht entscheiden.

Welche Schwerpunkte er setzen will? Ach, zögert Ettinger, erst einmal müsse man „eine eigene Identität finden“. Und überhaupt behagt ihm die Vorstellung nicht, in eine Schublade einsortiert zu werden und dort dann bleiben zu müssen. „Ich bin Spezialist für Vielfalt“, sagt der Dirigent, „daran glaube ich“. Er habe als Alte-Musik-Chorsänger ohne Vibrato begonnen, dann für sich den Ausdruck entdeckt , den man mit einem vergrößerten Ton erreichen könne, und nun will er „my baroque“ machen, „meine Art von Barockmusik“. „Ich mag keine Spezialisten“, fügt Dan Ettinger noch hinzu, „ich glaube nur an Spezialisten für gute Musik.“

Dass er sich selbst zu diesen rechnet, liegt auf der Hand. Ob sich Anspruch und Wirklichkeit decken und ob der temperamentvolle Interpret auch einen Klangkörper pflegen und voran bringen kann, wird ab 2015 in Stuttgart das Publikum entscheiden. Eines allerdings ist jetzt schon sicher: Kalt lässt dieser Mann keinen. Eine schlechte Voraussetzung ist das nicht.