Auf dem Podium: Der Chefredakteur der „Stuttgarter Nachrichten“, Dr. Christoph Reisinger, mit seinen Gästen Daimler-Chef Dr. Dieter Zetsche und EU-Kommissar Günther Oettinger Foto: PPFotodesign.com

Der Standort Deutschland und Autohersteller wie Daimler haben beste Chancen, das Auto der Zukunft zu bauen – darin sind sich der EU-Energiekommissar und der Daimler-Chef einig. Auch wenn das bestimmt nicht einfach wird.

Stuttgart - Klimaschonend. Mit schön viel Platz. Und Unterhaltung, um die Kinder hinten ruhig zu stellen. Am liebsten mit Elektroantrieb. Aber auf jeden Fall auch preiswert – so stellten sich Passanten in Stuttgart bei einer Straßenumfrage unserer Zeitung das Auto der Zukunft vor. Bei den 700 Gästen des Treffpunkt Foyer in der Liederhalle sorgte die eingespielte Filmsequenz für Lacher – die Teilnehmer auf dem Podium, Daimler-Chef Dieter Zetsche und EU-Energiekommissar Günther Oettinger, halten solche Vorstellungen aber auch für machbar.

Anderthalb Stunden lang skizzierten der Konzernchef und Europas oberster Energiepolitiker einen Weg in eine Zukunft, in der das Auto wie bisher „die Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands und Baden-Württembergs bleibt.“ Das wünscht sich Oettinger, die Voraussetzungen könnten nicht besser sein: „Deutschland ist stark, weil es so viel Industrie hat“, sagt der EU-Kommissar. Diese Stärke gelte es auszubauen, um daraus Kraft für ganz Europa zu ziehen – schließlich solle das Zukunftsauto ja „nicht von Google“, sondern lieber vom Erfinder des Automobils gebaut werden.

Damit spricht Oettinger Zetsche aus dem Herzen – beide wünschen sich allerdings mehr Begeisterung für Innovationen: Bei der Bereitschaft für Veränderungen gerate Deutschland zunehmend ins Hintertreffen, warnt Zetsche. Oder, mit Oettinger gesprochen: Statt Ablehnung gegenüber Stuttgart 21, Flughafenausbau oder Gentechnik täte den Deutschen mehr Offenheit für die Dynamikder Welt gut. Oettinger: „Mit dieser Einstellung hätten unsere Vorfahren Carl Benz nie auf die Straße gelassen.“

CO2-Grenzwerte sollten gemeinsam mit der Industrie festgelegt werden

Erfunden wurde das Automobil vor 127 Jahren, aktuell steht die Branche indes vor einer ihrer schwierigsten Herausforderungen: Wachstum lässt sich fast nur noch im Ausland erzielen, dafür sind massive Investitionen in Werke vor Ort notwendig. Das gleiche gilt für Sprit-Spar-Technologien und alternative Antriebe, damit die Hersteller die strengen Klimavorschriften der Regierungen erfüllen und ihre Fahrzeuge überhaupt verkaufen können.

Vor allem Letzteres erfordert massive Anstrengungen, ab 2015 sollen Neuwagenflotten in der EU im Schnitt nur noch 130 Gramm Kohlendioxid (CO2) je Kilometer ausstoßen, beziehungsweise fünf Liter auf 100 Kilometer, verbrauchen dürfen. 2020 soll dieser Grenzwert nach dem Willen der EU auf 95 Gramm CO2/km, beziehungsweise 3,7 Liter Verbrauch, sinken. Lässt die Politik den deutschen Herstellern überhaupt genug Raum, um wirtschaftlich in eine solche Zukunft strenger Richtwerte zu gehen, will Christoph Reisinger, Chefredakteur der „Stuttgarter Nachrichten“ wissen? Oder verhilft sie vielmehr Autobauern in Frankreich und Italien zu größerem Einfluss, die mehr kleinere Autos bauen und sich bei der Erfüllung der Grenzwerte somit leichter tun? Bei der Antwort auf diese Fragen ringen Zetsche und Oettinger um einen Kompromiss, Umweltschutz und Industriepolitik müssten dabei gleichsam unter einen Hut gebracht werden. Mehr Belastung könne die Industrie aber nicht schultern, macht der Daimler-Chef mit Blick auf das Ziel 2020 klar, „wir sind an der absoluten Grenze zwischen notwendiger Forderung und Überforderung.“

Deshalb sollten CO2-Grenzwerte nicht länger nur politisch, sondern gemeinsam mit der Industrie festgelegt werden, „wir müssen von diesem Teppichhandel wegkommen“, fordert Zetsche. Rückendeckung bekommt er vom Energie-Kommissar: Bei zu strengen Grenzwerten baue Daimler eben mehr A- statt S-Klassen, so Oettinger, diese aber womöglich auswärts statt in Sindelfingen. Soll heißen: „Wer die Arbeitsplätze hier halten will, muss immer eine Balance zur Industriepolitik wahren.“

„Auf nur eine Antriebsart zu setzen, wäre sträflich“

Nicht nur der Jobs wegen: Durch die strikten Vorgaben gerate Daimler in einen Zielkonflikt, räumt Zetsche ein, mindestens ebenso wichtig wie umweltschonendes Fahren sei für den Stuttgarter Konzern die Vision vom unfallfreien, teils autonomen Fahren. Schon heute erkennen Assistenzsysteme brenzlige Situationen oft vor dem Fahrer und bremsen etwa automatisch. Allerdings erhöhe die dafür erforderliche Elektronik immer auch das Gewicht und damit wiederum Spritverbrauch und CO2-Ausstoß, so Zetsche. Oettinger wirbt deshalb dafür, dass Fahrzeuge wie die Mercedes S-Klasse für die Erfüllung der EU-Grenzwerte einen Aufschub erhalten. Umgekehrt sollen Elektroautos in der Klimabilanz „drei- vier- oder fünffach“ gezählt werden. Obwohl dies in der EU heftig umstritten ist, gibt sich Oettinger optimistisch: „Ein tragfähiger Kompromiss wird uns noch vor Jahresende gelingen.“

Die weltweiten Klimaprobleme seien damit freilich nicht gelöst, dabei müssten die USA und China helfen, da Europa bereits 2020 nur noch für 4,5 Prozent der Treibhausemissionen verantwortlich sein werde. Umgekehrt müsse China als Konkurrenz-Standort für die Autoindustrie ernst genommen werden – allein, weil dortige Universitäten ein Vielfaches der Fachkräfte in Deutschland ausbilden.

Was also macht Zetsche so zuversichtlich, dass er das Auto der Zukunft baut? „Auf nur eine Antriebsart zu setzen, wäre sträflich“, sagt er, also erforscht Daimler alle. Hinzu kommen mehr Komfort und weniger Verbrauch – all das, was sich die Passanten in der Umfrage von ihrem Zukunftsauto wünschen.