Auch in der Gastronomie herrscht Stillstand. Foto: dpa

Die Bundesregierung erweckt den Eindruck, die Wirtschaft lasse sich noch lange stilllegen. Sie schürt damit eine gefährliche Illusion, meint StN-Autor Klaus Köster.

Stuttgart - Mehrere Wochen nach der Stilllegung der Wirtschaft wird sich die Politik auch mal zurücklehnen dürfen. Wer in Richtung Süden fahren wolle, könne „auch in Bayern Urlaub machen“, sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zu Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Der Norden habe aber „auch super Möglichkeiten der Erholung“, erwiderte die Kanzlerin. Na dann sei ja geklärt, dass der Westen nicht infrage komme, sagte Söder. Schönen Gruß an Armin Laschet aus NRW, der sich Hoffnungen macht, Merkel zu beerben.

In Gastronomie explodiert die Kurzarbeit

Manche Amtsträger haben sich inzwischen so gut mit ihrer eigenen Politik arrangiert, dass sie schon wieder zu Scherzen aufgelegt sind. Das ist ebenso menschlich wie bezeichnend: Denn diejenigen, von denen da die Rede ist, kämpfen ums Überleben, sind aber offenbar noch immer nicht ins Bewusstsein der Entscheider vorgedrungen. Dabei liegt die Zahl der Kurzarbeiter in der Gastronomie heute 6000-mal so hoch wie noch vor drei Monaten. Bundesweit haben Unternehmen für zehn Millionen Menschen Kurzarbeit angemeldet – ein Vielfaches früherer Höchststände. „Der Arbeitsmarkt ist zusammengebrochen“, sagt Detlef Scheele, Chef der Bundesagentur für Arbeit.

Den Aussagen der Bundesregierung ist von diesem freien Fall der Wirtschaft bisher nur wenig zu entnehmen. Sie macht sich lieber selbst Mut. „Wir gehen in die Vollen“, verspricht Bundesfinanzmister Olaf Scholz, und Deutschland könne sich das auch leisten. So gerne man Scholz die Macherrolle auch abnehmen würde – der Glaube, eine Drei-Billionen-Euro-Wirtschaft lasse sich auf einem Parkplatz abstellen, bis das Virus bekämpft ist, kann nur enttäuscht werden.

Milliardenhilfen zehren an Reserven

Selbst die Milliardenhilfen in zwölfstelliger Höhe können den Absturz kaum bremsen, zehren aber schon jetzt an den eisernen Reserven. Alle zwei Tage geht volkswirtschaftliches Einkommen in Höhe des Projekts Stuttgart 21 einschließlich aller Kostensteigerungen verloren. Darin sind mögliche Dauerschäden in Form von Massenarbeitslosigkeit, überhöhten Staatsschulden oder der Schädigung intakter Wirtschaftsstrukturen noch gar nicht enthalten. All dies wird eine Generation zu schultern haben, die schon durch die Entwicklung des Rentensystems und den Klimawandel hochbelastet ist.

Es gibt aber nicht nur eine ökonomische Rechnung, sondern auch eine politische. Wer als Amtsträger jetzt die Wirtschaft öffnet, setzt sich dem Risiko aus, für jeden Menschen, der dann noch an Corona stirbt, verantwortlich gemacht zu werden – auch ohne überlastetes Gesundheitssystem. Anders als das Sterben durch einen Verkehrsunfall würde ein Corona-Tod nicht als Teil des allgemeinen Lebensrisikos wahrgenommen, sondern als Folge eines menschenverachtenden Profitdenkens. Er wende sich gegen „zynische Erwägungen, die die Interessen der Wirtschaft über Menschenleben stellen“, sagt Scholz.

Auch späte Öffnung birgt Risiken

Doch ein Risiko besteht nicht nur darin, die Wirtschaft zu früh zu öffnen, sondern auch darin, das Land in eine Abwärtsspirale gleiten zu lassen. Anstatt weiter über den Dornröschenschlaf nachzudenken, müsste das Land daher mit aller Kraft nach Wegen suchen, einen schnellen Neustart der Wirtschaft mit einem wirksamen Seuchenschutz zu vereinbaren – etwa mittels Technologien, die jedes noch so kleinräumige Ausbruchsgeschehen in Echtzeit erkennen. Doch die Anstrengungen dafür bleiben begrenzt, solange viele die weitgehende Stilllegung des Landes als einzigen moralisch vertretbaren Weg ansehen. Deshalb fragen sich künftige Generationen zu Recht, welchen Stellenwert sie haben, wenn über ihre eigene Zukunft entschieden wird.

klaus.koester@stuttgarter-nachrichten.de