Der noch geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) fragt, wie eine allgemeine Impfpflicht kontrolliert werden soll. Foto: dpa/Kay Nietfeld

RKI-Chef Wieler rät, Großveranstaltungen abzusagen. Auf jeden Fall sollte die Personenzahl reduziert werden. Der Minister bringt eine Testpflicht auch für Geimpfte und Genese im öffentlichen Raum ins Spiel.

Berlin - Lothar Wieler, der Chef des Robert-Koch-Instituts (RKI), möchte gerne in grellen Farben malen, um den Bürgerinnen und Bürgern die sehr bedrohliche Corona-Lage zu erklären. Aber ihm gehen allmählich die Farben aus. Nicht nur rhetorisch, sondern ganz buchstäblich. Gerade hat das RKI auf seiner Landkreis-Karte eine neue Farbe eingeführt. Lila leuchten jetzt die Regionen mit Inzidenzen über 600. Aber inzwischen gibt es schon viele mit Werten über 800. Vier, drei darunter in Bayern, kommen bereits auf eine 7-Tage-Inzidenz von über 1000. „Es ist 5 nach 12“, sagt Lothar Wieler.

Viele Kliniken schon heute „über dem Limit“

Was das bedeutet, erklärt der noch geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der an diesem Freitag mit Wieler auf dem Podium der Bundespressekonferenz sitzt. In Sachsen, Thüringen und Bayern seien Kliniken „schon heute über dem Limit“. Dort stünden für Notfall-Patienten mit Schlaganfällen oder Herzinfarkten „nicht mehr sofort gewohnte Kapazitäten zur Verfügung“. Wenn alles so weiter liefe, würden sich die Inzidenzzahlen alle zwei Wochen verdoppeln. In Spahns Worten: „Wenn wir die Dynamik nicht brechen, droht ein bitterer Dezember.“

Spahn spricht sich dafür aus, für öffentliche Veranstaltungen das Prinzip „2G plus“ einzuführen – also Zugang nur für Geimpfte und Genesene, die zusätzlich aber noch einen aktuellen Test vorweisen müssen. Die bisher von Bund und Ländern vereinbarte 3G-Regel mit Zugang für Geimpfte, Genesene und Getestete werde alleine nicht mehr reichen. Dies werde außerdem zu oft nicht kontrolliert, so dass eigentlich „0G“ gelte. Erste Länder führen 2G-Regeln schon ein.

Spahn ist aber eigentlich schon ein Mann von gestern. Seine Spielräume in dieser Übergangssituation zur kommenden Ampelkoalition sind begrenzt. Auf dem Verordnungswege hat er gerade zwei Dinge geregelt: Die Vergütung für die Impfung steigt von 20 auf 28 Euro, plus 8 Euro Wochenendzuschlag. Und er kündigt an, dass die Bürgertests schon ab Samstag kostenlos sind.

„Zerren wir Sahra Wagenknecht mit Polizeigewalt zur Impfstelle?“

Das reicht natürlich nicht. Es gäbe zwei drastische Optionen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht realistisch sind. CDU-Politiker Spahn macht am Freitag deutlich, dass er eine allgemeine Impfpflicht für nicht praktikabel hält. „Wollen Sie die Polizei an jede Haustür schicken, um das zu kontrollieren?“, fragt er. „Und was machen Sie, wenn jemand gegen die Impfpflicht verstößt? Zerren wir dann Sahra Wagenknecht mit Polizeigewalt zur nächsten Impfstelle?“ Die Linken-Politikerin verweigert bislang eine Impfung.

Lockdowns wären ein erwiesen wirksames letztes Mittel. Spahn plädiert dafür, dass sie „als Option und nach Prüfung der Verhältnismäßigkeit regional möglich bleiben“. Aber auch das ist unrealistisch. Die Ampel hat sich längst darauf festgelegt, künftig ohne Kontaktbeschränkungen auszukommen.

Kontaktreduzierung ist das Gebot der Stunde

Es bleibt also nur ein pragmatischer Mittelweg. Wieler nennt den Karneval nicht beim Namen, aber er sagt klar, dass er „gegenwärtig alle Großveranstaltungen sehr kritisch“ sieht. „Am besten würden wir bestimmte Großveranstaltungen absagen“, findet er. Notwendig sei auch eine „Reduzierung der Personenzahl bei Veranstaltungen. Für besonders belastete Kreise bringt er eine „Schließung von Clubs“ ins Gespräch. Spahn legt hier nach. Er findet es richtig, dass sich die Ampelkoalitionäre auf eine 3G-Lösung am Arbeitsplatz verständigt haben.

Das sind dann auch alles Themen für Konferenz der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin und dem voraussichtlich künftigen Kanzler Olaf Scholz (SPD) in der kommenden Woche. Bis dahin, macht Lothar Wieler klar, sei Kontaktreduzierung das Gebot der Stunde. Und auch Geimpfte und Genese sollten weiter Maske tragen.

Die Bilanz eines Corona-Tages

Wer das alles immer noch nicht begreift, für den hat Wieler eine Rechnung parat. Von den 50 000 Neuinfektionen, die das RKI am Donnerstag meldete, werden nach Wielers Rechnung 3000 in Kliniken landen. 350 von ihnen werden in einer Intensivstation Aufnahme finden. Und von denen würden mindestens 200 sterben. Wohlgemerkt, das wäre nur die Bilanz eines Tages.