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Cornwall ist Rosamunde-Pilcher-Land. Wilde Natur, wunderschöne Landschaften und alte Landgüter locken viele Besucher an. Doch Cornwall ist auch das ärmste County im britischen Königreich.

Truro - Der Kitsch von Rosamunde Pilcher lässt Romantikern keine Wahl. Das erfährt auch Andrew. Der Hotelchef lässt sich von einem Zimmermädchen verzaubern, das eigentlich in Kunstgeschichte promoviert. Unter Stuckborten und Kronleuchtern, umgeben von antiken Möbeln treffen sie aufeinander, im verschwenderisch weitläufigen Hauspark küssen sie sich und am Ende kommt es, wie es immer kommt: Sie heiraten. Im Hintergrund liefert die wilde, Natur Cornwalls den perfekten Rahmen. Im Pilcherslang heißt das: Es geht nichts über die Liebe. Und weil die schöne Rajani und der smarte Andrew die Protagonisten eines Rosamunde-Pilcher-Films sind, überrascht das keinen Zuschauer.

Fünf bis sieben Millionen Menschen schalten sonntagabends ihren Fernseher an, um der Sehnsucht nach Idylle nachzuhängen. Im echten Leben trägt das altehrwürdige Landgut im Osten der Grafschaft Cornwall den Namen „Boconnoc“ und gehört Elizabeth und Anthony Fortescue. Als sie sich „Die versprochene Braut“ angeschaut haben, entdeckten sie einige ihrer Möbel wieder, „witzig“ fanden sie das, auch wenn sie nichts verstanden haben.

Für den englischen Markt werden die Filme ja auch nicht gedreht. Im Gegenteil, auf die Frage nach der britischen Schriftstellerin erntet man außerhalb Cornwalls Kopfschütteln.

Elizabeth Fortescue schneidet von den ausladenden Büschen vor dem Haus Hortensien ab und verteilt sie in den Räumen. Obwohl Sommer ist, zündet sie das Holz im Kamin an. Knisterndes Feuer gehört genauso zum Paradies wie der Hochglanzbildband „Das englische Landhaus“ auf dem Wohnzimmertisch. Seit 1717 ist das denkmalgeschützte Anwesen in der Familie. Das sympathische Ehepaar hat 15 Jahre lang viel Zeit, Liebe und Leidenschaft in die Sanierung und das Dekor des heruntergekommenen Hauses gesteckt. Neben hier ausgerichteten Hochzeiten wurden bisher acht Rosamunde-Pilcher-Filme teilweise hier gedreht und gerne würden die Fortescues noch mehr aus dem Geschäftszweig herausholen. „Wir haben das Pilcher-Potential noch nicht ausgeschöpft“, sagt Anthony Fortescue. Das Ziel sei es, vollkommen auf den Touristenzug aufzuspringen. „Das Haus muss sich selbst finanzieren.“

Adlig, begütert, reich – die Figuren in den Romanen sind alles andere als repräsentativ für die Einwohner Cornwalls. Vielmehr müssen viele Briten in dem südwestlichen Landstrich kämpfen, um über die Runden zu kommen. Für das Vereinigte Königreich ist Cornwall das, was die ehemaligen Ostblockstaaten für Europa sind. Das County erhält von der EU Fördermittel aus dem Sozialfonds. Der Durchschnittslohn liegt umgerechnet zwischen 15 000 und 21 000 Euro und damit deutlich unter dem des restlichen Großbritanniens. Doch die Lebenshaltungskosten sind mindestens genauso hoch. „Öl ist teuer, da unsere Infrastruktur mit nur einer Zugverbindung und einer Autobahn sehr angreifbar ist“, sagt Andrew Long, Stadtrat von Callington. Die Arbeitslosenquote beträgt zwar nur fünf Prozent, doch „hinter dieser Zahl versteckt sich Armut“. Weil Besucher vor allem im Frühjahr und Sommer ihren Urlaub im Cornwall verbringen, seien die meisten Jobs im Hotel-, Gastronomie- und Tourismusgewerbe saisonal, zudem schlecht bezahlt. All jene Briten, die nach wenigen Monaten wieder ohne Arbeit dastehen, tauchen jedoch nicht in der Statistik auf. „Es ist ein zynischer Versuch, die wahren Probleme zu verbergen“, sagt Long. Cornwall – romantisch und wunderschön? „Ja, wenn man Geld hat.“

Die 27-jährige Zoe kellnert in der Hochsaison in einem Café, zurzeit muss die alleinerziehende Mutter ihren elf Monate alten Sohn hüten. Es fehlt an allen Ecken und Enden. Sie wohnt in Truro, dem Verwaltungssitz Cornwalls. An diesem Nachmittag hastet sie durch die Fußgängerzone, vorbei an Postkartenständern und Läden, in deren Auslagen die über die Grenzen hinaus berühmten kornischen Blätterteigtaschen Appetit machen. An der Seite einer Kirche duckt sich der Eingang der Wohltätigkeitsorganisation Foodbank – die britische Version der gemeinnützigen Tafel. Auf schwarzen Ledersofas warten Ehrenamtliche auf Bedürftige. Die blonde Frau gibt schüchtern ihren Coupon bei einem Mitarbeiter ab und bekommt einen Korb voller Lebensmittel und Pflegeprodukte. Gläser mit Pastasaucen, Dosenerbsen und Bohnen, Milch, Windeln – das von den Einwohnern Truros gespendete Essen soll für drei Tage reichen. Janet White arbeitet hier, es war viel los an diesem Tag. „Immer mehr Menschen verdienen gerade mal den Mindestlohn oder haben noch weniger“, sagt sie. Die Kosten steigen, die Gehälter stagnieren.

Eines der größten Probleme in Cornwall sind die Immobilienpreise. Auch Zoe sucht eine kleine Wohnung. „Es ist fast aussichtslos mit meinem engen Budget.“ Während in den Vitrinen der Makler Apartments mit Meerblick oder Luxushäuser mit Pool für 1,3 Millionen Pfund (gut 1,6 Millionen Euro) angeboten werden, ächzen die Normalverdiener unter der kostenintensiven Entwicklung. In manchen Orten sind 60 Prozent der Immobilien Zweitwohnsitz. „Zehntausende Häuser stehen leer“, kritisiert Stadtrat Andrew Long, weil viele reiche Briten ihre Ferienwohnung im hübschen Cornwall nur im Sommer nutzen. Die Immobilienpreise in der Region seien mittlerweile nach London die zweithöchsten im Königreich, sagt Long. Die Städter gönnen sich eine noble Urlaubsbleibe im Paradies, während für Einheimische das Leben in viel zu kleinen Häusern zur Hölle wird. Pittoreske Städtchen wie Porthleven gelten im Winter als „tot“.

Adam Poole wusste schon früh, dass er sich den Traum vom eigenen Haus abschminken  kann, wenn er in Cornwall bleibt. Also machte er es wie die meisten Kornen: Er ging nach London, arbeitete in der IT-Branche und sparte. Als er genug Geld zusammen hatte, kehrte er zurück in die Heimat und kaufte ein Haus. Jetzt verdingt er sich als Verwalter des St. Michael’s Mount. Auf der Gezeiteninsel thront eine beeindruckende Schloss- und Abteianlage, die viel Geschichte beherbergt und Rosamunde-Pilcher-Fans anlockt. Bis zu 20 Prozent der Besucher sind Deutsche, sagt Poole.

„Dass Cornwall die Kulisse für die Filme stellt, ist das beste Marketing, das wir kriegen können“, sagt Malcolm Bell, Chef des Fremdenverkehrsamts Visit Cornwall. Die Hälfte aller ausländischen Gäste seien deutschsprachig. „Wir können kaum die Nachfrage bewältigen.“ Cornwall habe in den vergangenen Jahren eine Renaissance erlebt: Höhere Qualitätsstandards, besseres Essen und Angebote für jeden Geldbeutel. Während Landwirtschaft, Fischerei und Bergbau kaum mehr etwas abwerfen, verbucht das Geschäft mit den Urlaubern Erfolge. Rund 22 Prozent des regionalen Bruttoinlandsprodukts macht das Tourismusgewerbe aus.

Reisebusse, bepackt mit deutschsprachigen Touristen, fräsen sich auf engen Landstraßen durch sumpfige Wiesen und weite Felder. „Mein Herz geht auf, es ist so romantisch“, sagt eine österreichische Urlauberin. Ihre deutsche Freundin erklärt: „Wir suchen die Bilder aus den Filmen.“ Und wie im Fernsehen rücken die Sonnenstrahlen die raue Steilküste ins rechte Licht, in den Gärten setzen strahlende Blüten die Kontraste.

Die Urlauber passieren das Fischerdorf Newlyn. Hier ist kein Platz für Romantik. Die Pilcher-Touristen treffen nicht den Fischer Paul, der am späten Nachmittag sein altes Boot für den nächsten Morgen klarmacht. Sie sehen nicht, wie er die roten Kisten, die früher prall gefüllt waren und seit einigen Jahren immer leerer werden, zurück auf den von Wind und Wasser abgenutzten Kahn wirft. Hören nicht, wie der Engländer auf die Fischereipolitik der EU schimpft.

Ein Reisegruppenstopp ist dagegen immer Prideaux Place, ein efeubewachsenes Herrenhaus in den Hügeln von Padstow. Die Eigentümer, Peter und Elisabeth Prideaux-Brune, platzen fast vor Dankbarkeit, wenn die Rede auf Pilcher kommt. Denn ihr Anwesen profitiert beträchtlich von den Dreharbeiten. Bereits 16 Episoden spielten hier. Der pensionierte Anwalt, der stets als Komparse einspringt, schätzt den Touristenstrom und stellt sein Haus gern zur Besichtigung zur Verfügung, ein kleines Café bringt zusätzliche Einnahmen. Nicht selten wird  er  selbst  besichtigt,  wenn  er im „Morning Room“ in seinem antiken Sessel sitzt und Zeitung liest. Gemalte Vorfahren schauen in Öl von den Wänden herab. Seine Frau bringt Tee und muss zuerst die goldene Kordel entfernen, die die Sitzlandschaft von durchspazierenden Gästen trennt. Im vergangenen Jahr kamen 27 000 Besucher. „Das hilft, die Rechnungen zu bezahlen“, sagt der Hausherr und nimmt einen Schluck Tee. Willkommen im Pilcherland.