In der Walter-Pintus-Straße in Ludwigsburg spielte sich 1978 eine Bluttat ab – sie blieb Jahrzehnte ungeklärt . Foto: wdo

Eine 35-Jährige wurde im Juni 1978 in ihrer Wohnung von einem Eindringling überfallen und brutal erstochen. Der Fall blieb ungeklärt – bis jetzt. In den USA wurde ein einstiger US-Soldat als Verdächtiger verhaftet.

Bärbel G. hat wohl keine Chance gehabt: Die 35-Jährige, allein lebend, wurde in ihrem Einzimmerapartment in Ludwigsburg überfallen und mit 37 Messerstichen getötet. Der Mörder war durch das Badezimmerfenster in ihre Wohnung an der Walter-Pintus-Straße eingedrungen. Am 11. Juni 1978, einem Sonntagabend, wurde die Leiche gefunden. Und der Täter sollte fast ein halbes Jahrhundert lang unbekannt bleiben. Nun aber scheint der Fall geklärt zu sein: Mehr als 6200 Kilometer entfernt, in den USA im Bundesstaat New York, ist nun ein Tatverdächtiger verhaftet worden.

 

Zunächst konnte der Ermittlungserfolg des Cold-Case-Mordfalls nicht offiziell bestätigt werden: „Wir stehen mit den US-amerikanischen Justizbehörden in Kontakt“, sagte die Ludwigsburger Polizeisprecherin Yvonne Schächtele auf Anfrage unserer Zeitung, „daher können wir keine Angaben dazu machen.“ Auch die Frage, ob der Verdächtige nach Deutschland ausgeliefert werden soll und kann, musste der Stuttgarter Staatsanwaltssprecher Aniello Ambrosio wegen des laufenden Rechtshilfeverfahrens zunächst unbeantwortet lassen. Wir können den Fall trotzdem nachzeichnen.

Eine Bluttat mit 37 Messerstichen

Die von Wohnhausblocks dominierte Straße im Quartier Schlösslesfeld am Ortsrand von Ludwigsburg liegt noch immer so beschaulich da wie damals. In der Nachbarschaft eine Grundschule, ein Sportplatz, das neu genutzte Areal der ehemaligen Flak-Kaserne. Dort war von 1950 bis 1991 die US-Armee stationiert – ein Umstand, der für den Mordfall Bärbel G. offenbar eine große Bedeutung hat. Die 35 Jahre alte Arbeiterin soll sich häufig in den Offiziersklubs der US-Soldaten aufgehalten haben. Dort schloss sie auch Bekanntschaften. Es erschien für die Kriminalpolizei damals als sehr wahrscheinlich, dass der Mörder im Umfeld der US-Kaserne gefunden werden könnte.

Den Zeitungslesern von 1978 sind die Details der Bluttat erspart geblieben. Am Körper seien zahlreiche Stichverletzungen festgestellt worden, hieß es lediglich. Sie habe häufig wechselnde Männerbekanntschaften, auch mit US-Soldaten, gehabt und sei zuletzt am 8. Juni lebend gesehen worden. Aus den aktuellen US-Gerichtsakten, aus denen amerikanische Medien zitieren, geht indes hervor, dass die Frau in ihrem Bett im Schlaf überrascht und mit 37 Messerstichen in Brust, Herz, Nacken, Arme und Beine traktiert worden sein soll. Die Art der Wunden zeige, dass das Opfer den Angriff nicht erwartete und sich auch nicht mehr wehren konnte – ein Mordmerkmal der Heimtücke.

Es gibt eindeutige Fingerspuren – doch keinen Verdächtigen

Für die Mordkommission gab es den Informationen aus den USA zufolge reichlich verräterische Spuren des Täters. Zum einen Spermaspuren – die damals aber noch nicht auf DNA untersucht wurden. Denn die Technik wurde in Deutschland erst zehn Jahre später eingeführt. Zum anderen Fingerspuren an einem Fensterrahmen: Der Täter war wohl durch das offenstehende Badezimmerfenster in die Parterrewohnung geklettert.

Allein diese Fingerspuren hätten den Täter schon damals entlarven können. Die Ermittler hatten hierzu jene US-Soldaten herausgefiltert, von denen bekannt war, dass sie eine nähere Beziehung zu der Ludwigsburgerin eingegangen waren. Über die US-Militärpolizei wurden die Fingerabdrücke verglichen – jedoch ohne Treffer. Und die Verdächtigen hatten allesamt ein Alibi.

Allerdings fiel damals ein 19 Jahre alter US-Soldat aus dem 34. Bataillon durch das Raster. Man habe keinen Beweis gefunden, dass das Opfer mit ihm sexuellen Kontakt gehabt habe, heißt es in den US-Justizunterlagen. Daher seien von dem Mann auch keine Fingerabdrücke genommen worden.

Der Täter geht den Ermittlern durch die Maschen

Der Mann, der den Ermittlern damals durch die Maschen ging, soll von 1977 bis 1978 in der damaligen Krabbenlochkaserne stationiert gewesen sein, vom Tatort zwei Kilometer Fußweg entfernt. Er war schon damals als aggressiv und alkoholkrank bekannt. In den Tagen vor der Tat soll er eine Entzugsbehandlung gehabt haben. Ende 1978 habe er die Armee verlassen und sei in die Staaten zurückgekehrt, heißt es in den US-Akten. Auch in seiner Heimat sei er danach auffällig gewesen und in Haft gekommen. Offenbar wegen einer Trunkenheitsfahrt und Fahrens ohne Fahrerlaubnis seien dann seine Fingerabdrücke in den US-Polizeidatenbanken gespeichert worden.

Und doch blieb der Mann über Jahrzehnte unbehelligt. Bis die Ludwigsburger Kriminalpolizei im Jahr 2020 die alten Akten und Asservate aus dem Keller holte. Die Polizei hatte eine neue Initiative ausgerufen – denn dank moderner DNA-Analyse steigt die Wahrscheinlichkeit, Cold-Case-Mordfälle zu klären. Beispielsweise der Frauenmord in Sindelfingen 1995, bei dem der Mörder 25 Jahre später entlarvt werden konnte.

Für den DNA-Beweis im Hausmüll gewühlt

Nach über 40 Jahren Ruhe im Fall Bärbel G. dann die erste heiße Spur. Die FBI-Vertretung in der US-Botschaft erhielt die Fingerspur vom Ludwigsburger Tatort mit der Bitte um einen Vergleich. Im Januar 2021 erfolgte die Rückmeldung: ein Treffer! Die Spur passte zu dem Mann, der inzwischen im Großraum Syracuse im Bundesstaat New York lebte. Um auch einen DNA-Vergleich machen zu können, wühlten die US-Ermittler im April 2021 im Hausmüll des Verdächtigen und sicherten daraus dessen genetischen Fingerabdruck. Und auch hier: ein Treffer! Im Juni 2022 beantragte das Stuttgarter Amtsgericht internationalen Haftbefehl.

Dennoch sollte es bis Mitte Februar 2024 dauern, ehe der inzwischen 66-Jährige festgenommen wurde und in Untersuchungshaft kam. Warum hat das so lange gedauert? Offiziell herrscht dazu noch Schweigen. Aber für erfahrene Ermittler ist die lange Zeit letztlich nicht ungewöhnlich. „Wenn es um ein Rechtshilfeverfahren geht“, sagt ein Kenner der Cold-Case-Ermittlungen, „dann kann so etwas selbst innerhalb Europas lange Jahre dauern.“

Inzwischen wurde bekannt, dass die Stuttgarter Staatsanwaltschaft die Auslieferung des 66-Jährigen beantragt hat. Darüber entscheidet die US-Bundesstaatsanwaltschaft für den nördlichen Bezirk von New York und die Abteilung für Internationale Angelegenheiten.