Acht Großeltern, zwei Väter, eine Mutter, ein Kind: Das ist Gabriels Familienkonstellation. Als er vor knapp vier Jahren Papa wurde, gab es für solche Co-Parenting-Familien aber kaum Vorbilder. Hier spricht er über seine Erfahrungen.
In Gabriel Vignauds Familie gibt es zwei Väter, eine Mutter und einen Sohn. Gabriel, 44, kommt aus Frankreich, sein Partner ist in Ostdeutschland groß geworden und die Mutter ist Schwäbin. Kind Leon, knapp vier Jahre alt, hat acht Großeltern – Oma und Opa mütterlicherseits haben sich getrennt und jeweils jemand Neuen an ihrer Seite – drei Patentanten und einen Patenonkel. In der Tübinger Familie, die ihre echten Namen nicht in der Zeitung nennen will, treffen gläubige und atheistische Menschen aufeinander, verschiedene Weltsichten, homosexuelle und heterosexuelle Menschen, sie sind die gelebte Vielfalt. Aber der Weg war auch ein anstrengender, mit vielen Fragen und Unsicherheiten.
Vater, Vater, Mutter, Kind – die Vorbilder dafür fehlten
Es gibt immer mehr Menschen, die Familie anders leben wollen, als es das Modell der klassischen Kleinfamilie – Vater, Mutter, Kinder – vorsieht. Es gibt Menschen, die mit ihren Freunden eine Familie gründen wollen. Es gibt getrennt lebende leibliche Eltern, zu denen mit neuen Partnern enge Bezugspersonen für ein Kind hinzukommen. Und es gibt Familien wie jene von Gabriel, in denen ein schwules Paar und eine Frau in getrennten Wohnungen für ein Kind da sind.
Allen diesen Konstellationen ist gemein: Es gibt keinen rechtlichen Rahmen, der allen Fürsorgepersonen die gleichen Rechte geben könnte. Und als sich Gabriel vor etwa sechs Jahren erstmals mit verschiedenen Familienmodellen auseinandersetzte, hätten ihm Vorbilder in ähnlicher Lage gefehlt, an denen er sich orientieren hätte können, erzählt er. „Es gab auch keine offiziellen Informationen, auf die man hätte zugreifen können“, sagt Gabriel. Auch deswegen will er die Erfahrungen von ihm und seinem Partner schildern: Er will anderen ermöglichen, daraus zu lernen. Ein Stück weit sei es auch darum gegangen, Pionierarbeit zu leisten.
Adoption und Leihmutterschaft schließen sie aus
Zu Beginn spielten Gabriel und sein Partner alle Nachwuchsvarianten durch: Leihmutterschaft, Adoption, Co-Parenting. Eine Leihmutterschaft hätten sie aus finanziellen – Kosten jenseits der 100 000 Euro kann sich nicht jeder leisten – und vor allem ethischen Gründen ausgeschlossen. Dabei wird die Eizelle einer Frau entnommen, befruchtet und einer anderen Frau eingesetzt, so will es etwa das Gesetz in den USA, wo viele der Leihmutterschaften ausgetragen werden. In Deutschland ist Leihmutterschaft verboten.
Bei der Adoption gilt das Alter als maßgebliches Kriterium. Gabriel war damals knappe 40, sein Partner ist ein paar Jahre älter. Sie sind auch nicht verheiratet, auch das ist ein Faktor, auch wenn sich die Ampel im Koalitionsvertrag vorgenommen hat: „Die Ehe soll nicht ausschlaggebendes Kriterium bei der Adoption minderjähriger Kinder sein.“ Unter anderem damit erklärt sich Gabriel, dass man ihnen wenig Hoffnung auf die Adoption eines noch kleinen Kindes gemacht habe. Also blieb für Gabriel und seinen Partner nur noch eine Möglichkeit: Co-Parenting. Das heißt: Mit einer Frau ein Kind zeugen und dann das Kind gemeinsam zu dritt großziehen.
Als sie schon fast aufgeben wollen, finden sie die passende Mutter
Gabriel und sein Partner suchen auf Seiten wie familyship.org nach einer Frau, die die Mutter eines gemeinsamen Kindes sein könnte. Zwei Jahre lang treffen sie sich immer wieder mit Frauen, aber die Vorstellungen passen oft nicht zusammen, viele hätten das Kind eher für sich gewollt, als es mit einem anderen Paar zu teilen, erzählt Gabriel. Als sie die Hoffnung schon fast aufgegeben hatten, meldet sich eine Frau, alleinstehend, damals 39, eine Schwäbin. Nach fünf Monaten und vielen tiefen Gesprächen entscheiden sie sich, es zu probieren – kontaktlos über die sogenannte Bechermethode. Sie wird sofort schwanger. Das war der einfachere Teil des Projekts Familie.
Nach der Geburt des Kindes wohnen alle drei sechs Monate lang zusammen, um die Mutter zu unterstützen. Aber schnell wird klar, dass alle ihre Ecken und Kanten haben, so sehr man in grundlegenden Werten auch zusammenpasst, gemeinsam Wohnen, beschließen sie bald, ist dann doch nicht so das richtige. Heute wohnen sie in Wohnungen, die zwei Kilometer voneinander entfernt sind. Praktisch lässt sich das schnell lösen: Seitdem er zehn Monate alt war, schläft Leon abwechselnd bei der Mutter und den Vätern. Aber die zentrale Frage, die dahintersteckt: Wie findet man das richtige Maß an Nähe und Distanz in einer Familie, die aus einem Paar und einer Single-Frau besteht? Wie schützt man seine Paarbeziehung und gibt gleichzeitig der Mutter des gemeinsamen Kindes das Gefühl, zur Familie zu gehören?
Sie nutzen die Düsseldorfer Tabelle – wie sonst getrennte Eltern
Anfangs hätten die verschiedenen Beziehungen innerhalb der neuen Konstellation neu ausgelotet werden müssen, sagt Gabriel. Er habe Schwierigkeiten gehabt, seinen Platz zwischen den Bedürfnissen der Mutter und seines Partners zu finden. Zudem sei wenig Zeit für die eigenen Bedürfnisse geblieben, er sei kurz vor der Erschöpfung gestanden. Irgendwann entschloss sich Gabriel, mehr Grenzen zu ziehen.
Auch in finanziellen Themen stellte sich die Frage: Teilen wir die Ausgaben für unser Kind durch drei, oder wird gleichmäßig zwischen den Haushalten aufgeteilt. Man hat sich schließlich auf die Düsseldorfer Tabelle geeinigt, die sich am jeweiligen Gehalt orientiert und normalerweise im Falle von Trennungen herangezogen wird.
Aber während Nähe und Geld Punkte sind, die man vereinbaren kann, gibt es beim Sorgerecht juristische Grenzen. Bei Gabriels Familie ist die Situation so: Er ist der juristische Vater, und er teilt sich mit der Mutter von Leon das Sorgerecht 50/50 auf. „Es gibt aber auch die emotionale Ebene, und da sind wir beide die Väter“, sagt Gabriel. Rechtlich taucht Gabriels Partner aber nirgends auf.
Einer der Väter bleibt ohne Rechte
Das bedeutet: Sollte Gabriel etwas zustoßen, hätte sein Partner nicht automatisch das Sorgerecht. Und die Mutter könnte ihm theoretisch verbieten, das Kind zu sehen, für das er der „Dada“ ist. „Das ist wie ein Damoklesschwert, das immer über einem schwebt“, so Gabriel über die Situation seines Lebensgefährten. Nur ein „moralischer Vertrag“ mit der Mutter regele, dass sein Partner in jedem Fall weiter Zugang zu Leon habe. Doch im Zweifelsfall ist das nicht bindend.
Einen rechtlichen Rahmen könnte die sogenannte Verantwortungsgemeinschaft geben, die Bundesregierung arbeitet an einem entsprechenden Gesetz. Laut Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) soll der Gesetzesentwurf im Herbst ins Kabinett gehen. Wann das Gesetz kommen wird, ist offen. Und auch, ob dann drei Erwachsene in einer Familie als Vormund eingetragen werden können.
„Uns war klar, dass wir ins Unbekannte gehen. Trotz mancher herausfordernder Episoden in den vergangenen vier Jahren hätten wir keine bessere Mutter finden können, wir bilden eine Familie. Ich habe völliges Vertrauen. Ich bin stolz auf mein Kind und auch auf uns“, sagt Gabriel.