Ralf Albrecht, evangelischer Dekan von Nagold und einer der Organisatoren des Christus-Tages Foto: Privat

Ralf Albrecht, einer der Organisatoren des pietistischen Christustages, über Brücken und Gräben zwischen konservativen und liberalen Protestanten

Stuttgart - – Herr Albrecht, sind die Pietisten froh, wenn der Kirchentags-Zirkus wieder vorbei ist?
Wir Pietisten fiebern wie alle anderen dem Kirchentag entgegen. Aber nicht jeder Veranstaltung in gleicher Weise. Wir haben als Pietismus ganz viel, was auf Kirchentagen über Jahrzehnte eingebracht wurde. Musikalisch gesehen dominieren wir die Kirchentage. Anders als 1969 beim zweiten Stuttgarter Kirchentag nach 1952 sind wir in vielen Auseinandersetzungen sehr sachlich und konstruktiv unterwegs. Wir fürchten uns nicht vor der Verschiedenheit. Aber es ist klar, dass wir, wenn es um die Erneuerung von Kirche geht, über bestimmte Profile nachdenken. Nicht alles, was auf dem Kirchentag läuft, gefällt uns.
Als Vorsitzender des evangelikalen Vereins Lebendigen Gemeinde müssen Sie so versöhnlich argumentieren. Aber ist das auch die Meinung der pietistischen Basis?
Es ist tatsächlich so, dass wir als Pietisten nicht vom hohen Ross runter sagen: Wir haben die Weisheit mit dem Löffel gefressen. Das überhaupt nicht. Es gibt auf dem Kirchentag bestimmt auch einige, die sagen: Das hätten wir gerne anders. Aber ich kann mich nicht an jeder Stelle von Einzelstimmen leiten lassen. Die große Mehrheit ist anders. Die große Initiative des Pietismus ist erst nach dem Kirchentag 1969 entstanden. Damals wurde gesagt: Der Umgang mit der Bibel ist nicht das, was unsere Kirche voranbringt. Da müssen wir was dagegen setzen.
Wie geschlossen ist der Pietismus?
Es gibt auch im Pietismus verschiedene Richtungen und Flügel. Da sind wir breit aufgestellt und das ist auch gut so. Es gibt bestimmt welche, die sagen: Zum Kirchentag gehen, ist nicht meins. Die respektiere und achte ich, auch wenn es nicht meine Position ist.
Sie zählen sich zu den liberalen Pietisten?
Was ist denn bitte ein liberaler Pietist?
Jemand, der den Glauben anderer toleriert und sie nicht ausgrenzt.
Wenn das liberal ist, bin ich liberal. Was den Kirchentag betrifft, ist für mich profilierte Nähe entscheidend. Ich habe keine Probleme, dies und jenes, was den Kirchentag betrifft, zu diskutieren und zu kritisieren. Aber im Grunde ist es wie in unserer Kirche auch: Wir stehen zusammen, wir gehören zusammen, wir bewegen uns – wo es irgend geht – gemeinsam. Wo das nicht möglich ist – und das liegt gar nicht mal immer an uns – da müssen wir jeweils eigene Wege einschlagen.
Wird es künftig einen Kirchentag und Christustag unter einem gemeinsamen Dach geben?
Ich bin mir ziemlich sicher, dass dies nur noch an wenig scheitert. Wir hätten es organisatorisch und ideell auch jetzt hingebracht, wenn zum Beispiel die messianischen Juden ein Forum auf dem Kirchentag hätten, das sie selber bestimmen können. Der Kirchentag muss das Gespräch mit dem Judentum intensiv führen. Unsere Geschichte lehrt uns, dass das unser Auftrag ist. Versöhnung an dieser Stelle. Aber das ist nicht alles. Wir haben genauso eine Verpflichtung gegenüber unseren christlichen Geschwistern, die sagen: Ich gehöre zum jüdischen Volk.
Manche sagen: Das sind doch nur Evangelikale, die sich den Anstrich des Jüdischen geben, um Juden zu missionieren.
Das ist in der Tat ein Streitthema, aber mit Vorverurteilungen kommen wir nicht weiter. Diejenigen, welche die messianischen Juden vom Kirchentag ausschließen, führen unter dem Deckmantel der Liberalität einen Scheindialog mit dem Judentum. Die Redlichkeit der Motive könnte man sich gegenseitig stehen lassen. Das wäre mir schon recht.
Auch eine andere Gruppe, die „Bruderschaft des Weges“, darf nicht am Kirchentag teilnehmen. Stehen Sie hinter dieser Entscheidung des Kirchentagspräsidiums?
Homosexualität ist sicher ein strittiges Thema. Ich messe die Leute immer an ihrer eigenen Aussage, nicht was andere über sie sagen. Und bei der „Bruderschaft des Weges“ ist das ganz klar. Sie sagen: Wir sind keine Homo-Heiler. Gleichzeitig wollen wir als Schwule keusch leben. Keusche Schwule vom Kirchentag ausschließen: Warum denn?
Sie hätten diese Gruppen eingeladen?
Natürlich. Das ist doch völlig klar. Warum soll man die Leute ausladen? Es ist wichtig, dass wir einander begegnen, Argumente austauschen, miteinander schauen und miteinander gehen.
Sie als Pietist sprechen der Vielfalt das Wort?
Ich spreche nicht der Vielfalt das Wort, sondern der gemeinsamen Suche nach der Wahrheit. Ich bin mir sicher, dass diese Wahrheitssuche nicht in der völligen Beliebigkeit endet. Man muss um die Dinge streiten. Nur heißt das nicht ausschließen. In der württembergischen Landeskirche gibt es viele, die erklären: Man kann mit vielem nicht einig sein, aber deswegen darf man doch kein Exklusionstribunal einführen. Als was soll man den Ausschluss dieser Gruppen denn sonst verstehen.
Das sind noch ganz schön dicke Bretter, die man bohren muss.
Das ist kein Problem. Dafür sind wir in der Kirche grundsätzlich da – um den anderen im Namen Jesu anzunehmen und zu tolerieren. Aber der andere hat auch mich zu ertragen. Wir müssen nicht in jeder Meinung konform gehen.
Dass Konservative und Liberale 1969 beim zweiten Stuttgarter Kirchentag aufeinander los gegangen sind, hat das auch etwas bewegt?
Was 1969 betrifft, sind wir 45 Jahre weiter. 1969 hat ganz viel gebracht. Zum Beispiel, dass wir als Pietismus unheimlich kreativ geworden sind und was getan haben. Ich sage: Nie und nimmer ein Abschied vom Kirchentag, sondern mitten reingehen, die eigenen Argumente einbringen und sehen, was daraus wird.

Zur Person: Ralf Albrecht

1964 geboren in Stuttgart1984-1985 Diakonisches Jahr im Karl-Olga-Krankenhaus Stuttgart1986-1991 Studium der evangelischen Theologie in Tübingen und Marburg1992-1994 Vikariat1994-1997 Studienassistent im Bereich Altes Testament am Albrecht-Bengel-Haus Tübingen1997-2007 Pfarrer in RielingshausenSeit April 2007 Dekan im Evangelischen Kirchenbezirk NagoldVorsitzender der Christus-Bewegung Lebendige Gemeinde