Kabarettist Sonntag im vergangenen Jahr als Bruder Christophorus in der Alten Kelter in Fellbach Foto: Christian Hass

Womöglich hätte der Kabarettist Christoph Sonntag auch als Zeitungsjournalist Karriere machen können. Aber dann, sagt er, war die Künstlerseele doch größer als die Kritikerseele.

Stuttgart - Herr Sonntag, ich muss mit einem Geständnis angefangen: Ich habe Sie 1987 mal verrissen.
Sie haben einen verrissen, der heute ein Star ist. Dass Sie damit nicht leben können und sich noch daran erinnern, verstehe ich.
Stimmt. Wie können Sie mit Verrissen leben?
Ganz gut, da es seit zehn Jahren keine Verrisse mehr gibt. Aber in meinen Anfängen war das hart. Das hängt damit zusammen, dass ich einen Beruf habe, bei dem Privates und Geschäftliches zusammenfließen. Wenn ein Beamter für die Bundeswehr einen Flieger kauft, der nicht tut, dann schreibt ihr: „Die Bundeswehr hat einen flugunfähigen Flieger gekauft.“ Wenn einer meint, mein Programm sei nicht gut, heißt es: „Der Sonntag ist ein Idiot.“
Das heißt: Kritik trifft nicht nur den Künstler, sondern auch den Privatmenschen Sonntag?
Wenn Sie fies ist, schon. Das Gemeine ist, dass die Sperrfeuer am Anfang, wenn du noch wackelig auf den Beinen bist, besonders heftig sind. Bist du arriviert, kommt gar nichts mehr. Höchstens, wenn ihr mal einen Praktikanten hinschickt, der respektlos und recherchefrei an die Sache rangeht.
Sie waren selbst mal Journalist, kennen also auch die andere Sicht.
Ich schrieb für die „Waiblinger Kreiszeitung“, „Natur“ und für die „Süddeutsche Zeitung“. Für die „Süddeutsche“ verfasste ich Kulturkritiken, und als ich meinen zehnten Bericht abgegeben habe, sagte der Chefredakteur: „Sonntag, von Ihnen erwarte ich so langsam mal einen Verriss.“ Das hat mich aufgewühlt, weil ich keinen Bock hatte, Verrisse zu schreiben. Ich schrieb doch über Menschen, die Bilder malen oder Antikriegstexte verfassen, anstatt in der Kneipe zu hocken. Ob das Ergebnis perfekt ist oder nicht, ist mir wurscht. Ich respektiere die Motivation und will die fördern.
Verrisse gibt es in Sonntags Welt nicht?
Ich hätte nur einen Verriss schreiben können, wenn ich das Gefühl gehabt hätte, dass da einer die Menschen hinterlistig und böse verarscht. Aber auf so einen Menschen bin ich bei meiner journalistischen Arbeit nie gestoßen. Meine Künstlerseele war schon immer größer als meine Kritikerseele.
Deshalb wurde nichts aus der Journalistenkarriere?
Ja. Aber auch deshalb, weil es im Journalismus gut lief – ich im Kabarett aber riesigen Erfolg hatte. Ich war als Journalist nie der große Rechercheur, deshalb war der Erfolg meiner Geschichten abhängig von meinem Gesprächspartner. Einen meiner besten Texte schrieb ich über Meeresschwämme – aber auch nur deshalb, weil ich einen super Professor als Informanten hatte. Der Mann war Deutschlands führender Schwammforscher. Er war verheiratet mit Deutschlands zweitführender Schwammforscherin. Vermutlich haben die sich noch bei der Liebe über Schwämme unterhalten.
Lernt man aus einer Kritik?
Bei ganz wenigen Kritikern spürt man, dass sie es ehrlich mit einem meinen und du dir hinterher sagst: „Ja, der hat recht.“ Es gibt unter Künstlern einen schönen Spruch: Kritiker sind Menschen, die gackern, wenn wir ein Ei legen. Das Thema ist: Saubere Arbeit machen. Das erwarte ich von einem Handwerker genauso wie von einem Journalisten oder einem Kabarettisten.
Sie sind Perfektionist?
Schon. Wenn ich mich mit einem Bildhauer vergleiche, dann bin ich nicht der, der in den Steinbruch geht und Felsen zurechthaut. Ich bin der, der einen losschickt und sagt: Such mir mal einen Stein, der wie ein Tiger oder wie eine Giraffe ausschaut. Wenn ich eine vorgehauene Grundform bekomme, kann ich mich in die Feinarbeit stürzen. Da bin ich gnadenlos fleißig. Deshalb habe ich auch mein journalistisches Standbein verkümmern lassen. Was nie mein Ding war, ist das mühsame Recherchieren. Deshalb ist das Kabarett meine Leidenschaft: Da stehst du auf der Bühne, und genau in der Sekunde bist du gefragt. Da bin ich wie der Torwart, der Spaß hat, zum Ball hinzufliegen.
Wann fiel die Entscheidung, beim Schwäbischen zu bleiben?
In den Endachtzigern. Damals galten wir als Volltrottel der Nation, als Spießer, Streber, Besserwisser, Provinzler. Das hat in mir einen Widerspruch angefacht.
Sie blieben beim Schwäbischen, obwohl Alfred Biolek Sie davon abbringen wollte?
Ja, Biolek war damals der Topmann der ARD. Ihm gefiel, was ich machte, aber er sagte: „Ich will dir helfen. Aber zuerst musst du Hochdeutsch lernen. Einen Schwaben bringe ich nicht unter.“ Ich nahm Sprecherziehung und spielte eine meiner Nummern auf Hochdeutsch. Nach der Show kam die Frau eines ehemaligen Lehrers auf mich zu, was deshalb für mich von Bedeutung war, weil sie eine wunderhübsche Tochter hatte, und sagte: „Christoph, mach’s auf Schwäbisch. Das Hochdeutsche berührt mich gar nicht.“ Dabei war die Frau nicht mal Schwäbin. Ich habe daraufhin die Nummer wieder auf Schwäbisch umgeschrieben – und sie kam besser an. Da war die Entscheidung endgültig gefallen.
Hat sich der Schwenk gelohnt, also auch wegen der Tochter?
Das verrate ich Ihnen nicht. Aber im Ernst: Ich wollte lieber König in einem kleinen, sympathischen Ländle sein als einer von vielen Grafen in einem großen Land.
Kleines Ländle, großes Publikum?
Je größer, desto besser. So gesehen bin ich längst kein Kleinkünstler mehr. Tiefenpsychologisch ist der Fall klar: Der Mensch ist als Einzelwesen auf die Erde geknallt – und seither sucht er die Einheit. Im Negativen führt das zum Pegida-Effekt, im Positiven zum Sonntag-Effekt. Die Leute fühlen sich bei mir zwei Stunden wohl. Wir sind uns einig, dass das, was der Sonntag sagt, witzig ist und dass das, was er sagt, endlich mal gesagt gehört. Und wir wissen, dass wir eigentlich alles besser machen könnten, aber leider fehlt uns die Zeit dafür. Wenn ich aktuellen Kritiken glauben darf, dann ist der Sonntag auch im letzten Winkel einer Halle präsent.
Kommenden Samstag werden Sie in der Kelter in Fellbach beim „Jüngsten Ger(i)ücht“ wieder auf Politiker einhauen.
Ich mache das, was die Bayern Derblecken nennen. Allerdings fließt bei uns nicht nur Starkbier, sondern auch Wein. Auch sonst ist die Veranstaltung keine Kopie des Starkbieranstichs. Bruder Barnabass ist Katholik, aus mir spricht Bruder Christophorus Sonntag, ein lutheranischer Geistlicher, der von 1664 bis 1717 gelebt hat. Dieser Christophorus liegt auf seiner Wolke und schreibt alles in sein großes Buch, was ihm da unten auf der Erde so auffällt.
Und die Politprominenz tanzt an, um von Ihnen abgewatscht zu werden.
Alle werden da sein, Kretschmann, Özdemir, Wolf. Nur Oettinger wird fehlen, der hat sich entschuldigen lassen, wohl, weil er sich im Internet erkältet hat. Das ist eine wunderbare neue Tradition. Besonders gefällt mir, dass es am Ende der Faschingswoche um Inhalte geht. Bei meinem sonstigen Programm ist 70 Prozent Comedy, 30 Prozent Kabarett. Beim „Jüngsten Ger(i)ücht“ geht es zu 100 Prozent um politisches Kabarett.
Höchststrafe ist, wenn einer von Ihnen nicht durch den Kakao gezogen wird?
Um es mit dem Altministerpräsidenten Erwin Teufel zu sagen: „So ischt es.“
Insofern darf sich Frau Andrea Nahles gebauchpinselt fühlen, der Sie den „Charme einer Prostatauntersuchung“ attestierten. Taten Sie da der Untersuchung nicht unrecht?
Ich weiß nicht, was Sie für ein Typ sind, aber einem normalen Mann ist die Untersuchung eher unangenehm.

Samstag, 21. Februar, 11 Uhr, stellt Sonntag in der Alten Kelter in Fellbach als Bruder Christophorus Promis an den Pranger. Tags darauf, 18.45 Uhr, zeigt SWR-Fernsehen den Auftritt. Samstagabend, 20 Uhr, ist er im Theaterhaus mit seinem Programm „Muss des sei . . .?“ zu sehen.