Südwest-CDU scheitert an Fehlern wie an der Atomdiskussion - und muss sich nun erneuern.

Stuttgart - Am Anfang steht der Schock, es folgt eine kurze Phase der Hoffnung, dann aber ist die Niederlage endgültig. Die CDU verliert nach fast 58 Jahren die Regierungsmacht in Baden-Württemberg.

Wenn man Enttäuschung in Worte fassen würde, die CDU könnte an diesem Abend einen Roman schreiben. Der mögliche Titel: Der Untergang. Schon am späten Sonntagnachmittag liegt diese Stimmung in der Luft. "Es wird nicht reichen, die Grünen sind zu stark", raunt einer aus der CDU-Führung. Zu diesem Zeitpunkt trifft sich die engste Führung der Partei um Ministerpräsident und Landeschef Stefan Mappus in der Regierungszentrale. "Es war ganz ruhig, niemand ist laut geworden", berichtet später ein Sitzungsteilnehmer.

Was sollen sie auch sagen, sich gegenseitig Vorwürfe machen, womöglich Mappus die alleinige Schuld an der historischen Wahlniederlage nach fast 58 Jahren Dauerregentschaft geben? Das Debakel ist zu diesem Zeitpunkt ohnehin nicht mehr aufzuhalten - und wird um punkt 18 Uhr Gewissheit, als die Prognosen auf den TV-Schirmen zu sehen sind. Der schwarze Balken mag und mag nicht höher hinauf klettern, er bleibt unter 40 Prozent hängen, also unter jenem Wahlziel, dass Mappus vorgegeben hatte. Im 2. Stock des Landtags, wo sich die CDU mit ihren Anhängern versammelt hat, herrscht Grabesstille. "Bei dem Ergebnis verschlägt es mir die Sprache, das muss ich erst einmal verarbeiten", sagt Friedhelm Repnik, einst CDU-Sozialminister und nun Chef der Toto-Lotto-Gesellschaft.

Anderen geht es ähnlich. Innenminister Heribert Rech schweigt, Kultusministerin Marion Schick spürt nur eines: "sehr große Betroffenheit", Bundesrats- und Europaminister Wolfgang Reinhart spricht von einem "traurigen Tag", Kunst-Staatssekretär Dietrich Birk nennt es "eine herbe Niederlage".

So stehen sie da und nippen an ihren Gläsern mit Mineralwasser. Sie alle warten auf Stefan Mappus. Jenen Mann, der erst vor 13 Monaten ins Amt kam. Wird er als Ministerpräsident sofort zurücktreten? Wird er den Vorsitz der Landes-CDU gleich mitabgeben? Die Spekulationen wuchern. Dann kommt der 44-Jährige und bahnt sich, mühsam geschützt von einem halben Dutzend Leibwächtern, den Weg zu einem Rednerpult im Foyer des Landtags. "Das ist ein bitterer Tag für die CDU in Baden-Württemberg, aber auch für mich persönlich. Und es ist kein guter Tag für Baden-Württemberg", sagt Mappus. Zwei Sätze, die alles über die Gefühlslage des Pforzheimers und seine Verachtung für die Wahlgewinner ausdrücken.

Neben ihm steht seine Frau Susanne. Vor einem Jahr weinte sie, als ihr Mann im Landtag vereidigt wurde. Nun ringt die ehemalige CDU-Landesgeschäftsführerin mit der Fassung, weil sich seine politische Karriere dem Ende nähert. "Es war kein leichter Wahlkampf mit immer neuen Rückschlägen", bilanziert Mappus. Er nennt Stuttgart 21, die Atomdiskussion, den Rücktritt von zu Guttenberg. Später, vor den Anhängern der CDU, fügt er hinzu, dass in den vergangenen 13 Monaten über die CDU "alles reingebrochen ist, was nur über einen reinbrechen kann". Das hätte "für zwei oder drei Legislaturperioden gereicht". Der "öffentliche Druck" sei groß gewesen, die "mediale Berichterstattung" habe sich oftmals gegen die CDU gerichtet, er habe "viele Rückschläge weggesteckt", dennoch habe die CDU "grandios gekämpft".

Nun aber sei der Zeitpunkt gekommen, dass sich "die Partei inhaltlich und personell erneuert". Es sind Worte, aus denen Abschied klingt. "Vor uns liegen keine einfachen Monate und Jahre", räumt Mappus ein, aber er betont fast trotzig: "Wir werden wiederkommen." Seine Stimme wird schwerer: "Ich liebe dieses Land und wünsche Baden-Württemberg von Herzen alles Gute."

Zu diesem Zeitpunkt, als Mappus seinen Abgang aus der Politik ankündigt ("Ich übernehme die volle Verantwortung"), auch wenn er ihn wohl erst am Montagabend nach den Sitzungen der CDU-Führungsgremien bekanntgeben wird, hoffen manche noch auf die Wende. Immerhin wird der Abstand in den Hochrechnungen zwischen Schwarz-Gelb und Grün-Rot immer knapper. Aber die Hoffnungen, das Blatt noch zu wenden, sind bald zerstört.

Und so beginnt die Ursachenanalyse für diese historische Wachablösung. "Ich war ein einsamer Rufer in der CDU-Wüste und habe für einen anderen Politikstil geworben", sagt Beamtenbund-Landeschef Volker Stich. Die CDU müsse "die Argumente der Bürger ernster nehmen" und "vom hohen Ross herunterkommen". Auch Christian Bäumler, Landeschef der CDU-Sozialausschüsse, sagt mit Blick auf die Zukunft: "Wir müssen die Parteiarbeit grundlegend ändern, die Mitglieder mehr an Entscheidungen beteiligen." Und die Partei müsse gegenüber den Bürgern anders auftreten: "Wir müssen mehr erklären, was wir tun."

Ob das im Fall der Atomkatastrophe von Japan und dem Kurswechsel in Sachen Kernkraft noch geholfen hätte, um das Wahldebakel zu verhindern? Es sind viele CDU-Köpfe, die an diesem Abend einräumen, dass die Partei bei diesem Thema in der Glaubwürdigkeitsfalle saß. Oder wie es Generalsekretär Thomas Strobl umschreibt: "Diese Landtagswahl ist in Japan entschieden worden." Aber waren die externen Einflüsse der alleinige Grund für den Machtverlust? "Es wurden auch selbst zu viele Fehler gemacht", sagt einer aus der Fraktion und nennt als Beispiele die öffentliche Schelte von Mappus für Stuttgarts OB Schuster. Ein anderer macht eine "Schlussoffensive-Problematik" als Grund für die Niederlage aus. Soll heißen: Die CDU hatte auf der Zielgeraden des Landtagswahlkampfs nichts mehr nachzulegen, der regelmäßige Verweis auf die gute Position Baden-Württembergs im Bundesvergleich zog nicht mehr, die Popularitätswerte des Spitzenkandidaten Mappus blieben im Keller, und die immer wiederkehrende Warnung vor Grün-Rot verfehlte ihre Wirkung.

Aber nun, was passiert mit der viele Jahre so erfolgsverwöhnten selbst ernannten Baden-Württemberg-Partei? "Es wird sehr schwer werden, sich an die Oppositionsrolle zu gewöhnen. Wir wissen doch garnicht, wie das geht", meint ein altgedienter Abgeordneter. Und: Was wird aus dem Netzwerk, das über Jahre aufgebaut wurde und bei dem es normal war, dass mancher CDU-Landrat oder Oberbürgermeistzer einfach zum Hörer greifen konnte, um den Minister mit dem eigenen Parteibuch um einen Gefallen zu bitten? "Wir müssen entschlossen und geschlossen bleiben über diesen Wahltag hinaus", wirbt Finanzminister Willi Stächele.

Ob diese Hoffnung sich erfüllt, ist freilich fraglich. Hinter den Kulissen bilden sich bereits Allianzen. Einen ersten Vorgeschmack auf den Verteilungskampf könnte es bereits an diesem Dienstag geben, wenn die CDU-Landtagsfraktion ihren Vorsitzenden und damit den Oppositionsführer wählt. Amtsinhaber Peter Hauk wird kandidieren. Aber bekommt er Gegenkandidaten? Immer wieder fallen die Namen der Noch-Minister Reinhart, Rech und Stächele - und jener von Umwelt- und Verkehrsministerin Tanja Gönner. Sie hat sich in den vergangenen Wochen auffällig rar gemacht, plötzlich schien die politische Nähe zu Mappus wie weggeblasen. Will sie CDU-Landeschefin im Südwesten werden? Möchte sie Oppositionsführerin im Landtag sein? Oder wechselt sie alsbald doch in die Bundesregierung nach Berlin? In der Partei erzählen sie am Sonntagabend jene Episode, wie Gönner neulich in einer Sitzung der CDU-Führungsgremien vehement die Position der Kanzlerin verteidigte, dann aber überstimmt wurde und bitterböse gesagt habe: "Es ist immer wieder interessant zu sehen, dass man bei manchen Themen auch mit der Wand hätte sprechen können." Am Sonntagabend jedenfalls vertritt sie plötzlich Mappus, als die Spitzenkandidaten aller fünf Parteien vor die Presse treten. Warum das so ist, weiß keiner.

Kein Zweifel: Der Südwest-CDU stehen turbulente Zeiten bevor - inhaltlich wie personell. Der Roman "Der Untergang" wird wohl noch einige Kapitel erhalten.