Zum 20-jährigen Bestehen gab es für Joachim Kätzler, Doris Mäurer, Hans-Werner Gülck und Gerlinde Rendke (von links) und die anderen Teilnehmer der Gruppe Sachertorte. Foto: Annina Baur

Im Café Tinnitus treffen sich Betroffene. Die Selbsthilfegruppe ist 20 Jahre alt.

S-Süd - Der Oktober 2006 hat das Leben von Doris Mäurer auf den Kopf gestellt. Eines Morgens wachte sie in ihrer Wohnung am Marienplatz auf und dachte, ein Bienenschwarm hätte sich in ihrem Kopf eingenistet. Nach unzähligen Arztbesuchen stand fest, dass die Bienen den Weg nicht mehr aus ihrem Kopf finden. Doris Mäurer leidet an Tinnitus. Permanent summt und brummt es lautstark in ihrem linken Ohr.

„Am Anfang dachte ich, mit diesem Geräusch nicht weiter leben zu können“, sagt Mäurer. Vor allem nachts, wenn alles still war, beherrschte das Summen ihr Leben. „An Schlaf war nicht zu denken.“ Die Stuttgarterin stand kurz vor einer Depression; acht Wochen lang war sie in einer Klink in Behandlung. Dann kam die Optimistin in Mäurer wieder zum Vorschein. Ein Arzt empfahl ihr einen so genannten Noiser. Das Gerät erzeugt einen dumpferen und damit für Mäurer besser zu ertragenden Ton in ihrem Ohr, der das Summen übertönt. Vor allem nachts sei dies bis heute eine große Hilfe, die sie schlafen lässt.

Nach und nach wurden es immer mehr Betroffene

Einige Monate nach der Diagnose wurde sie durch die Zeitung auf die Tinnitus-Selbsthilfegruppe aufmerksam und ging zu einem Treffen. Seither ist Mäurer regelmäßig zu Gast beim Café Tinnitus. Am Samstag haben sie und andere Betroffene das 20-jährige Bestehen der Gruppe mit Sachertorte, Tee und Kaffee gefeiert.

Zum Jubiläum ist auch der Gründer der Gruppe, Hans-Werner Gülck, gekommen. Er lebt inzwischen nicht mehr in Stuttgart, war aber über viele Jahre das Rückgrat der Truppe. Gülck leidet seit mehr als 20 Jahren unter den Geräuschen im Ohr. Die ersten Jahre seien die schlimmsten gewesen, erinnert er sich. Er sei von Pontius zu Pilatus gerannt, in der Hoffnung, das Rauschen abzuschütteln. Helfen konnte ihm niemand. „Tinnitus ist bis heute kaum behandelbar“, sagt Gülck. Letztlich müssten die Betroffenen lernen, mit dem Tinnitus zu leben und ihn zu akzeptieren. „Jeder muss seinen Weg finden. Mir hilft zum Beispiel beruhigende Klostermusik.“

Doch auch wenn die Lösungen individuell verschieden sind, wollte Gülck anderen Betroffenen helfen, den für sie richtigen Weg zurück zu einem möglichst normalen Leben zu finden. „Am Anfang war nicht sicher, ob die Gruppe bestehen bleibt“, erinnert er sich. Nur wenige Teilnehmer fanden den Weg in das Jugendheim, in dem er als Leiter einen Raum für die monatlichen Treffen nutzen konnte. Nach und nach aber wurden es immer mehr Betroffene; schließlich kamen immer zwischen zehn und 20 Personen zusammen.

Ausflüge, bei denen nicht über den Tinnitus gesprochen wird

„Es tut gut, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und zu wissen, dass man mit seinem Leiden nicht allein ist“, sagt Dorothea Koch. Auch sie leidet seit mehr als 20 Jahren unter dem Tinnitus und war von Beginn an Gast im Café Tinnitus.

Die Gruppe trifft sich immer am dritten Samstag des Monats, seit circa drei Jahren in den Räumen von Kiss Stuttgart an der Tübinger Straße. Einen Nachmittag lang wird bei Tee und Gebäck geplaudert, zusammen ein literarisches Stück gelesen oder ein Experte eingeladen, der einen Vortrag zu der Erkrankung hält.

Es soll sich aber nicht immer alles nur um den Tinnitus drehen – im Gegenteil: „Zweimal im Jahr finden Ausflüge statt, bei denen ganz bewusst nicht über den Tinnitus gesprochen wird“, sagt Hans-Werner Gülck. Die Gruppe fährt dann zum Beispiel nach Heidelberg oder an den Bodensee und lässt es sich gut gehen. „Das tun wir zu unserem Besten“, sagt Gülck. Positiv zu denken und das Leben allen Widrigkeiten zum Trotz zu genießen, da sind sich alle Teilnehmer des Café Tinnitus einig, sei die beste Medizin gegen das fiese Rauschen und Brummen im Ohr.