Zoodirektor Thomas Kölpin wirft einen Blick auf einen historischen Wilhelma-Plan. Dieser stammt nach Schätzungen etwa aus dem Jahr 1980. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Einst königlicher Park, heute Tierpark mit rund anderthalb Millionen Besuchern pro Jahr. Unsere Luftbildaufnahmen der Wilhelma zeigen, wie der Zoo sukzessive gewachsen ist. Auch die Tierhaltung und das Selbstverständnis haben sich verändert.

Die Wilhelma besuchen Eltern mit ihren Kindern, Großeltern mit ihren Enkeln, selbst erste Dates oder Wiedersehen mit Freunden aus der Kindheit finden hier statt. Es scheint, als sei die Zeit auf den Wegen zwischen dem maurischen Garten, dem Pavillon Belvedere und den Anlagen des Botanischen Gartens stehen geblieben. Ein Blick auf die Luftaufnahmen des zoologisch-botanischen Gartens zeigt jedoch, dass die Wilhelma seit ihrem Bestehen eine große Wandlung durchlaufen hat. Das Areal ist in Richtung Norden gewachsen, hat Teile des Rosensteinparks eingenommen, Gehege wurden erweitert oder oftmals neugebaut, und Tiere wurden umgesiedelt.

 

Früher waren die Käfige klein und ohne Rückzugsraum

Spricht man mit Zoodirektor Thomas Kölpin, erhält man einen Einblick in die Transformation des Zoos. „Hier in den Wandelgängen zwischen Theater und Pinguinen lebten in den 50er Jahren die Tiger. In kleinen Käfigen ohne Rückzugsraum. Wichtig war, dass Besucher die Tiere jederzeit sehen konnten“, sagt Kölpin kopfschüttelnd. Er zeigt auf dem historischen Plan auf ein Gebäude an der Kreuzung, wo Pragstraße und Neckartalstraße aufeinandertreffen. Dann tippt er auf ein kreisförmiges Gebilde an der oberen Pragstraße. In den 60er Jahren zogen die Großkatzen hier in ein neues Haus. Pflanzen und ein kleines Außengehege verbesserten zwar die Haltungsbedingungen, doch aus Sicht der heutigen Zucht- und Verhaltensbiologie waren sie weiterhin nicht artgerecht.

Erlebnisfaktor Gastronomie

Wer einen Blick auf die aktuellsten Luftbildaufnahmen wirft, kann schon die ersten Baumaßnahmen für die neue Raubkatzen-Anlage entdecken, die derzeit entsteht. Dort wird es Rückzugsorte, eine Tauchanlage, Waldflächen und Beschäftigungsmöglichkeiten geben und getrennte Bereiche für Männchen, Weibchen und Jungtiere. Beispiele wie diese verdeutlichen, welche Entwicklungen die Wilhelma seit ihrer Eröffnung durchlaufen hat. Anlagen mussten verlegt werden, der Tierbestand änderte sich, und neue Haltungsrichtlinien machten Sanierungen nötig. Auch das gastronomische Angebot ist nicht mehr mit dem von 1968 zu vergleichen. Wo früher die Pommes zum Zoobesuch dazugehörten, wollen heute Gäste in der Gastronomie „etwas erleben“, sagt Kölpin. Der Gastronomiebetreiber Marché achtet daher auf Küche mit regionalen und saisonalen Zutaten, auch Vegetarier und Veganer sollen Auswahl haben.

Einst war der Park privater Rückzugsort

Das heutige Areal, auf dem circa 11 000 Tiere leben, erstreckt sich über mehr als 30 Hektar und ist damit so groß wie 40 Fußballfelder. Doch das war nicht immer so. Einst war der Park, abgeschirmt von der Öffentlichkeit, privater Rückzugsort von König Wilhelm I.. In den Nachkriegsjahren wurde die Wilhelma zeitweise als Gemüsegarten zweckentfremdet, nach dem Zweiten Weltkrieg zogen nach und nach durch Bemühungen eines Stuttgarter Beamten Zootiere in die alten Gebäude maurischer Prägung. Der Zoo als lebendes Museum, bei dem die Präsentation von Tieren im Vordergrund stand, prägte das Selbstverständnis der Wilhelma. In den 60er- und 70er Jahren drehte sich das Blatt. Erste Maßnahmen zur Vergrößerung von Gehegen wurden geplant. Als in den 90er Jahren die Europäischen Erhaltungszucht-Programme verabschiedet wurden, änderten sich die Aufgaben für europäische Zoos. Heute gilt es, Tierarten zu erhalten, Nachwuchs zu züchten und durch museumspädagogische Angebote Besuchern einen verantwortungsvollen Umgang mit der Natur nahezulegen.

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Dem Argument, dass sich Zoos nur durch gesellschaftlichen Druck von Tierschützern verändern, widerspricht Zoodirektor Kölpin. Erkenntnisse aus der Biologie, zum Beispiel über Ansprüche an Lebensräume oder Fortpflanzungsweisen, versuche man bei der Gestaltung von neuen Gehegen zu berücksichtigen. „Unsere Anlagen sind keine Kopie der Wildnis, aber wir orientieren uns bestmöglich daran“.

Wegweisend für die Planung des neuen Elefantengeheges, welches ab 2024 im nördlichsten Zipfel der Wilhelma gebaut werden soll, sind die Sozialbedürfnisse der Dickhäuter. Die Mutterherde lebt, wie in der freien Natur, fortan getrennt von den Bullen und Jungbullen. „Höchstes Ziel ist es, Reservepopulationen für vom Aussterben bedrohte Tierarten zu züchten. Wenn unsere Tiger oder Elefanten in der freien Natur überleben können, dann wissen wir, dass wir alles richtiggemacht haben.“

Mehr Tempo für tiergerechte Gehege?

Georg Fundel, langjähriger Vorsitzender des Wilhelma-Fördervereins, weiß genau, welche Tiere in welchem Gebäude der Luftbildaufnahme leben. Schon als Kind hat er die Wilhelma besucht und kann aus Zeiten erzählen, als der nordwestliche Teil des Parks noch Brache war. Heute kommt er mit seinen Enkeln her. Zahlreiche Projekte wurden mit den Mitglieds- und Spendengeldern des Fördervereins mitfinanziert, etwa die Australienwelt, das Affenhaus und die zwölf Spielplätze auf dem Gelände. Auch das neue Elefantenhaus wird aus Vereinsmitteln bezuschusst. Allerdings wünscht er sich ein höheres Tempo bei den Neubau- und Sanierungsprojekten. Die Wilhelma bleibe hinter Zoos wie denen in Leipzig oder Hamburg zurück, sagt Fundel und verweist auf zahlreiche, nicht mehr tierkonforme und zu enge Gehege. Wenn gewollt, könne der Förderverein deutlich mehr Projekte finanziell unterstützen. „Das Geld ist abrufbar, es zu nutzen ist wichtig, damit die Wilhelma weiterhin über die Stadtgrenzen hinaus von Bedeutung ist“, findet der Wilhelma-Freund.

Frühestens 2025 könnte es ein Nilpferd-Gehege am Neckar-Ufer geben

Bei der Entscheidung, welche Sanierungsmaßnahmen umgesetzt werden, ist die Zoodirektion jedoch abhängig von der Landespolitik. „Vergabeverfahren für Bauprojekte brauchen ihre Zeit. Wir setzen um, was möglich ist“, entgegnet Kölpin. Die Fertigstellung des Amazonienhauses, der Startschuss des Projekts Elefantenhaus und perspektivisch der Bau des Nilpferd-Geheges am Neckar-Ufer ab frühestens 2025 füllen derzeit die Terminkalender des Planungsstabes.