Die Bulgarin Neshka Robeva ist seit Anfang Februar für die deutsche Nationalgruppe verantwortlich. Foto: Eva Herschmann

Die 71-jährige Bulgarin Neshka Robeva soll die Nationalgruppe, die am Bundesstützpunkt in Schmiden beheimatet ist, international konkurrenzfähig machen – und mit ihr die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio meistern.

Schmiden - Mit ernster Miene verfolgt Neshka Robeva die Bemühungen der Gymnastinnen. Aufrecht sitzt sie auf der Bank vor der großer Spiegelwand, während die Mädchen Balletttraining haben. Sie ist nur als Beobachterin in der Trainingshalle im Bundesstützpunkt Schmiden. Ballettmeister Gjergj Bodari leitet die Übungseinheit. Doch die 71-jährige Bulgarin möchte möglichst schnell einen möglichst kompletten Überblick über die Nationalgruppe haben, für die sie seit Anfang Februar verantwortlich ist.

Im vergangenen Herbst war Neshka Robeva das erste Mal in Schmiden

Der Deutsche Turner-Bund (DTB) hat die Trainerlegende aus Bulgarien zur Nachfolgerin ihrer glücklosen Landsfrau Ekaterina Dulamova gekürt, die die Gruppe seit Ende 2015 betreut hatte. Bei den Weltmeisterschaften im italienischen Pesaro im vergangenen Jahr hatte das Team mit dem 14. Rang das erklärte Ziel, einen Platz unter den zehn Besten, verpasst. Neshka Robeva, so hofft man in der DTB-Chefetage, soll die Reize setzen, die nötig sind, um international den entscheidenden Schritt nach vorne zu tun. Eineinhalb Jahre, bis zu den Weltmeisterschaften in Aserbaidschan 2019, gilt – vorerst – der Vertrag von Neshka Robeva. „Sollten wir uns für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio qualifizieren, würden wir die Zusammenarbeit auch gerne verlängern“, sagt Isabell Sawade, die DTB-Teamchefin in der Rhythmische Sportgymnastik.

25 Jahre war Neshka Robeva bulgarische Nationaltrainerin

Im vergangenen Herbst war Neshka Robeva das erste Mal in Schmiden. Als externe Beraterin war sie hinzugezogen worden, um neue, schwierigere Übungen für die Gruppe zu choreografieren. „Damals war noch keine Rede davon, dass ich Trainerin werde“, sagt Neshka Robeva. Doch zu jener Zeit und auch während der gemeinsamen Trainingswoche im Olympiastützpunkt in Kienbaum hat Isabell Sawade festgestellt, dass die alte Dame der Sportgymnastik und die junge deutsche Nationalgruppe, die am Stützpunkt in Schmiden beheimatet ist, gut zusammenpassen: „Wir haben im übertragenen Sinn die gleiche Sprache gesprochen.“ Als klar war, dass der DTB die Zusammenarbeit mit Ekaterina Dulamova beenden will, habe sie Neshka Robeva kontaktiert.

Die zögerte zunächst. „Eigentlich hatte ich mich schon aus der internationalen Trainerarbeit zurückgezogen“, sagt die Bulgarin. Aber es reizte sie. „Ich habe die Übungen für die Gruppe choreografiert, ich weiß, dass sie schwierig sind und viel verlangen. Das wollen wir nun gemeinsam perfektionieren. Und ich habe die Kinder gesehen, es sind gute Gymnastinnen darunter. Sie müssen aber daran glauben, dass sie konkurrenzfähig sind, dass sie die Wertungsrichterinnen beeindrucken können.“ Technische Perfektion ist das Fundament, sagt Neshka Robeva: „Erst dann kommen Tanz und Artistik.“

25 Jahre war Neshka Robeva bulgarische Nationaltrainerin – und formte eine goldene Generation von Gymnastinnen. Die Trainerin wurde in ihrer Heimat verehrt, aber es gab auch Kritik an ihren harten Trainingsmethoden. „Ich bin noch immer streng, aber Disziplin kennen die Gymnastinnen, und ich achte auf sie. Ich habe einen Plan, aber es ist kein Dogma, ich arbeite mit Gefühl“, sagt Neshka Robeva auf die Vergangenheit angesprochen. Die Zeiten hätten sich geändert, ergänzt sie mit einem Lächeln: „Im Sozialismus stand der Sport an erster Stelle, mittlerweile ist auch bei den bulgarischen Gymnastinnen ein guter Schulabschluss wichtiger.“

Neshka Robeva will möglichst viel den Mädchen mitgeben

Diese Aussage nimmt Marcus Vornhusen, der Schulleiter des Gustav-Stresemann-Gymnasiums, das viele der Gymnastinnen aus Schmiden besuchen, aufmerksam zur Kenntnis. „Wir haben in den vergangenen Jahren Veränderungen im Umgang erreicht, und ich gehe davon aus, dass es weiter so gut läuft. Zu den sportlichen Gründen für den Trainerwechsel kann ich nichts sagen. Für uns ist allein wichtig, dass das, was vereinbart wurde, weiterhin Bestand hat, und davon gehe ich aus.“

Gjergj Bodari hat seine Einheit beendet. Neshka Robeva ist dran. Möglichst viel will sie den Mädchen mitgeben, bevor sie für zwei Wochen nach Hause reist. Sie begleitet die beiden Einzelgymnastinnen, die sie aus Bulgarien mitgebracht hat, damit sie Stützpunktluft schnuppern können – die 15-jährige Luchezara Pekova und die ein Jahr jüngere Reichel Stoyanova – wieder nach Sofia. „Und ich muss meiner neun Jahre alten Enkelin Rada erklären, warum ich in Zukunft nachmittags nicht mehr mit ihr Hausaufgaben machen kann“, sagt sie lächelnd und sieht überhaupt nicht mehr aus wie eine ehrgeizige Trainerin, sondern einfach nur noch wie eine liebevolle Oma.