Charmant: Die Kandidatin der Linken für das Amt der Bundespräsidentin, Beate Klarsfeld. Foto: dpa

Eine Ohrfeige machte sie weltberühmt – jetzt will Beate Klarsfeld Bundespräsidentin werden.

Paris - Die Kandidatin aus Paris wohnt im vornehmen 16. Arrondissement, aber ihr eigentlicher Lebensmittelpunkt befindet sich im achten Bezirk. Hier, in der Rue de la Boétie, einer geschäftigen Straße mit schmucken Geschäftshäusern im Haussmann-Stil, hat Beate Klarsfeld ihr Büro. Hinterhof Parterre links: „Klarsfeld“ steht auf dem Schild und auf einem zweiten „FFDJF“: die Abkürzung der Organisation „Söhne und Töchter deportierter Juden aus Frankreich“, die sie und ihr Mann Serge ins Leben gerufen haben.

„Treten Sie ein“, sagt Beate Klarsfeld. Die Stimme der 73-Jährigen ist freundlich, ihr Lächeln sympathisch. Wer ist diese zierliche Frau, die am Sonntag Staatsoberhaupt von Deutschland werden will? Die meisten Etiketten verleihen ihr eher monströse Züge: ohrfeigende Nazi-Jägerin, grimmiger Racheengel, notorische Nestbeschmutzerin. Doch hinter dieser kühlen Fassade verbirgt sich eine ganz andere Beate Klarsfeld: eine normale Frau von nebenan, höflich und charmant, eine, die viel Lebensfreude und Herzenswärme versprüht.

Lieber wäre Klarsfeld jetzt in Berlin

„Ich freue mich sehr auf die Kandidatur“, sagt sie. Und fügt hinzu, dass sie, die in Frankreich den Konservativen Nicolas Sarkozy unterstützt, sich im Kreise der Linken sehr gut aufgenommen fühle. Die meiste Zeit verbringt sie allerdings weiterhin in Paris. Lieber wäre sie jetzt in Berlin, doch das Interesse an ihrer Person hält sich dort demonstrativ in Grenzen.

Aber selbst in der höflichen Absage von Sigmar Gabriel entdeckt sie Respekt gegenüber ihrer Person. Denn immerhin habe der SPD-Chef persönlich zum Hörer gegriffen und freundlich mit ihr telefoniert. Auch Renate Künast von den Grünen habe sich selbst bei ihr gemeldet – und ebenfalls abgesagt.

Anerkennung ihres antifaschistischen Lebenswerkes

Trotzdem sagt sie: „Die Kandidatur ist für mich eine Ehre.“ Und zugleich Anerkennung ihres antifaschistischen Lebenswerkes, das der akribischen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und der unerbittlichen Jagd nach Nazi-Verbrechern gewidmet ist.

Egal, worüber man mit Beate Klarsfeld spricht: Ständig kommt sie auf ihre Lebensaufgabe zurück. Wie bei einer Schallplatte, die einen Sprung hat und die Nadel immer wieder in die alte Rille zurückwirft. Wenn sie erzählt, überschlagen sich vor lauter Mitteilungsdrang mitunter die Worte. Im Interview fürs ARD-„Morgenmagazin“ rang sie neulich so heftig mit den Worten, dass sich Harald Schmidt in seiner Show über sie lustig machte. Verletzt fühlt sie sich dadurch nicht, wohl aber durch die „mediale Hetzkampagne“ und „hässliche Artikel“ über ihre Zusammenarbeit mit der DDR.

Dafür, dass sie Ende der 1960er Jahre 2000 D-Mark aus Ostberlin für ihre Arbeit gegen die BRD-Nazis bekommen hat, wird sie heute als „SED-Marionette“ tituliert. Mit trotzigem Unterton sagt sie: „Ich bin in Deutschland so lange als Nestbeschmutzerin abgestempelt worden, dass ich ein dickes Fell bekommen habe.“ In ihrer französischen Wahlheimat, wo sie seit fünf Jahrzehnten lebt, zählt Klarsfeld zu den angesehensten Persönlichkeiten der V. Republik.

Briefe von Marlene Dietrich

Wieder holt sie einen Aktenordner und zieht diesmal zwei alte blaue Postkarten aus der Klarsichtfolie: Es sind Kostbarkeiten aus einer fast vergangenen Zeit. Die berühmte Absenderin ist keine Geringere als ihre Freundin Marlene Dietrich, die damals in der Avenue Montaigne lebende deutsche Hollywood-Diva.

„Chère, chère Madame“, schreibt die Hitler-Gegnerin mit schwungvoller Handschrift und fügt dann voller Anerkennung für die Verhaftung von Klaus Barbie hinzu: „Ich bewundere sie und liebe sie zutiefst.“ Auf das Bundesverdienstkreuz wartet Beate Klarsfeld schon lange. Mehrere Anläufe hat es gegeben, doch möglicherweise wird sie den Orden niemals bekommen. „Wegen der Ohrfeige für Kiesinger“, sagt sie.

Beginn eines langen Kampfes

Sie ist sieben, als ihr Vater, ein Wehrmachtssoldat, aus englischer Gefangenschaft nach Berlin heimkehrt. Über den Krieg wird nicht viel gesprochen, noch weniger über den Massenmord an den Juden. In jenen Tagen herrschen das Vergessen und das Verdrängen. Erst als die Berlinerin Anfang der 1960er Jahre nach Paris zieht und mit 23 den jungen Anwalt Serge Klarsfeld heiratet, öffnen sich ihre Augen. Es ist der Wendepunkt ihres Lebens, der Beginn eines langen Kampfes. Denn sie erfährt, dass die Nazis ihren Schwiegervater in Auschwitz ermordet haben, weil er Jude war.

Zur Präsidentenwahl am Sonntag fährt Beate Klarsfeld nicht allein nach Berlin. Ihr Mann Serge, die beiden Kinder Arno und Lida, die Enkelkinder sowie treue Mitstreiter aus Paris werden im Reichstag auf der Tribüne sitzen. Eine Rede sieht das Wahlprotokoll nicht vor. Müsste sie sprechen, hätte sie eine kurze Botschaft: „Habt Zivilcourage.“