SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann spricht im Zuge der BKA-Datenaffäre von einem „Minister für Kontrollverlust“.
Berlin - Die Debatte um die massenhafte und möglicherweise illegale Speicherung von Personendaten durch das BKA gewinnt an Schärfe. In Blickfeld der Kritik rückt dabei verstärkt Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU).
Auslöser der Diskussionen sind Vorgänge rund um den G-20-Gipfel in Hamburg. Damals war 32 Journalisten ohne Angabe von Gründen, aber offenbar aufgrund von Sicherheitsbedenken, ihre Akkreditierung nachträglich entzogen worden. Das Bundesinnenministerium berief sich später darauf, dass sich unter den Betroffenen Personen mit Straftaten und Verurteilungen befunden hätten. Neun Journalisten haben inzwischen dagegen vor dem Verwaltungsgericht geklagt. Wie sich nun herausgestellt hat, beruhen zumindest einige dieser Entscheidungen auf völlig falschen Grundlagen. Mehr noch, sie geben den Blick frei auf eine bedenklich anmutende Datensammel- und Speicherpraxis des Bundeskriminalamtes. Das Bundesinnenministerium hatte am Mittwoch einräumen müssen, dass es mit Sicherheit in vier Fällen zu schweren Pannen gekommen war und die Akkreditierung definitiv zu Unrecht entzogen worden war. Mindestens ein weiterer Fall dürfte hinzukommen. In einem Fall liege eine Personenverwechslung vor, in anderen Fällen seien Daten zu Unrecht nicht gelöscht oder ein gerichtlicher Freispruch nicht zur Kenntnis genommen worden.
Freispruch wurde in den gespeicherten Daten nicht vermerkt
Einige konkrete Fälle sind geradezu haarsträubend. Der Berliner Fotograf Florian Boillot war bei einer Demonstration, die er in Ausübung seines Berufes verfolgte, mit einer Polizistin in Streit geraten und von ihr angezeigt worden. Das Verfahren endete mit einem Freispruch und zeigte, dass die Anzeige nach Ansicht des Gerichtes jeder Grundlage entbehrte. Dennoch blieb sein Name widerrechtlich gespeichert. Der Fotograf Björn Kietzmann war beim BKA in der Kategorie „politisch motivierte Kriminalität“ gespeichert. Seine Akte enthält unter anderem den Vorwurf der „Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion“. Tatsächlich hatte Kietzmann, dessen polizeiliches Führungszeugnis makellos ist, lediglich 2011 eine Demonstration fotografiert, als in seiner Nähe ein Feuerwerkskörper explodierte. In einem weiteren Fall wurde ein Journalist mit einem namensgleichen „Reichsbürger“ verwechselt.
Recherchen der ARD machen das Ausmaß deutlich, in dem die Sicherheitsbehörden Daten speichern. So sind nach Angaben des Innenministeriums allein in der Fallgruppe „Innere Sicherheit“ aktuell 109 625 Menschen gespeichert, darüber hinaus sind mehr als 1,15 Millionen Datensätze zu einzelnen politisch motivierten Straftaten erfasst. In der Falldatei Rauschgift seien sogar 700 000 Bürger erfasst, meist wegen Cannabis-Delikten im Bagatellbereich ohne Strafbefehl oder Verurteilung. In den Dateien zu „politisch motivierten Straftaten“ befinden sich laut ARD-Recherche 15 Jahre alte Datensätze zu Bagatelldelikten, die nie zu einer Anklage geführt hatten. Tatsächlich hatte der damalige Bundesdatenschützer Peter Schaar die Datei Linksextremismus beim BKA schon 2012 untersucht, massive Rechtsverstöße bemängelt und die Löschung von mehreren tausend Einträgen bewirkt.
SPD münzt die Erkenntniss in Angriff auf den Bundesinnenminister um
Dass die Angelegenheit in der beginnenden heißen Wahlkampf-Phase erhebliche Brisanz entwickelt ist klar. Deshalb kann es auch nicht unbedingt überraschen, dass SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann die Sache umgehend zu einer Attacke auf den Bundesinnenminister nutzt. Er nennt ihn einen „Minister für Kontrollverlust“, der „nichts im Griff“ habe. Offenbare speichere das BKA „wahllos Informationen über unschuldige Bürger“. Es mache ihn fassungslos, dass „die schlampige Datenpflege unter unserem Innenminister“ dazu geführt habe, „dass auf dem G-20-Gipfel die Pressefreiheit eingeschränkt wurde“. Auch die Kritik des grünen Innenpolitikers Konstantin von Notz schlägt in die gleiche Kerbe. Er spricht von einem politisch gewollten „offenkundigen, skandalösen Vollzugsdefizit beim BKA“. Nun müssten nicht nur „systematische Überprüfungen der riesigen Datenbestände erfolgen“. Auch die viel zu unbestimmten Tatbestände für die Aufnahme in polizeiliche Datenbanken müssten geändert und „der Aufbau der einheitlichen Datenbank gestoppt werden“.
Diese Angriffe des politisch Gegners sind für Thomas de Maizière (CSU) sicher verkraftbar. Beunruhigend für ihn muss es allerdings sein, wenn auch aus der Union Kritik kommt, wenn auch indirekt. Wobei es sicher kein Zufall ist, dass diese Kritik von der bayerischen Schwesterpartei kommt. Stephan Meyer (CSU) ist immerhin der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag. Er spricht überraschend deutlich von „dringendem Handlungsbedarf“, und Fehlerquellen, denen „sehr intensiv“ nachgegangen werden müsse. Manch einer in der CDU denkt in diesem Zusammenhang daran, dass sich mit Joachim Herrmann ein CSU-Politiker Hoffnungen auf das Amt des Bundesinnenministers nach der Bundestagswahl macht.