Gute, aber teure Adresse in London: das „Guardian“-Hauptquartier Foto: EPA

Die britische linksliberale Zeitung ist in Bedrängnis. Das digitale Angebot ist erfolgreich, doch den Anzeigenmarkt bestimmen inzwischen Google und Facebook. Vielleicht zieht die Redaktion fort aus der Hauptstadt, um die teuren Londoner Mieten zu sparen.

London - Kann sich der Londoner „Guardian“ das teure Leben an der Themse nicht länger leisten? In akuter Geldnot erwägt Britanniens große linksliberale Tageszeitung offenbar eine spektakuläre Sparmaßnahme, nämlich die Rückkehr in die nordenglische Stadt Manchester, aus der sie ursprünglich einmal kam. Ein altes Studiogelände, in dem einst schon die Beatles auftraten, bietet sich als neue Behausung an. Zudem ist im Gespräch, die Printausgabe des „Guardian“ vom Berliner Format auf das kleinere Tabloidformat zu verkleinern. Und außer den schon im Vorjahr beschlossenen 300 redaktionellen Entlassungen dürfte es bald weitere Stellen-Streichungen geben. In Frage steht die Online-Präsenz des „Guardian“ in den Vereinigten Staaten, die in den vergangenen Jahren so sorgsam aufgebaut worden war.

Überraschend kommen die neuen Sparpläne nicht. Wie fast alle britischen Zeitungen findet sich der „Guardian“ in einer prekären finanziellen Lage. Den scharfen Anzeigen-Einbruch der Print-Ausgabe hat das Online-Werbeaufkommen nicht, wie erhofft, wettmachen können. Google und Facebook haben sich mehr als die Hälfte des Anzeigenmarkts in Großbritannien unter den Nagel gerissen. In drei Jahren sollen es schon über 70 Prozent sein. Die „Press Gazette“, das Organ der britischen Druckindustrie, hat just eine Petition gestartet mit der Parole „Stoppt die Zerstörung des Journalismus durch Google und Facebook“. Gegen die Herrschaft der beiden Online-Riesen, meint die „Gazette“, habe die traditionelle Presse keine Chance.

Nun aber sieht sich das Blatt an einer weiteren Front in Bedrängnis. Mieten und Gemeindesteuern auf das stolze Druck- und Verlagshaus des „Guardian“ nahe King´s Cross Station in London schnellen in die Höhe. In Birmingham oder Manchester wäre nur ein Bruchteil der betreffenden Summen fällig, weshalb man beim „Guardian“ ernsthaft an einen Umzug denkt.

Die Zeitung wird von einer Stiftung finanziert

An Popularität fehlt es der Zeitung ja nicht. Ihre frei zugängliche Webseite, eine der besten in der Welt, verzeichnet pro Tag 9 Millionen Einzelbesucher. Und dank einer groß angelegten Kampagne hat das Blatt binnen zwei Jahren 200 000 zahlende „Förder-Mitglieder“ gewonnen und 160 000 Einzelspenden überwiesen bekommen. Allerdings ist die gedruckte Auflage weiter gesunken und steht inzwischen nur noch bei etwa 160 000. Und das dramatische Anzeigen-Manko schlägt im Print wie online hart zu Buche. Hinterm „Guardian“ steht kein Verleger mit gefüllten Taschen, sondern eine gemeinnützige Stiftung mit begrenztem Kapital.

Nach Ansicht der konservativen „Times“ hat sich die Rivalin zur Linken mit ihren publizistischen Investitionen und ihrem vor neun Jahren angemieteten King´s-Cross-Hauptquartier „arg übernommen“. „Unkluge“ kommerzielle Entscheidungen werden der früheren Verlagschefin Carolyn McCall zur Last gelegt, die sich längst zu Easyjet abgesetzt hat. Ein Rückzug auf billigeres Gelände könnte nach Ansicht von Experten den Finanzdruck zumindest lindern. Die Fernsehanstalten BBC und ITV haben bereits 3 750 Mitarbeiter von London aus in die „Medienstadt“ Salford am Rande Manchesters verlegt. Viele „Guardian“-Leute befürchten allerdings, dass sich eine Zeitung vom Rang ihres Blattes mit der Auflösung ihrer Basis in London auf riskante Weise vom Geschehen in der Hauptstadt abkoppeln würde. Mit ein paar „nach Salford ausgelagerten Abteilungen der BBC“ sei dies nicht zu vergleichen, meint Ex-„Guardian“-Chefredakteur Peter Preston.

Der „Guardian“ ist die letzte liberale Stimme gegen die konservative Regierung

Manchester, die nordenglische Wiege des Frühkapitalismus, hat für den „Guardian“ natürlich besondere Bedeutung. Dort wurde das Blatt, das ursprünglich „Manchester Guardian“ hieß, 1821 aus der Taufe gehoben. Erst als Wochen- und dann als Tageszeitung stellte es von Anfang an die liberale und herrschaftskritische Stimme Großbritanniens in Opposition zum konservativen Lager, zu den Tories, dar.

1964 beschloss das Blatt, dass es als „nationale Zeitung“ nicht länger fernab der Hauptstadt operieren könne. Der „Manchester Guardian“ wurde damals zum „Guardian“ und zog nach London um. Mittlerweile wird der „Guardian“ vielleicht keine andere Wahl haben, als zumindest einen Teil seiner Aktivitäten wieder aus der Metropole weg zu verlegen. Medien-Fachleute wie Douglas McCabe von Enders Analysis sind davon überzeugt, dass die Zeitung noch „sehr viel mehr Wandel wird durchlaufen müssen“, um halbwegs heil durch die Krise zu kommen.