In Breuningerland und Mercaden ist man zufrieden mit dem Weihnachtsgeschäft und nimmt die Konkurrenz mit dem Onlinehandel gelassen. IHK-Handelsexperte Martin Eisenmann sieht den stationären Handel hingegen in seiner größten Krise. Warum?
Die besinnliche Weihnachtszeit ist bekannt für ihre Hektik. Da ist es verlockend, schnell im Internet Geschenke zu bestellen. Vom Sofa aus lassen sich Ideen sammeln und Angebote vergleichen – keine Parkplatzsuche, kein Schlangestehen. Viele Menschen wiederum suchen in der Adventszeit ganz gezielt nach einem Einkaufserlebnis – beispielsweise in den prächtig geschmückten Shoppingmalls. Wie läuft das Geschäft in den großen Konsumtempeln der Region?
„Die Mercaden Böblingen sind sehr gut in das Weihnachtsgeschäft gestartet“, sagt der Center-Manager Edip Özerol. Es seien etwa 15 Prozent mehr Besuche als im Vorjahr gezählt worden. Özerol geht davon aus, dass der positive Trend im Endspurt des Weihnachtsgeschäftes anhält. Auch im Breuningerland Sindelfingen ist man zufrieden mit dem Adventsgeschäft. Auch wenn es je nach Branche variiere, seien Frequenz und Umsatz sehr zufriedenstellend, sagt Marketing Managerin Sarah Fauß. „Wir sind zuversichtlich, dass wir auch noch einen starken Jahresendspurt sehen werden.“
Shoppingcenter – ein Auslaufmodell?
Bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart zeichnet man hingegen kein rosiges Bild, was den Zulauf von Einkaufscentern angeht. „Shoppingcenter sind über ihrem Zenit“, sagt Martin Eisenmann, Referatsleiter in der Bezirkskammer Böblingen. In Deutschland sei die Lage zwar noch nicht so drastisch wie in den USA, wo Shoppingmalls leer stünden, aber auch hier hätten sie zu kämpfen. Die Konkurrenz durch den Internethandel sei immens – und durch Corona weiter befeuert worden. „Die Frequenzen in Shoppingcentern sind nicht mehr so sicher wie sie früher waren, das ist kein Selbstläufer mehr“, sagt Eisenmann. Händler würden sich gut überlegen, ob sich die teuere Miete und die Werbeumlage überhaupt lohnten. Zur Vermietungssituation möchte man beim Breuningerland keine Angabe machen, in den Mercaden sind laut Manager 90 Prozent der Flächen vermietet.
Stationärer Handel und Onlinehandel vernetzen sich
Dass das Einkaufen im Internet viel Raum einnimmt, weiß man in beiden Shoppingmalls, fürchtet die Konkurrenz aber nicht. „Natürlich spielt der Onlinehandel heute eine wichtigere Rolle“, sagt Sarah Fauß. Es sei aber kein Gegeneinander der Bereiche Online- und stationärer Handel, sondern: „Die beiden Bereiche müssen ineinandergreifen und im Interesse der Kundinnen und Kunden miteinander vernetzt werden.“ Das sieht auch der Mercaden-Manager so. Fast alle Marken, die in den Mercaden anzutreffen sind, hätten auch Online-Shops; beides ergänze sich. „Aber es gilt als erwiesen, dass Menschen nicht nur am Rechner oder Smartphone einkaufen möchten, sondern reale Erlebnisse suchen“, sagt Özerol. Kunden wollen Produkte anfassen, persönlich beraten werden, zwischendurch essen gehen, sich von Geschäft zu Geschäft treiben lassen und Geselligkeit genießen.
Einkaufen als Erlebnis – das hält auch Sarah Fauß im Breuningerland für das A und O eines guten Konzepts. „Shopping Center sind dann erfolgreich, wenn sie sich als sozialen Treffpunkt begreifen, als Ort, an dem Besucher und Besucherinnen sich mit Freunden, Freundinnen und Familie treffen und wo sie gerne ihre Zeit verbringen“, sagt sie. Im Breuningerland versuche man deshalb, Highlights zu kreieren, die lange in Erinnerung bleiben und Menschen zusammenbringen. „Hier braucht es Events, Ausstellungen und Gastronomie genauso wie ein breites Dienstleistungsangebot und ausreichende Parkmöglichkeiten.“
Im Weihnachtsgeschäft gibt man sich deshalb in beiden Malls viel Mühe: Neben üppiger Dekoration gibt es weihnachtliche Livemusik, gebrannte Mandeln, einen Einpackservice und für Kinder Weihnachtsbasteln und die Besuche von Nikolaus und Christkind.
Shopping als Freizeitgestaltung begreifen
Als neue Entwicklung im Einzelhandel bezeichnet IHK-Experte Eisenmann, dass Händler nicht mehr nur mit ihresgleichen in Konkurrenz stehen, sondern auch mit anderen Freizeitaktivitäten. „Man konkurriert um Zeit und Geld“, sagt Eisenmann. Das gastronomische Angebot sei sehr relevant geworden, um Kunden in die Center zu locken. Andere Anreize seien freier Prosecco oder Kaffee, eine Spielecke, aber auch liebevolle Dekoration. Individuelle Beratung sei wichtig, freundlicher Service und ein gutes Sortiment. „Das ist die Grundfunktion des Einzelhandels“, sagt Eisenmann. „Ist das erfüllt, dann hat der stationäre Handel eine Daseinsberechtigung und ist wirtschaftlich erfolgreich.“
Er betont aber auch, dass nicht nur Shoppingmalls schwere Zeiten hätten, sondern der stationäre Einzelhandel insgesamt, also auch die Innenstädte, wo vermehrt Traditionsgeschäfte schließen. „Wenn diese Anker wegfallen, wird alles schwieriger“, sagt Eisenmann. In Zeiten von Fachkräftemangel, verzögerten Lieferketten und Kaufzurückhaltung konstatiert er eine „ganz kritische Situation für den Einzelhandel“. Mehr noch: „Die Situation für stationären Handel ist so herausfordernd, wie sie vielleicht noch nie war.“ Zu Zeiten von Corona seien die Einschnitte zwar größer gewesen, aber man sei sicher gewesen, dass alle Einschränkungen irgendwann ein Ende haben würden. In der jetzigen Situation fehle die Sicherheit, wann die Krisen enden oder ob überhaupt.
Hohe Kaufkraft lässt den Handel nicht zwingend blühen
Diese Unsicherheit führe zu Kaufzurückhaltung – auch in der einkommensstarken Region Böblingen. Auch wenn die Kaufkraft hoch ist, gibt Eisenmann zu bedenken, dass das Geld nicht unbedingt in den lokalen Handel fließe, sondern womöglich in Autos, in Urlaub oder in Onlinegeschäfte. „Nur ein kleiner Teil wird im Einzelhandel ausgegeben. Die hohe Kaufkraft wirkt sich nicht eins zu eins auf den stationären Handel aus“, sagt Eisenmann. „Handel ist kein Selbstläufer. Eine hohe Kaufkraft bedeutet nicht automatisch, dass der Handel blüht. Man muss permanent daran arbeiten und attraktiv bleiben.“
Eisenmann appelliert an die Kommunen, sich dafür einzusetzen, dass Besucher Lust bekommen, die Geschäfte aufzusuchen. Insbesondere Verkehrsführung und Parkplätze müssten von kommunaler Seite gut geregelt werden. „Es ist unsere Bitte an die Kommunen, diese Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Händler überleben können.“
Es gibt im Landkreis pralle Geldbeutel
Kaufkraft
Laut IHK verfügt der Landkreis Böblingen über die wohlhabendsten Einwohner in der Region Stuttgart. Insgesamt sind es etwa 3,3 Milliarden Euro an einzelhandelsrelevanter Kaufkraft, über die die Einwohner im Landkreis verfügen; pro Kopf sind es 8256 Euro. Damit liegt Böblingen in der Region vor Stuttgart und den Landkreisen Ludwigsburg und Esslingen.
Umsatz
Bei den Umsätzen der stationären Einzelhändler pro Einwohner liegt der Landkreis hinter Stuttgart und vor den anderen Landkreisen. Sindelfingen und Jettingen ragen im Kreis heraus, da dort großflächige Einzelhandelsbetriebe Kaufkraft von anderen Gemeinden abziehen.