Matteo Tiraboschi ist Executive Chairman des weltgrößten Bremsenproduzenten. Foto: /rembo

In einer kleinen Garage bei Bergamo wurde 1961 Brembo gegründet. Heute ist das Unternehmen der weltgrößte Bremsenhersteller und fühlt sich auch auf die Elektrifizierung bestens vorbereitet.

Als Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut kürzlich im Zuge einer Handwerksdelegationsreise zum Bremsenhersteller Brembo nach Bergamo reiste, zeigte sie sich „beeindruckt von der Innovationskraft der Firma, die besonders gut erkennbar ist an der Präsenz von Brembo im Wissenschafts- und Technologiepark Kilometro Rosso“. Das Unternehmen sei „ein wichtiger Zulieferer für die Automobilhersteller Porsche, Mercedes-Benz und Audi“ und „in seiner Branche wegweisend“.

Die leuchtend rote Mauer, die sich bei Bergamo über einen Kilometer an der Autobahn Richtung Mailand entlangzieht, ist gar nicht zu übersehen. Dahinter verbergen sich nicht nur die von dem französischen Architekten Jean Nouvel konzipierte Brembo-Firmenzentrale sondern auch der Wissenschafts- und Technologiepark Kilometro Rosso. 70 Unternehmen aus so unterschiedlichen Branchen wie Pharma-, Bau- und Autoindustrie, aber auch Forschungsinstitute und Universitäten kooperieren hier.

Weltweit größter Bremsenproduzent

„Dies ist ein riesiger Wissenspool, aus dem neue Ideen hervorgehen“, sagt Matteo Tiraboschi, Executive Chairman des weltgrößten Bremsenproduzenten mit Blick auf den Wissenschaftspark. Der Schwiegersohn des langjährigen Konzernchefs Alberto Bombassei steht seit Dezember 2021 an der Spitze des Unternehmens.

Fast alle Auto- und Motorradhersteller dieser Welt gehören zu den Kunden von Brembo. Das Unternehmen ist auch einer der führenden Ausrüster der Formel 1. Die rote Mauer soll eine historische Anspielung auf die Stadt Bergamo sein, die ebenfalls von hohen Mauern umgeben ist. Zu den ersten Kunden gehörte einst Porsche. Für Tiraboschi war das ein Schlüssel für den Erfolg. „Die Beziehung zu unseren deutschen Kunden war für uns wie eine Universität. In technologischer Hinsicht haben wir viel gelernt, und im Gegenzug haben wir das Gefühl, viel gegeben zu haben.“

Kritik übt Tiraboschi an der italienischen Politik: „Es fehlt eine echte Industriepolitik mit Investitionen in strategische Sektoren“, klagt er. „Und es gibt zu wenige italienische Unternehmen von internationaler Bedeutung“, fügt er hinzu. Mit Ferrari ist nur ein (kleiner), dafür aber sehr ertragsstarker Autohersteller übrig geblieben. Lamborghini gehört zu Audi. Und Fiat, Alfa Romeo, Lancia und Maserati fristen ein Nischendasein im französisch dominierten Stellantis-Konzern. Italien, das im Jahr 2000 noch 1,7 Millionen Autos fertigte, produzierte 2022 nur noch 473 000 Pkws. Der Branchenverband Anfia fürchtet den Verlust von 60 000 der noch 268 000 Jobs.

Wettbewerb um die besten und innovativsten Lösungen

„Es braucht eine gewisse Größe, um auf dem Markt bestehen zu können, um ausreichend in Forschung und Entwicklung investieren und eine solide Präsenz in anderen Ländern aufzubauen“, weiß Tiraboschi. Brembo investiert jährlich sechs Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung.

Tiraboschi glaubt, dass einige Unternehmen in Italien den Wandel nicht schaffen. „Aber zugleich ergeben sich auch Chancen für neue Unternehmen. Die technologische Entwicklung lässt sich nicht aufhalten, aber es wäre ein Fehler, sich nur auf eine Lösung zu konzentrieren. Wir brauchen technologische Neutralität und einen Wettbewerb um die besten und innovativsten Lösungen, egal, ob es sich um Strom, Wasserstoff oder Biokraftstoffe handelt.“

Brembo ist nach Ansicht Tiraboschis vorbereitet auf die Elektrifizierung. Alle Hersteller, „traditionelle und neue, die in den Automobilmarkt eintreten, einige aus ganz anderen Sektoren, sowohl in Amerika als auch in Asien“ zählten zu den Kunden. „Außerdem werden wir mit unserem intelligenten Bremssystem Sensify eine hochinnovative Lösung einführen, die auch nachhaltiger sein wird“, fügt er hinzu. Sensify soll 2025 kommen.

„Wichtiger als Übernahmen ist der Erwerb neuer technologischer Kompetenzen“, findet er. Im Silicon Valley hat Brembo ein Inspiration Lab eröffnet, „in dem Menschen mit ganz unterschiedlichen beruflichen Hintergründen, wie Datenanalysten oder Softwarespezialisten, arbeiten. So wollen wir ein Umfeld schaffen, in dem neue Ideen für das Brembo der Zukunft geboren werden können“.

An Reifenhersteller Pirelli beteiligt

Brembo hat sich mit sechs Prozent an Pirelli beteiligt. Manche sehen darin die Vorstufe zur Bildung eines großen italienischen Autozulieferers. Rom hat gerade mit einer speziellen Regelung den Einfluss des chinesischen Pirelli-Großaktionärs Sinochem/Chem China massiv begrenzt. Tiraboschi sagt dazu: „Es gibt derzeit keine gemeinsamen Projekte. Was uns eint, ist unsere Präsenz im High-End-Bereich, eine starke Marke und unser Engagement im Motorsport.“

Brembo müsse sich „immer mehr an der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz orientieren, um langfristig an der Spitze der Entwicklung“ zu bleiben, glaubt Tiraboschi. Ein Problem sei die katastrophale demografische Entwicklung Italiens: Er plädiert für mehr Einwanderung. „Wir brauchen diese Menschen, auch aus demografischen Gründen. Das ist von grundlegender Bedeutung. Wir sollten das als Chance sehen.“

Von Bergamo in die Welt

Umsatz
Der Umsatz des seit 1995 börsennotierten Unternehmens ist im ersten Quartal um 27 Prozent auf 857,6 Millionen Euro gestiegen, der Nettogewinn um 16,8 Prozent auf 71,7 Millionen Euro. Für das Gesamtjahr erwartet Matteo Tiraboschi ein Umsatzwachstum von zehn Prozent und eine prozentuale Marge auf Vorjahresniveau.

Aushängeschild
Brembo ist eines der letzten Aushängeschilder der italienischen Autoindustrie. Der weltweit führende Bremsenhersteller wurde 1961 in einer kleinen Garage nur einen Steinwurf von der jetzigen Firmenzentrale entfernt gegründet. 27 Prozent der Erlöse stammen aus Nordamerika, 20 Prozent aus Deutschland, 13 Prozent aus China. Brembo expandiert und investiert in den nächsten Jahren 500 Millionen Euro in die Erweiterung der Kapazitäten, vor allem in Polen, Mexiko und China.

Joint-Venture In Deutschland hat Brembo seit 15 Jahren ein 50:50-Joint-Venture mit SGL Carbon. Die beiden Unternehmen stellen in Stezzano bei Bergamo und Meitingen bei Augsburg Carbon-Keramik-Bremsscheiben her. Laut Tiraboschi wird eine Erweiterung der Kapazitäten geprüft.