In vergangenen Zeiten war die Fasnet meist eine Männerveranstaltung, Frauen wurden eher als hübsches Beiwerk gesehen. Wie ist das heute – und wie viel Provokation ist erlaubt?
Es gab mal eine Zeit, da wurden Tanzmariechen wohl eher selten als Augenschmaus bezeichnet. Da waren die Röcke ein Stück länger und die Jacken vielleicht etwas weiter. Aber der wesentliche Unterschied war ein anderer: Die Tanzmariechen waren damals, im 19. Jahrhundert, ausschließlich Männer.
Es waren am Ende die Nazis, die keine tanzenden Männer mehr in Frauenkleidern sehen wollten. Nach deren Auffassung hätte das eine bedenkliche Nähe zum Transvestismus dargestellt. Ab Mitte der 1920er-Jahre traten Frauen als Tanzmariechen auf, heißt es etwa in einem Buch der Stuttgarter Fasnets-Expertin Elisabeth Skrzypek. Ab 1936 ließen die Nazis nur noch Frauen als Funkenmariechen zu.
In Rottweil und Offenburg gehörten Frauen schon früh dazu
Erst so wurde es möglich, dass die Tanzmariechen Teil einer Sexismusdebatte werden: Tauchen Frauen in den Narrentagen nur als hübsches Beiwerk für Männer auf? Aber es gibt noch mehr Fragen, die sich in dem Zusammenhang stellen: Welchen Rolle nehmen Frauen in den Zünften ein? Und gibt es dabei Unterschiede zwischen dem rheinischen Karneval und der schwäbisch-alemannischen Fasnet?
Lange waren Fasnet und Karneval reine Männerveranstaltungen. Aber im Südwesten gibt es frühe Anzeichen, dass sich auch Frauen verkleideten. Seit Ende des 18. Jahrhunderts gibt es das Rottweiler Fransenkleid, das laut Werner Mezger, emeritierter Professor der Kulturanthropologie und Fastnachtsforscher, auch damals vor allem von Frauen getragen wurde. Und Offenburg zählte schon 1828 zu den Vorreitern in Sachen Gleichberechtigung. Damals wurden die Offenburger von Karnevalskollegen nach Köln eingeladen. Und man stellte am Rhein – wohl etwas wehmütig – fest, dass bei der Truppe aus Baden auch Frauen dabei waren. So geht das aus einem Schriftverkehr von damals hervor, wie Mezger erzählt. Zum Teil zeigt sich diese Vorreiterrolle im Südwesten auch heute noch.
Immer öfter sind die Narren in Frauenhand
Die Schwarzwälder Narrenvereinigung wird etwa von einer Frau geführt. Der Ortenauer Narrenbund ebenso. Bei der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte (VSAN) gibt es immerhin eine Schatzmeisterin. Und in der Europäischen Narrenvereinigung Baden-Württemberg ist der halbe Vorstand weiblich. „Die Frauen spielen eine zunehmend größere Rolle und finden dabei breite Akzeptanz“, sagt Mezger.
Aber es gibt auch Zünfte, in denen Frauen per Statut nicht zugelassen sind, etwa die Hänsele in Überlingen. Dafür gibt es ebendort die Löwen. „Das Löwenhäs ist für Männer tabu“, sagt Mezger. Ist das ein Fortschritt? „Richtige Gleichberechtigung wäre es, wenn Frauen einfach in den bestehenden Vereinen sein könnten“, sagt Karin Bürkert von der Uni Tübingen, die zu Fasnachtsforschung promoviert hat.
Offizielle Zahlen zum Geschlechterverhältnis in den Zünften gibt es nicht. Es gäbe welche mit 30 bis 40 Prozent Frauenanteil, schätzt Volkskundler Mezger, aber in der Regeln nicht über 50 Prozent. Auch er sagt: Bis man flächendeckend dahin komme, brauche es noch Zeit, aber die Richtung stimme.
Welche Verkleidung überschreitet Grenzen?
Aber was in der fünften Jahreszeit Aufregung verursacht, sind ohnehin eher Auftritte, die in den Verdacht geraten, sexistisch oder rassistisch zu sein, und Kostüme, welche die Grenzen des guten Geschmacks für viele überschreiten. Beispiele aus den vergangenen Jahren gibt es einige. Annegret Kramp-Karrenbauers Auftritt beim Stockacher Narrengericht, als sie sich über das dritte Geschlecht lustig gemacht hat. Gefährliche Hexenprozesse. Und Witze, die nur aus Klischees über Frauen bestehen. Wie richtig damit umgehen?
Wie komplex diese Grenzziehung sei, zeige sich etwa, wenn sich Männer als Frauen verkleiden, erklärt die Kulturwissenschaftlerin Bürkert. „Man möchte die Leute zum Lachen bringen, und das wird oft gemacht, indem man Stereotype wiedergibt. Dragqueens machen das auch, indem sie Aspekte der Weiblichkeit übertreiben“, sagt Bürkert. Aber: Männer, die sich in rosa Tüll kleiden und sexuell aufgeladene Tänze aufführen, könnten damit auch die Botschaft von sexueller Verfügbarkeit weitertragen, sagt Bürkert.
Verkleidung als multitaskende Frau
Wie ginge es besser? „Es wäre ein kluges Kostüm, die Mehrfachbelastung oder den Mental Load von Frauen darzustellen, indem man sich einen großen Rucksack aufsetzt, die Kinder an den Bauch bindet und nebenbei noch die Arbeit am Laptop erledigt“, sagt Bürkert. Aber auch da könne es Kritik geben, sagt Bürkert: „Darf ein junger Mann sich die Probleme von Frauen aneignen? Ich würde sagen, für eine Fasnetsverkleidung ja, aber eine eindeutige Antwort gibt es nicht.“
Eigentlich gehört das Brechen von Regeln zur Fasnet dazu. Man könne sich leichter an Regeln halten, wenn es Zeiten gebe, in denen diese nicht gelten, sagte der Soziologe Clemens Albrecht der Nachrichtenagentur KNA. Gehört es dann nicht auch dazu, sich über Dinge lustig zu machen, die im Alltag verpönt wären?
Es geht nicht ohne Verletzungen
„Wie weit man mit Humor gehen kann, ist immer Aushandlungssache. Wenn Gefühle verletzt werden, ist es immer schwierig“, sagt Bürkert. Und: „Grenzen können ausgetestet werden, solange man sich mit Respekt begegnet und über unterschiedliche Auffassungen reden kann.“
Wann ist eine Verkleidung rassistisch?
Indianerkostüm
Manche Verkleidungen laufen Gefahr, als rassistisch oder als kulturelle Aneignung gesehen zu werden. Sogenannte Indianerkostüme sind das gängigste Beispiel, sie zeigen die indigene Bevölkerung Nordamerikas meist auf eine Art, die genau so real nie existiert hat. Aber auch hier ist die Grenze, was noch in Ordnung ist, nicht eindeutig.
Frage
Die Kulturwissenschaftlerin Karin Bürkert rät dazu, sich eine Frage zu stellen: „Was ist die Geschichte hinter der Verkleidung, was für ein Bild transportiere ich damit, und kann ich dazu stehen?“