Glück im Tanz: Forro-Lehrer Jidu Pasqualini mit einer Schülerin Foto: Leif Piechowski

Die Stadt ist von morgen an vier Tage im Forro-Fieber. Alles dreht sich beim Forro-de-Domingo-Festival im Treffpunkt Rotebühlplatz um den brasilianischen Paartanz, der in Europa immer mehr Anhänger findet. Der Brasilianer Jidu Pasqualini brachte den Tanz vor 16 Jahren nach Stuttgart.

Stuttgart - Die Stadt ist von morgen an vier Tage im Forro-Fieber. Alles dreht sich beim Forro-de-Domingo-Festival im Treffpunkt Rotebühlplatz um den brasilianischen Paartanz, der in Europa immer mehr Anhänger findet. Der Brasilianer Jidu Pasqualini brachte den Tanz vor 16 Jahren nach Stuttgart.

Am Anfang steht die Lust, sich auf Neues einzulassen. Der Rest kommt ganz von alleine. Umarmung. Musik. Schritte. Und wenn alles gut geht, „kommt auch das Gefühl hinzu, mit seinem Tanzpartner eins zu sein. Das ist unser Ziel.“

So einfach ist das beim Forro de Domingo, sagt Jidu Pasqualini (35) über den populärsten brasilianischen Paartanz.

Von einem Brasilianer ist nichts anderes zu erwarten. Auch wenn er schon 16 Jahre lang in Stuttgart lebt. Wer in Rio de Janeiro geboren ist, kennt die Schwere des Lebens nicht. Von der natürlichen Schönheit ihrer Stadt angesteckt, tragen Carioca das Bild des Glücklichseins wie eine Monstranz vor sich her.

Jidu ist glücklich. Vor allem, wenn er Forro tanzt.

Sogar in diesem Kellerraum in der Nordbahnhofstraße 58. Grauer Linoleum, gelbe Wände, kaltes Neonlicht. 40 Quadratmeter ohne Charme. Doch der Tanz und Jidu verwandeln diesen Ort – in ein kleines Stück Brasilien. Es ist getanzte Lebensfreude.

„Eigentlich ist es ähnlich wie beim Salsa“, beschreibt Tanzschüler Jörg Seibel (29) den Forro de Domingo, „nur besser, stimmiger, authentischer, näher, erotischer.“ Salsa sei extrovertiert, Forro gehe nach innen. Salsa sei ein Kunsttanz, Forro das Leben. Tatsächlich tanzen die sechs Paare an diesem Übungsabend sehr sinnlich. Eng aneinandergeschmiegt, synchron zum charakteristischen Rhythmus der Musik. Die besitzt die gleichen Wurzeln wie der Samba. Sie haben eine Spur der Eingeborenen, eine winzige Prise aus Europa und ein afrikanisches Gewürz. Man muss es probieren.

Dieser Aufforderung folgen immer mehr. Forro boomt. In Europa und in Stuttgart. Hier hat alles ganz bescheiden vor 16 Jahren angefangen. Im Wohnzimmer der Pasqualinis gab es Unterricht und Partys. Heute ist Stuttgart europäisches Forro-Zentrum. „Als wir vor vier Jahren das erste Forro-Festival veranstaltet haben, waren 80 Teilnehmer dabei“, erinnert sich Jidu, „jetzt erwarten wir 500. Der Tanz ist im Trend.“

Forro ist das Gegenteil von kompliziert

Es mag am brasilianischen Lebensgefühl liegen, das der Tanz vermittelt, aber auch an seiner Einfachheit. Natürlich gibt es auch beim Forro Schrittmuster und Drehungen, die Könner bis zur Virtuosität treiben. Aber bereits nach einer Stunde bei Jidu Pasqualini kann jeder auf einer Tanzparty mitmischen. Forro ist das Gegenteil von kompliziert. „In Brasilien kommt man nach der Arbeit mit Flip-Flops kurz vorbei, tanzt und hat einfach Freude an der Bewegung“, sagt Jidu, „es ist ein sehr sozialer Tanz.“ Vielleicht ist das der Grund, warum der Forro de Domingo derzeit so viele neue Anhänger findet. „Forro hat großes Integrationspotenzial, es ist eine Plattform, auf der man schnell Leute kennenlernen kann“, sagt Jidu, „das ist gerade in Zeiten von virtuellen Facebook-Freunden vielen wichtig.“

Es geht um echte Nähe und ums echte Gefühle. Aus diesem Grund lehrt der Brasilianer seinen Tanz sehr behutsam. Er erteilt seine Lektionen in kleinen, leisen Dosen. Wenn Jidu Pasqualini die Schüler mit warmen Worten korrigiert, fühlt sich niemand überfordert. Anders als beispielsweise beim Tango Argentino schreit hier keiner der Eleven verzweifelt: „Oh Gott, das lerne ich nie!“

Das Erfolgsrezept ist simpel: locker lassen.

„Normalerweise halten Menschen immer an etwas fest, das ihnen Sicherheit gibt“, weiß Jidu, „aber beim Forro muss man sich öffnen und bereit sein, einfach einem Impuls zu folgen.“ Für Frauen wird es herausfordernd, wenn der Forro-Lehrer sagt: „Sie müssen im Augenblick präsent sein. Sie brauchen Körperlichkeit, Konzentration und Intensität, da Sie nie wissen, was als Nächstes geschieht.“

Trotz alledem: Fort- und Forro-Schritte gehen rasant.

Jörg Seibel ist der lebende Beweis. Der Stuttgarter tanzt erst seit einem Jahr Forro, könnte auf dem Parkett aber durchaus als waschechter Brasilianer durchgehen.

Für Jidu ist das gleichzeitig Freude und Anerkennung seines Wirkens. „Ein Stück Heimat hierher zu bringen, kulturell etwas beizutragen ist für mich eine Herzenssache.“ Den Dank dafür bekommt er jeden Mittwoch von seinen Schülern zurück – durch langen Applaus, der wie warmer Regen auf Jidu Pasqualini niederprasselt.