Er war einst der bekannteste Boxer Deutschlands. Jetzt ist der Pforzheimer René Weller in Folge seiner Demenzerkrankung im Alter von 69 Jahren gestorben. Ein Rückblick auf das Leben eines Sportlers, der auch außerhalb des Rings für Schlagzeilen sorgte.
René Weller wollte auffallen. Der Pforzheimer wusste, dass sich die Menschen nur dann an ihn erinnern würden, wenn er auch außerhalb des Boxrings für Schlagzeilen sorgt – mit Macho-Sprüchen, Frauengeschichten, Goldketten oder halb nackt bei Fotoshootings. Weller fühlte sich wohl in der Rolle des „Playboys“. Sich selbst nannte er den „Golden Boy“, in der Öffentlichkeit war bald nur noch vom „schönen René“ die Rede. Oberlippenbart und Löwenmähne waren weitere Markenzeichen des Mannes – dem Ruhm allein durch den sportlichen Erfolg nicht genügte.
Zuletzt wollte er nicht einmal mehr Nahrung zu sich nehmen
Mit einer einzigen Frage lieferte er später die Begründung für sein polarisierendes Auftreten: „Wer interessierte sich in Deutschland schon für einen ganz normalen Leichtgewichtsboxer?“ Also tat Weller im Laufe seines Lebens alles, um genau das nicht zu sein. So wird er nach seinem Tod am Dienstagabend im Alter von 69 Jahren vielen – auch jenen, die dem Boxsport nicht verbunden sind – in Erinnerung bleiben.
Weller selbst konnte sich in den letzten Jahren seines Lebens an vieles nicht mehr erinnern – geschweige denn davon erzählen: 2014 erkrankte die Box-Legende an Mischdemenz, genetisch bedingt, vermutlich beeinflusst von den Schlägen auf den Kopf, die er im Boxring abbekam. Wellers Nervenzellen starben allmählich ab, er wurde zum schweren Pflegefall. Zuletzt wollte er nicht einmal mehr Nahrung zu sich nehmen. „Ein Zeichen, dass er gehen will“, sagte dazu seine Frau, die ihn zuhause in der gemeinsamen Wohnung in Pforzheim pflegte. „Hand in Hand und in meinen Armen bist du heute um 17:50 Uhr zuhause in Frieden von mir gegangen“, schrieb sie am Dienstagabend auf der gemeinsamen Instagram-Seite. Und weiter: „Du hast gekämpft wie ein Löwe, aber leider deinen letzten Kampf verloren.“
Für René Weller ist es das Ende seines härtesten Kampfes – kein noch so starker Schlag half ihm gegen die fortschreitende Krankheit, gegen die Demenz hatte selbst der zähe Kampfsportler keine Chance.
Ex-Boxprofi Conny Mittermeier: „René hat die Hallen gefüllt“
Mit seinen Fäusten teilte der Pforzheimer, geboren 1953 als Sohn eines Boxers, bereits im Alter von fünf Jahren aus: in das Gesicht seines Vaters. Harald Weller hatte seinen Sohn dazu aufgefordert – und hielt sich später die blutende Nase. Ihm blieb nur die respektzollende Feststellung: „Aus dir wird mal ein guter Boxer.“ Weller senior sollte recht behalten: Weltmeister, zweifacher Europameister, fünfmal Deutschlands Boxer des Jahres – René Wellers Gegner hatten im Ring wenig zu lachen. Die beeindruckende Bilanz: Von 55 Profikämpfen im Leichtgewicht gewann Weller 52.
Diese Stärke bekam auch der heutige Stuttgarter Box-Trainer Conny Mittermeier zu spüren: 1986 stand er Weller im Duell um die Deutsche Meisterschaft gegenüber – und verlor. „Er war stark und viel erfahrener als ich“, berichtet Mittermeier heute. Weller sei in den 1980er-Jahren Deutschlands Aushängeschild im Boxen gewesen: „Das, was Henry Maske in den 90er-Jahren war. René hat die Hallen gefüllt“, sagt der Ex-Profi. Mittermeier hat immer wieder bei Weller in Pforzheim trainiert, ihn bei Kämpfen unterstützt, die beiden waren Kumpels. „René war ein herzensguter Mensch, ich habe mich immer gut mit ihm verstanden“, sagt er.
1983 der Weltmeistertitel im Superfedergewicht, ein Jahr später Europameister
Als „Pforzheims Antwort auf Muhammad Ali“ hatte der „Spiegel“ Weller einmal bezeichnet. Der Schwergewichts-Weltmeister aus den USA war das Idol des Pforzheimers. Als der junge Weller 1964 Ausschnitte einer seiner Kämpfe sieht, steht für ihn fest: Eines Tages will ich so kämpfen wie Muhammad Ali. Mit zwölf Jahren schließt sich Weller einem Pforzheimer Boxclub an – und versucht von da an, seinem großen Vorbild nachzuahmen. Es dauerte nicht lange, dann war Alis tänzelnder Kampfstil auch bei Weller zu beobachten. „Schwebe wie ein Schmetterling, stich wie eine Biene“ – Alis bekannten Spruch nahm sich der Pforzheimer zu Herzen.
Ein Sieg jagte den nächsten, Wellers Hunger nach Erfolg, Ruhm und Titeln war nicht zu stillen. Heute erinnern die unzähligen Pokale an die glanzvollen Zeiten, auf der dunklen Kommode neben seinem Pflegebett in der Pforzheimer Wohnung wäre kaum Platz für eine weitere Trophäe. 1976 die Teilnahme an den Olympischen Spielen von Montreal (Kanada), Deutscher Meister in Serie, 1983 der Weltmeistertitel im Superfedergewicht, ein Jahr später wird Weller Europameister – und ist damit am Höhepunkt seiner Karriere angekommen.
Verurteilung zu sieben Jahren Haft
Doch wirklich berühmt in Deutschland – auch bei jenen, die sich weniger fürs Boxen interessieren – wird Weller durch seine polarisierende Art. „Ich musste auffallen, um populär zu werden“, sagte er. Also nahm der „goldene Junge“ einen eigenen Song auf („René Weller Rap“) oder spielte die Hauptrolle im Spielfilm „Macho Man“. Wer passte besser in so eine Rolle als er, der „schöne René“? Allein mit Sprüchen wie diesen hatte er sich dafür qualifiziert: „Ich bin der einzige deutsche Mann, der nackt besser aussieht als angezogen.“
Doch auch Rückschläge prägten das Leben des Vollblutsportlers: Als er 14 Jahre alt ist, stirbt sein Vater mit erst 42 Jahren überraschend an Krebs. Zu wissen, dass Harald Weller nie miterleben konnte, welche Karriere sein Sohn hinlegte, damit hatte der Pforzheimer zu kämpfen. Eine der schlimmsten Phasen seines Lebens beginnt im Jahr 1999, sechs Jahre nach dem Ende seiner aktiven Box-Laufbahn: Weller wird zu sieben Jahren Haft verurteilt – unter anderem wegen Kokain-Handels und Waffenbesitzes.
Maria Weller pflegte ihren Mann bis zu seinem letzten Tag zuhause
In seiner Zelle schlägt er mit Arbeitshandschuhen gegen die Matratze, die er an der Wand aufstellt – Boxen hinter Gittern. Und er verfasst Gedichte, um das Geschehene zu verarbeiten: „Hier gibt’s die schlimmsten Kreaturen. Doch auch viele Frohnaturen. Fast alle Gefangenen sagen mir: Scheiße, ich bin schuldlos hier! Jetzt wird mir klar, wie schön die Freiheit war. Früher Kaviar und flotte Bienen. Heute schwedische Gardinen.“ Nach viereinhalb Jahren wird Weller 2003 wegen guter Führung entlassen. Von da an probiert er sich als Box-Trainer, Schauspieler und Musiker – oder nimmt an Reality-Shows wie Big Brother teil.
Was die Frauen angeht, scheint Weller die Zeit im Gefängnis verändert zu haben, er ist ruhiger geworden, sucht jetzt die eine Partnerin fürs Leben. Er kontaktiert eine Frau, von der viele Jahre zuvor einen Korb kassiert hatte. 2013 heiratet er sie. Es ist Maria Weller, die ihn bis zu seinem letzten Tag zuhause in Pforzheim pflegte. „Ich glaube nicht, dass seine anderen Weiber das gemacht hätten. Er wusste, dass ich seine Pflegerin werden sollte“, sagte sie zuletzt.
Maria Weller 2017 in einem Interview: „Ich hoffe für René, dass er vor mir stirbt“
Eines Tages fragte sie ihren Mann, wie sie mit seiner Erkrankung und dem öffentlichen Interesse umgehen solle. „Bitte setz mein Lebenswerk fort“, hatte er ihr geantwortet. Und: „Die Presse und die Fans haben mich geliebt – und ich sie auch. Sie haben ein Recht, mich zu begleiten.“
Also hielt sie die Öffentlichkeit stets auf dem Laufenden über den Gesundheitszustand ihres Mannes – bis zum Schluss, als es ihm immer schlechter ging. 2017 sagte Maria Weller in einem Interview: „Ich hoffe für René, dass er vor mir stirbt. Ohne mich wäre er hilflos.“ Am Dienstagabend hat René Weller ihr diesen Wunsch erfüllt.