Nach dem Sieg gegen Richard Gasquet erfüllte „Struffi“ die Autogrammwünsche seiner Fans Foto:  

Der Sauerländer spielt sich mit mutigem Angriffstennis in die Herzen der Fans auf dem Weissenhof und ins Halbfinale. Dort wartet am Samstag jedoch eine schwierige Aufgabe.

Die La-Olá-Welle kreiste immer wieder über den voll gefüllten Centre Court, begleitet von lautstarken „Struffi, Struffi“!-Rufen. Nach 1:15 Stunde Spielzeit herrschte grenzenloser Jubel. Bei den euphorisierten Fans auf dem Stuttgarter Weissenhof – und beim glücklichen Sieger Jan-Lennard Struff. „Die Fans haben mich heute zum Sieg getragen. Das war echt geil“, freute sich der 33-Jährige aus Warstein nach seinem 6:4, 7:5-Erfolg im Viertelfinale der Boss Open gegen den Franzosen Richard Gasquet.

In der Vorschlussrunde an diesem Samstag (15.30 Uhr) bekommt es Struff nun mit dem an Nummer vier gesetzten Polen Hubert Hurkacz zu tun. Im anderen Halbfinale um 11.30 Uhr stehen sich Frances Tiafoe (USA) und der ungarische Qualifikant Marton Fucsovics gegenüber.

Volksfeststimmung auf dem Weissenhof

Der Samstag verspricht also erneut Volksfeststimmung auf den Weissenhof. Nach einem Halbfinale mit deutscher Beteiligung hatte schließlich zunächst nicht viel hingedeutet. Alle anderen heimischen Starter mussten bereits in der ersten Runde die Segel streichen. Bis auf Struff. „Turniere in Deutschland sind etwas besonderes“, bekannte er. „ Natürlich ist der Druck höher. Aber Siege vor heimischen Publikum fühlen sich immer super an.“

Insbesondere, wenn man wie Struff von der eigenen Familie begleitet wird. Mutter Martina ist genauso mit in Stuttgart dabei wie Frau Madeleine. Und natürlich die beiden kleinen Kinder. Sie bekommen von dem Trubel um ihren Vater noch nichts mit. Dafür genießt es der 33-Jährige, abends die Kinder ins Bett zu bringen und so eine sinnstiftende Ablenkung vom sonst oft eintönigen Touralltag zu erleben. Gleichzeitig halte ihm die Familie genügend den Rücken für seinen Sport frei, wie er in den Tagen von Stuttgart berichtete.

Mit 33 Jahren spielt Struff das erfolgreichste Tennis seines Lebens

Vielleicht erklärt das ja seinen zweiten Frühling, auf den er immer wieder angesprochen wird. Im fortgeschrittenen Alter von 33 Jahren spielt der Sauerländer das wohl beste Tennis seines Lebens. Beim Mastersturnier in Madrid spielte sich Struff als Lucky Loser, nachdem er in der Qualifikation bereits gescheitert war, sensationell bis ins Finale und unter die besten 30 der Welt.

In Stuttgart setzt er zu Beginn der Rasensaison seinen Lauf fort. Gegen den routinierten Gasquet, der tags zuvor den an Nummer eins gesetzten Stefanos Tsitsipas ausgeschaltet hatte, bestach Struff durch Aufschläge mit regelmäßig über 200 Stundenkilometern. Am Ende kam er auf 18 Asse und eine beeindruckende Aufschlagquote von 92 Prozent. Außerdem zelebrierte Struff ein auf Rasen unerlässlich mutiges Angriffsspiel, mit dem er Gasquet immer wieder in die Defensive drängte.

Am Samstag geht es gegen den Polen Hubert Hurkacz

Hinterher mischte sich für Struff selbst ein wenig Unglauben in seinen Lauf, der ihn durch das Halbfinale mindestens auf Position 21 der Weltrangliste führen wird. Als deutsche Nummer eins – vor Alexander Zverev. „Es war nicht zu erwarten, dass es so rasant nach oben geht“, sagte er. „Ich habe die letzten Monate viel gespielt, habe einen guten Rhythmus bekommen. Jetzt nehme ich den Schwung gerne mit.“ Idealerweise bis zum Saisonhöhepunkt in gut zwei Wochen: Dann steht Wimbledon auf dem Programm. Zuvor will Struff aber seine Erfolgsserie in Stuttgart fortsetzen. Bis zum Titel? Es wäre der erste deutsche seit Michael Stich 1991.

Die Fans wären begeistert. Sie haben den sympathischen, bodenständigen Warsteiner nach drei Auftritten längst ins Herz geschlossen. Er liefert ja auch eine schöne Lebensgeschichte. Der Junge, der sich mühsam durch Schule und die Mühen der Nachwuchsarbeit gekämpft hat. Bei dem als Jugendlicher nicht viel darauf hindeutete, dass er es irgendwann zum Profi schaffen würde. Der lange der Musik hinterherlief, aber nie aufsteckte – und jetzt mit 33 in der (erweiterten) Weltspitze angekommen ist. Wo er auch zu Themen abseits der gelben Filzkugel kein Blatt vor dem Mund nimmt. Etwa, wenn es um den Klimaschutz geht.

Kann Struff die seit 1991 bestehende deutsche Misere in Stuttgart beenden?

Zwei Schritte steht er nun noch vor seinem ersten Titel auf der ATP-Tour. „Natürlich will ich am Samstag ins Finale kommen. Aber es wäre vermessen, deshalb schon vom Titel zu reden“, sagte Struff am späten Freitagabend: „Mit Hubert Hurkacz habe ich ein richtiges Brett vor mir.“ Er wird das Halbfinale mit vollem Eifer angehen. Und die Stuttgarter Fans sicher genauso.