In Frankfurt hofft man, dass die Entschärfung der Bombe bald vollzogen ist. Foto: AFP

Die gefährliche Luftmine kann erst entschärft werden, wenn das Sperrgebiet menschenleer ist. Mehr als 60 000 Menschen sollten dafür nun ihre Wohnungen verlassen. Manchmal musste die Polizei nachhelfen.

Frankfurt/Main - Das Wort „L-E-E-R“ und das Bild einer Bombe hängen in den Fenstern eines Hauses in der Frankfurter Glauburgstraße. Das Gebäude liegt in der 1,5 Kilometer großen Sperrzone um den Fundort der gefährlichen Luftmine, die am Sonntag entschärft werden sollte. Mehr als 60 000 Menschen mussten zwischen 6.00 und 8.00 Uhr ihre Wohnungen mitten in der Stadt verlassen - viele sind schon am Samstag weggefahren - andere gehen erst auf den letzten Drücker aus dem Haus.

„Ich hab’ erwartet, dass Massen - wie Flüchtlinge - durch die Straßen laufen, aber viele sind wohl schon weg“, stellt Sabrina Gerbel fest, die direkt an der Grenze zum Sperrgebiet wohnt und sieben Freunde eingeladen hat: „Zum Frühstück, zum Mittagessen und zum Abendessen.“

„Das ist eine Totenstille am Morgen, nicht mal ein Auto ist zu hören, und auch keine Radfahrer, die einen nerven, sind unterwegs“, sagt Claudia Schmitt. Die 61-Jährige ist auf dem Weg zu der Unterkunft in der Messe und hat ein 600 Seiten dickes Buch eingepackt.

Polizei kontrolliert Zonen

Stewardess Ela Wichman hat einen großen Koffer dabei - falls die Evakuierung doch länger als bis zum Abend dauert. Denn sie fliegt am Montag beruflich ins kanadische Vancouver. Jetzt geht sie erstmal mit einer Freundin Frühstücken.

Ob die Zone wirklich menschenleer ist, kontrollieren mehrere Tausend Polizisten ab 8.00 Uhr. Viele Anwohner machen sich erst jetzt allmählich zu Fuß, mit dem Rad und kleinen Kindern auf den Weg. Großes Gepäck hat kaum einer. Die Polizisten treffen aber auch immer wieder auf Anwohner, die nichts von der Sperrzone wissen, nichts wissen wollen - oder nicht wissen, wo sie hin sollen.

„Ich hab’ verpennt“, sagt ein Mann, der nach 9.00 Uhr umher hastet. Ein anderer merkt erst jetzt, dass sein Fitnessstudio heute nicht öffnen darf. „Ich komm’ grad von der Nachtschicht und will nach Hause - schlafen“, gibt sich ein anderer perplex.

Die Gelassenheit überwiegt

Als Beamte der Kasseler Bereitschaftspolizei in der Hermannstraße klingeln, antwortet nach einiger Zeit ein Mann über die Sprechanlage: „Ich bin in einer Minute da.“ Danach lässt er die Beamten eine gute halbe Stunde stehen, reagiert auch auf Dauerklingeln nicht mehr. Erst nachdem ihn die Polizei über Megafon zweimal auffordert, das Haus zu verlassen und betont, dass ihm andernfalls Zwang und Gewalt drohen, kommt er mit seiner Freundin, die kein Deutsch spricht, aus dem Haus. „Ich wusste nicht, dass ich in der Zone bin“, sagt er im Weggehen.

Wenige Häuser weiter wartet ein älteres Ehepaar in seiner Wohnung seit mehr als zwei Stunden auf den Pflegedienst. Die Polizei muss schließlich einen Rettungswagen rufen, auch der lässt auf sich warten. Eine ältere Frau harrt noch lange nach 8.00 Uhr verängstigt und frierend auf einem Mauervorsprung aus. Sie weiß nicht so recht, wohin sie soll. „Ich mag so große Menschengruppen nicht“, erklärt sie, weshalb sie nicht in die Unterkunft in die Messehalle will.

Die 96-jährige Edeltrud Kochem dagegen ist im Betreuungscenter der Messehalle 1 untergekommen. Sie habe schon den Zweiten Weltkrieg „erlebt und überlebt“, sagt die Frankfurterin, die Evakuierung wegen der Bombenentschärfung sieht sie daher gelassen. Eigentlich habe sie am Morgen zur Messehalle gebracht werden sollen, sagt sie. Da niemand gekommen sei, habe sie den Bus genommen und „Hilfe von starken Männern bekommen“.

Ältere Leute sind sauer

Einige andere ältere Leute, die seit etwa 7.30 Uhr im Frankfurter Nordend vergeblich auf die U-Bahnlinie 5 gewartet haben, sind sauer. „Das ist eine Unverschämtheit“, sagt eine 83 Jahre alte Frankfurterin. „Ich habe eine Stinkwut, bin extra um 5.15 Uhr aufgestanden, damit ich rechtzeitig zur U-Bahn komme.“ Eigentlich habe sie ja einfach in ihrer Wohnung bleiben wollen, sich dann aber anders entschieden, weil die Polizei mit Wärmebildkameras unterwegs sei.

Kai und Iris Löhde hatten auch in ihrer Wohnung bleiben wollen, es sich nach den Mahnungen von Polizei und Feuerwehr aber anders überlegt. Jetzt fahren sie schon kurz vor 8.00 Uhr mit dem Motorrad aus der Sperrzone - „Richtung Koblenz ins Rheingau und auf der anderen Seite wieder zurück“, sagt Kai Löhde. „Dann ist der Tag hoffentlich rum.“

Eine 64-Jährige wartet an einer Haltestelle seit 6.00 Uhr auf einen Bus, der sie zur Messehalle fahren soll. Mehrere fahren leer vorbei, das Bürgertelefon kann auch keine genauen Zeiten sagen. Erst gegen 6.40 Uhr kann sie einsteigen. „Ich hätte echt was Besseres zu tun gehabt: ausgeschlafen und mir ein paar schöne Croissants aufgebacken.“ Sie hoffe nur, dass die Evakuierung im Zeitplan bleibt. „Ich möchte heute Abend doch das TV-Duell zwischen Merkel und Schulz sehen.“

Man macht sich auch Sorgen

Ein 31 Jahre alter Doktorand der Mathematik ist mit Schlafsack und Kissen unterm Arm auf dem Weg in die leere Wohnung von Freunden im Stadtteil Rödelheim. Er will dort erst mal schlafen. Sein Laptop und eine externe Festplatte „mit vielen Backups“ hat er sicherheitshalber dabei.

Familie Konta hat volles Programm: „Wir gehen in mein Büro im Nordend und frühstücken erst einmal“, sagt Familienvater Bruno. Dann werde er eine Runde „Uno“ gespielt. „Oder vielleicht 2, 15 oder 20 Runden.“ Mutter Verica ergänzt: „Danach machen wir vielleicht was für die Schule.“ Tochter Emilia (4) ist das egal. Ihre Schwester Lana hält davon wenig. Sie ist am Samstag sieben Jahre alt geworden und feiert am Nachmittag mit Freundinnen im Ponyland.

Schwester Sigrid vom Haus „Lichtblick“ macht sich dagegen Sorgen. 25 der 40 von Obdachlosigkeit bedrohten Bewohner ihrer Einrichtung sollen vorübergehend in einem Altenheim unterkommen. Viele seien psychisch auffällig, daher müsse die Polizei den Transport begleiteten. Doch der lasse auf sich warten. Eine Bewohnerin mit Verfolgungswahn sei am Freitag weggelaufen. „Wir hoffen, dass sie wieder kommt.“