Sasha Grey, einst Pornodarstellerin, heute Popsängerin und Fotografin. Klicken sie sich durch weitere Beispiele für die Verbindung von Pop und Porno. Foto: Sasha Grey und Ian P. Cinnamon/Heyne-Verlag

Pop ist Porno, Porno ist Pop: Eindrücke vom Festival „Bodies of Babel“ in Frankfurt.

Stuttgart - Führt das Pornografische die Perversion der industriellen Ausbeutung menschlicher Körper vor? Torpediert es - ganz im Gegenteil - subversiv die bürgerliche Doppelmoral, taugt womöglich sogar als Avantgarde? Oder ist Porno längst Mainstream, Popkultur. Ein Festival in Frankfurt hat Antworten gesucht.

Am Anfang war der Sex. Elvis' Hüftschwung war in den 1950er Jahren Pornografie. Jerry Lee Lewis' "Whole Lotta Shakin' Goin' On" als ein orgiastisches Sexversprechen ein Skandal. Rock'n'Roll war obszön, schockierend und stellte die Ordnung infrage. "Rock'n'Roll hatte seine Anfänge in der Teen-Angst und war der Soundtrack für den ersten Sex", sagt die kanadische Elektroclash-Musikerin Peaches, während sich der Poptheoretiker Dietrich Diederichsen lieber etwas kompliziert ausdrückt. Er unterstellt dem Rock'n'Roll und der Pornografie eine "Gleichursprünglichkeit, eine gemeinsame Narration, die von der Befreiung des Körpers und der Sexualität erzählt".

Zwischen Peaches und Diederichsen sitzt im Frankfurter Künstlerhaus Mousonturm Sasha Grey, für die die Entscheidung, mit 18 Jahren Pornodarstellerin zu werden, eine Art Rock'n'Roll-Rebellion war: "Ich wollte zeigen, dass Frauen genauso pervers sein können wie Männer, wollte gegen die moralische Engstirnigkeit meiner Mutter aufbegehren, wollte mich nicht mehr für meine Lust schämen müssen."

Porno entlarvt zwar die prüde Moral Hollywoods

Um das Infragestellen der bürgerlichen Moral, um die Gemeinsamkeiten von Porno und Pop wird es immer wieder in dieser Podiumsdiskussion gehen, die den Titel "The Body In The Moving Image" trägt und an der sich auch der Kulturwissenschaftler Marc Siegel und der Dokumentarfilmer Jens Hoffmann beteiligen.

Theodor W. Adorno hätte seinen Spaß gehabt in dieser Runde, hat er doch in der "Dialektik der Aufklärung" geschrieben: "Immerwährend betrügt die Kulturindustrie ihre Konsumenten um das, was sie immerwährend verspricht." Hollywoodromanzen deuten stets nur an, befriedigen letztlich keine Bedürfnisse, negieren und unterdrücken das Triebhafte.

Nicht so der pornografische Film, der der Ordnung des Diskurses scheinbar das Dionysische entgegensetzt, der dem Betrachter nichts vorenthält. Der Porno entlarvt zwar die prüde Moral des Hollywoodkinos, aber auch sich selbst: "Er führt uns explizit die ausbeutende Natur der Kulturindustrie vor Augen", sagt Diederichsen. Nur weil anders als im Hollywoodfilm im Porno tatsächlich der Akt vollzogen wird und die Kamera ganz genau hinschaut, wird das Gezeigte dadurch nicht wahrhaftig. "Seit den 1950er Jahren verkauft uns die Kulturindustrie Menschen, die echt wirken sollen", sagt Diederichsen, "doch alles, was zum Verkaufszweck produziert wird, ist a priori unauthentisch."

Industrielle Kulturproduktion bediene stets die Bedürfnisse des Marktes und habe mit der Realität nichts zu tun - egal, ob es sich dabei um romantische Komödien, sich hemdsärmlig gebärdende Rockbands oder pseudorealistische Pornos handelt. In Jens Hoffmanns Dokumentarfilm "9 to 5 - Days in Porn", der die US-Sexindustrie porträtiert, bezeichnet Sasha Grey die Pornos, in denen sie mitspielt, als "live action cartoons", weil diese Sexpraktiken grotesk entstellen. "Du wirst nie zwei echten Menschen dabei zuschauen können, wie sie echten Sex haben", sagt sie in Frankfurt, "du erlebst immer nur eine Vorführung, nichts Authentisches."

Vom Pornostar zur Ikone der Popkultur

Sasha Grey, die inzwischen 25 Jahre alt ist und keine Pornofilme mehr dreht, bezeichnet sich selbst als sexual athlet, als Sexsportlerin, und ihre Filmszenen als künstlerische Performances. "Ich bin oft dafür kritisiert worden, dass ich meinen Job zu ernst nehme", sagt Grey, die sich oft mehrere Tage lang auf bestimmte Szenen vorbereitet hat. In dem Buch "Neü Sex" hat sie ihre Zeit als Pornodarstellerin dokumentiert. In seiner körnigen Ästhetik, seiner Lakonie, seinem Spiel mit den Unschärfen und Dunklem erinnert der Bildband an Nan Goldins großartiges Fotobuch "Die Ballade von der sexuellen Abhängigkeit".

Sasha Grey ist inzwischen mehr als ein Pornosuperstar, hat sich als Ikone der Popkultur etabliert. Sie wurde im Artwork des Smashing-Pumpkins-Albums "Zeitgeist" verewigt, hat die Hauptrolle in Steven Soderberghs Drama "The Girlfriend Experience" gespielt, durfte in der HBO-TV-Serie "Entourage" eine fiktive Version von sich selbst darstellen. Und Musik macht Grey natürlich auch: Mit dem Projekt aTelecine veröffentlicht sie seltsam-schwebenden Pop, bei dem sie ihren Körper hinter elektronischen Klängen versteckt.

Tatsächlich verschwimmen die Grenzen zwischen Porno und Popkultur, zwischen Underground und Mainstream mehr und mehr. Filmemacher wie Michael Winterbottom oder Lars von Trier experimentieren in ihren Arbeiten mit explizitem Material, ehemalige Pornodarsteller wie Sasha Grey oder Sibel Kekilli werden als ernstzunehmende Schauspielerinnen entdeckt.

Bereits in den 1960er Jahren haben avantgardistische Undergroudstreifen wie Jack Smiths "Flaming Creatures" oder Barbara Rubins "Christmas on Earth" die Orgie als Erzählform entdeckt. Alles geht einfach immer weiter und weiter. Und dieses für das Pornografische typische Erzählen in orgiastischen Endlosschleifen passt laut Diederichsen eigentlich ausgezeichnet in eine Mediengesellschaft, die sich am liebsten durch TV-Kanäle, iPod-Songlisten oder You-Tube-Channel zappt. Besser auf jeden Fall als das traditionelle Erzählmodell, das einen Anfang, einen Mittelteil und einen Schluss verlangt.

Auch rein erzählerisch untergräbt damit das Pornografische die bürgerliche Ideologie, die in ihren Romanen, Liedern und Spielfilmen gerne von der romantischen Liebe erzählt, vom Kennenlernen, von den närrischen Verwirrspielen und schließlich vom Happy End - und nur dann stets verstummt, wenn der Sex anfängt.